Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Einleitung. §. 4. vor demselben nicht aufgeben zu müssen, durch eine alle-gorische Erklärung den dadurch in seinem Bewusstsein ge- sezten Widerspruch zu lösen genöthigt war: sondern auch im neuen Testamente fand er manches, seiner philosophi- schen Bildung so wenig Zusagende, dass er zu einem ähn- lichen Verfahren auch mit dem N. T. sich veranlasst fand. Ist doch, dachte er, das N. T. Werk desselben Geistes, wie das alte, und dieser wird bei der Einrichtung von jenem nicht anders als bei der von diesem verfahren sein, dem buchstäblich Geschehenen Nichtgeschehenes einzuweben, um auf den geistigen Sinn hinzuweisen 10). Ja selbst mit theilweise fabelhaften Erzählungen aus der profanen Ge- schichte und Mythologie stellt Origenes die evangelischen Berichte nicht undeutlich zusammen in der merkwürdigen Stelle, contra Celsum 1, 42., wo er sich folgendermassen äussert: "Fast bei jeder Geschichte, so wahr sie auch sein mag, ist es eine schwere, ja nicht selten unlösbare Auf- gabe, sie als wirklich geschehen zu erweisen. Gesezt näm- lich, es läugnete Einer, dass es einen trojischen Krieg ge- geben habe, namentlich wegen der in seine Geschichte ver- webten Unmöglichkeiten, wie die Geburt des Achilleus von einer Meergöttin u. dgl. -- wie wollten wir die Wirklich- keit desselben beweisen, besonders, gedrängt, wie wir wären, durch die offenbaren Erdichtungen, welche sich auf unbekannte Weise mit der allgemein angenommenen Kunde von dem Kampf zwischen Hellenen und Trojern verwoben haben? Nur diess bleibt übrig: wer mit Ver- stand die Geschichte studiren und sich von Täuschungen 10) De principp. 4, 16: ou monon de peri ton pro tes parou-
sias tauta to pneuma okonomesen, all' , ate to auto tugkhanon kai apo tou enos, theou, to omoion kai epi ton euaggelion pepoieke kai epi ton aposolon, oude touton pante akraton ten isorian ton prosuphasmenon kata to somatikon ekhonton, me gegenemenon. Vgl. Homil. 6. in Esaiam, No. 4. Einleitung. §. 4. vor demselben nicht aufgeben zu müssen, durch eine alle-gorische Erklärung den dadurch in seinem Bewuſstsein ge- sezten Widerspruch zu lösen genöthigt war: sondern auch im neuen Testamente fand er manches, seiner philosophi- schen Bildung so wenig Zusagende, daſs er zu einem ähn- lichen Verfahren auch mit dem N. T. sich veranlaſst fand. Ist doch, dachte er, das N. T. Werk desselben Geistes, wie das alte, und dieser wird bei der Einrichtung von jenem nicht anders als bei der von diesem verfahren sein, dem buchstäblich Geschehenen Nichtgeschehenes einzuweben, um auf den geistigen Sinn hinzuweisen 10). Ja selbst mit theilweise fabelhaften Erzählungen aus der profanen Ge- schichte und Mythologie stellt Origenes die evangelischen Berichte nicht undeutlich zusammen in der merkwürdigen Stelle, contra Celsum 1, 42., wo er sich folgendermaſsen äussert: „Fast bei jeder Geschichte, so wahr sie auch sein mag, ist es eine schwere, ja nicht selten unlösbare Auf- gabe, sie als wirklich geschehen zu erweisen. Gesezt näm- lich, es läugnete Einer, daſs es einen trojischen Krieg ge- geben habe, namentlich wegen der in seine Geschichte ver- webten Unmöglichkeiten, wie die Geburt des Achilleus von einer Meergöttin u. dgl. — wie wollten wir die Wirklich- keit desselben beweisen, besonders, gedrängt, wie wir wären, durch die offenbaren Erdichtungen, welche sich auf unbekannte Weise mit der allgemein angenommenen Kunde von dem Kampf zwischen Hellenen und Trojern verwoben haben? Nur dieſs bleibt übrig: wer mit Ver- stand die Geschichte studiren und sich von Täuschungen 10) De principp. 4, 16: οὐ μόνον δὲ περὶ τῶν πρὸ τῆς παρου-
