und den von ihnen erwarteten Stern habe erscheinen las- sen. Aber mit dieser Auskunft verwickelt man sich in ei- nen bedenklichen Handel. Denn ein solches Zusammen- treffen des merkwürdigsten Erfolgs mit der astrologischen Prognose musste nicht nur jene Magier selbst und ihre Landsleute, sondern auch die Juden und Christen, welche von der Sache erfuhren, in dem Vertrauen zu jener trü- gerischen Wissenschaft bestärken, und dadurch unbere- chenbaren Irrthum und Schaden stiften. Und dieses Är- gerniss, wie leicht konnte es vermieden werden, wenn Gott, wie er ja nach der orthodoxen Ansicht auch sonst thut, durch Gesichte und Träume, auf welche nach V. 12. jene orientalischen Weisen gleichfalls bauten 5), sie zu der Rei- se nach Judäa veranlasste. Ist es also nicht gerathen, eine ausserordentliche Veranstaltung Gottes hier einzumischen, und will man doch auch nicht annehmen, dass nach dem ordentlichen Naturlauf mit bedeutenden irdischen Ereignis- sen astronomische Veränderungen zusammenzutreffen pfle- gen: so müsste man nur auf ein zufälliges Zusammentref- fen in diesem einzelnen Falle sich berufen, womit aber, wie immer durch Berufung auf den Zufall, theils nichts gesagt, theils der supranaturalistische Standpunkt verlas- sen ist.
Doch nicht allein die falsche Kunst der Astrologen wird bei der orthodoxen Auffassung dieses Berichtes bestätigt, sondern auch eine falsche Auslegung einer Prophetenstelle. Denn wie die Magier, ihrem Sterne folgend, richtig ge- hen: so geben die Hohenpriester und Schriftgelehrten in Jerusalem, welche Herodes auf die Nachricht von der An- kunft und Absicht der Magier zu sich beruft, und nach dem Geburtsort des Judenkönigs fragt, der Stelle Micha 5, 1. die Deutung, der Messias müsse in Bethlehem gebo- ren werden (V. 5 f.), und dieser Deutung entspricht der
5) Vergl. Diog. Laert., prooem.
Viertes Kapitel. §. 30.
und den von ihnen erwarteten Stern habe erscheinen las- sen. Aber mit dieser Auskunft verwickelt man sich in ei- nen bedenklichen Handel. Denn ein solches Zusammen- treffen des merkwürdigsten Erfolgs mit der astrologischen Prognose muſste nicht nur jene Magier selbst und ihre Landsleute, sondern auch die Juden und Christen, welche von der Sache erfuhren, in dem Vertrauen zu jener trü- gerischen Wissenschaft bestärken, und dadurch unbere- chenbaren Irrthum und Schaden stiften. Und dieses Är- gerniſs, wie leicht konnte es vermieden werden, wenn Gott, wie er ja nach der orthodoxen Ansicht auch sonst thut, durch Gesichte und Träume, auf welche nach V. 12. jene orientalischen Weisen gleichfalls bauten 5), sie zu der Rei- se nach Judäa veranlaſste. Ist es also nicht gerathen, eine ausserordentliche Veranstaltung Gottes hier einzumischen, und will man doch auch nicht annehmen, daſs nach dem ordentlichen Naturlauf mit bedeutenden irdischen Ereignis- sen astronomische Veränderungen zusammenzutreffen pfle- gen: so müſste man nur auf ein zufälliges Zusammentref- fen in diesem einzelnen Falle sich berufen, womit aber, wie immer durch Berufung auf den Zufall, theils nichts gesagt, theils der supranaturalistische Standpunkt verlas- sen ist.
Doch nicht allein die falsche Kunst der Astrologen wird bei der orthodoxen Auffassung dieses Berichtes bestätigt, sondern auch eine falsche Auslegung einer Prophetenstelle. Denn wie die Magier, ihrem Sterne folgend, richtig ge- hen: so geben die Hohenpriester und Schriftgelehrten in Jerusalem, welche Herodes auf die Nachricht von der An- kunft und Absicht der Magier zu sich beruft, und nach dem Geburtsort des Judenkönigs fragt, der Stelle Micha 5, 1. die Deutung, der Messias müsse in Bethlehem gebo- ren werden (V. 5 f.), und dieser Deutung entspricht der
5) Vergl. Diog. Laërt., prooem.
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Viertes Kapitel. §. 30.
und den von ihnen erwarteten Stern habe erscheinen las-
sen. Aber mit dieser Auskunft verwickelt man sich in ei-
nen bedenklichen Handel. Denn ein solches Zusammen-
treffen des merkwürdigsten Erfolgs mit der astrologischen
Prognose muſste nicht nur jene Magier selbst und ihre
Landsleute, sondern auch die Juden und Christen, welche
von der Sache erfuhren, in dem Vertrauen zu jener trü-
gerischen Wissenschaft bestärken, und dadurch unbere-
chenbaren Irrthum und Schaden stiften. Und dieses Är-
gerniſs, wie leicht konnte es vermieden werden, wenn Gott,
wie er ja nach der orthodoxen Ansicht auch sonst thut,
durch Gesichte und Träume, auf welche nach V. 12. jene
orientalischen Weisen gleichfalls bauten 5), sie zu der Rei-
se nach Judäa veranlaſste. Ist es also nicht gerathen, eine
ausserordentliche Veranstaltung Gottes hier einzumischen,
und will man doch auch nicht annehmen, daſs nach dem
ordentlichen Naturlauf mit bedeutenden irdischen Ereignis-
sen astronomische Veränderungen zusammenzutreffen pfle-
gen: so müſste man nur auf ein zufälliges Zusammentref-
fen in diesem einzelnen Falle sich berufen, womit aber,
wie immer durch Berufung auf den Zufall, theils nichts
gesagt, theils der supranaturalistische Standpunkt verlas-
sen ist.
Doch nicht allein die falsche Kunst der Astrologen wird
bei der orthodoxen Auffassung dieses Berichtes bestätigt,
sondern auch eine falsche Auslegung einer Prophetenstelle.
Denn wie die Magier, ihrem Sterne folgend, richtig ge-
hen: so geben die Hohenpriester und Schriftgelehrten in
Jerusalem, welche Herodes auf die Nachricht von der An-
kunft und Absicht der Magier zu sich beruft, und nach
dem Geburtsort des Judenkönigs fragt, der Stelle Micha
5, 1. die Deutung, der Messias müsse in Bethlehem gebo-
ren werden (V. 5 f.), und dieser Deutung entspricht der
5) Vergl. Diog. Laërt., prooem.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/247>, abgerufen am 21.11.2024.
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