σίας ταυτα τὸ πνεῦμα ᾠκονόμησεν, ἀλλ' , ἅτε τὸ ἀυτὸ τυγχάνον καὶ ἀπὸ τοῦ ἐνὸς, ϑεοῦ, τὸ ὅμοιον καὶ ἐπὶ τῶν εὐαγγελίων πεποίηκε καὶ ἐπὶ τῶν ἀποςόλων, οὐδὲ τούτων πάντη ἄκρατον τὴν ἱςορίαν τῶν προσυφασμένων κατά τὸ σωματικον ἐχόντων, μὴ γεγενημένων. Vgl. Homil. 6. in Esaiam, No. 4. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0032" n="8"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>. §. 4.</fw><lb/> vor demselben nicht aufgeben zu müssen, durch eine alle-<lb/> gorische Erklärung den dadurch in seinem Bewuſstsein ge-<lb/> sezten Widerspruch zu lösen genöthigt war: sondern auch<lb/> im neuen Testamente fand er manches, seiner philosophi-<lb/> schen Bildung so wenig Zusagende, daſs er zu einem ähn-<lb/> lichen Verfahren auch mit dem N. T. sich veranlaſst fand.<lb/> Ist doch, dachte er, das N. T. Werk desselben Geistes, wie<lb/> das alte, und dieser wird bei der Einrichtung von jenem<lb/> nicht anders als bei der von diesem verfahren sein, dem<lb/> buchstäblich Geschehenen Nichtgeschehenes einzuweben, um<lb/> auf den geistigen Sinn hinzuweisen <note place="foot" n="10)">De principp. 4, 16: <foreign xml:lang="ell">οὐ μόνον δὲ περὶ τῶν πρὸ τῆς παρου-<lb/> σίας ταυτα τὸ πνεῦμα ᾠκονόμησεν, ἀλλ' , ἅτε τὸ ἀυτὸ<lb/> τυγχάνον καὶ ἀπὸ τοῦ ἐνὸς, ϑεοῦ, τὸ ὅμοιον καὶ ἐπὶ τῶν<lb/> εὐαγγελίων πεποίηκε καὶ ἐπὶ τῶν ἀποςόλων, οὐδὲ τούτων<lb/> πάντη ἄκρατον τὴν ἱςορίαν τῶν προσυφασμένων κατά<lb/> τὸ σωματικον ἐχόντων, μὴ γεγενημένων</foreign>. Vgl. Homil. 6. in<lb/> Esaiam, No. 4.</note>. Ja selbst mit<lb/> theilweise fabelhaften Erzählungen aus der profanen Ge-<lb/> schichte und Mythologie stellt Origenes die evangelischen<lb/> Berichte nicht undeutlich zusammen in der merkwürdigen<lb/> Stelle, contra Celsum 1, 42., wo er sich folgendermaſsen<lb/> äussert: „Fast bei jeder Geschichte, so wahr sie auch sein<lb/> mag, ist es eine schwere, ja nicht selten unlösbare Auf-<lb/> gabe, sie als wirklich geschehen zu erweisen. Gesezt näm-<lb/> lich, es läugnete Einer, daſs es einen trojischen Krieg ge-<lb/> geben habe, namentlich wegen der in seine Geschichte ver-<lb/> webten Unmöglichkeiten, wie die Geburt des Achilleus von<lb/> einer Meergöttin u. dgl. — wie wollten wir die Wirklich-<lb/> keit desselben beweisen, besonders, gedrängt, wie wir<lb/> wären, durch die offenbaren Erdichtungen, welche sich<lb/> auf unbekannte Weise mit der allgemein angenommenen<lb/> Kunde von dem Kampf zwischen Hellenen und Trojern<lb/> verwoben haben? Nur dieſs bleibt übrig: wer mit Ver-<lb/> stand die Geschichte studiren und sich von Täuschungen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [8/0032]
Einleitung. §. 4.
vor demselben nicht aufgeben zu müssen, durch eine alle-
gorische Erklärung den dadurch in seinem Bewuſstsein ge-
sezten Widerspruch zu lösen genöthigt war: sondern auch
im neuen Testamente fand er manches, seiner philosophi-
schen Bildung so wenig Zusagende, daſs er zu einem ähn-
lichen Verfahren auch mit dem N. T. sich veranlaſst fand.
Ist doch, dachte er, das N. T. Werk desselben Geistes, wie
das alte, und dieser wird bei der Einrichtung von jenem
nicht anders als bei der von diesem verfahren sein, dem
buchstäblich Geschehenen Nichtgeschehenes einzuweben, um
auf den geistigen Sinn hinzuweisen 10). Ja selbst mit
theilweise fabelhaften Erzählungen aus der profanen Ge-
schichte und Mythologie stellt Origenes die evangelischen
Berichte nicht undeutlich zusammen in der merkwürdigen
Stelle, contra Celsum 1, 42., wo er sich folgendermaſsen
äussert: „Fast bei jeder Geschichte, so wahr sie auch sein
mag, ist es eine schwere, ja nicht selten unlösbare Auf-
gabe, sie als wirklich geschehen zu erweisen. Gesezt näm-
lich, es läugnete Einer, daſs es einen trojischen Krieg ge-
geben habe, namentlich wegen der in seine Geschichte ver-
webten Unmöglichkeiten, wie die Geburt des Achilleus von
einer Meergöttin u. dgl. — wie wollten wir die Wirklich-
keit desselben beweisen, besonders, gedrängt, wie wir
wären, durch die offenbaren Erdichtungen, welche sich
auf unbekannte Weise mit der allgemein angenommenen
Kunde von dem Kampf zwischen Hellenen und Trojern
verwoben haben? Nur dieſs bleibt übrig: wer mit Ver-
stand die Geschichte studiren und sich von Täuschungen
10) De principp. 4, 16: οὐ μόνον δὲ περὶ τῶν πρὸ τῆς παρου-
σίας ταυτα τὸ πνεῦμα ᾠκονόμησεν, ἀλλ' , ἅτε τὸ ἀυτὸ
τυγχάνον καὶ ἀπὸ τοῦ ἐνὸς, ϑεοῦ, τὸ ὅμοιον καὶ ἐπὶ τῶν
εὐαγγελίων πεποίηκε καὶ ἐπὶ τῶν ἀποςόλων, οὐδὲ τούτων
πάντη ἄκρατον τὴν ἱςορίαν τῶν προσυφασμένων κατά
τὸ σωματικον ἐχόντων, μὴ γεγενημένων. Vgl. Homil. 6. in
Esaiam, No. 4.
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