sern Evangelisten, diessmal selbst den vierten nicht ausge- nommen, beide aufgezeichnet. Ganz wie oben bei den Ge- nealogieen: entstehen konnte die Erzählung von der bei der Taufe geschehenen Geistesmittheilung nicht mehr, sobald die Vorstellung von der Erzeugung Jesu durch das pneuma ausgebildet war; aber nachgeführt werden neben dieser konnte sie noch immer, weil die Sage nicht gerne etwas von den einmal gewonnenen Schätzen verlieren mag.
§. 49. Ort und Zeit der Versuchung Jesu. Abweichungen der Evan- gelisten in Darstellung derselben.
Der Übergang von der Taufe zur Versuchung Jesu, wie ihn die Synoptiker machen (Matth. 4, 1. Marc. 1, 12. Luc. 4, 1.), hat in Bezug sowohl auf die Ortsbezeichnung als die Zeitbestimmung Schwierigkeit.
Was die erstere betrifft, so fällt es auf, dass sämmtli- chen Synoptikern zufolge Jesus nach seiner Taufe zum Be- huf der Versuchung eis ten eremon soll geführt worden sein, als ob er nicht schon zuvor in der eremos gewesen wäre, da doch nach Matth. 3, 1. Johannes, von welchem er sich taufen liess, daselbst sich aufhielt. Diesen anscheinenden Widerspruch hat die neueste Kritik des Matthäusevange- liums hervorgehoben, um die Angabe desselben, dass der Täufer in der Wüste gewirkt habe, als eine irrige darzu- stellen 1). Wer jedoch aus früher dargelegten Gründen die- se Angabe zu verwerfen sich nicht entschliessen mag, der kann sich auch hier entweder durch die Annahme helfer, dass Johannes seine ersten Vorträge zwar in der judäischen Wüste gehalten, sofort aber zum Behuf des Taufens aus derselben hinweg an den Jordan sich begeben habe; oder wenn man auch das Jordanufer noch zu jener Wüste ge-
1)Schneckenburger, über den Ursprung des ersten kanonischen Evang. S. 39.
Zweiter Abschnitt.
sern Evangelisten, dieſsmal selbst den vierten nicht ausge- nommen, beide aufgezeichnet. Ganz wie oben bei den Ge- nealogieen: entstehen konnte die Erzählung von der bei der Taufe geschehenen Geistesmittheilung nicht mehr, sobald die Vorstellung von der Erzeugung Jesu durch das πνεῦμα ausgebildet war; aber nachgeführt werden neben dieser konnte sie noch immer, weil die Sage nicht gerne etwas von den einmal gewonnenen Schätzen verlieren mag.
§. 49. Ort und Zeit der Versuchung Jesu. Abweichungen der Evan- gelisten in Darstellung derselben.
Der Übergang von der Taufe zur Versuchung Jesu, wie ihn die Synoptiker machen (Matth. 4, 1. Marc. 1, 12. Luc. 4, 1.), hat in Bezug sowohl auf die Ortsbezeichnung als die Zeitbestimmung Schwierigkeit.
Was die erstere betrifft, so fällt es auf, daſs sämmtli- chen Synoptikern zufolge Jesus nach seiner Taufe zum Be- huf der Versuchung εἰς τὴν ἔρημον soll geführt worden sein, als ob er nicht schon zuvor in der ἔρημος gewesen wäre, da doch nach Matth. 3, 1. Johannes, von welchem er sich taufen lieſs, daselbst sich aufhielt. Diesen anscheinenden Widerspruch hat die neueste Kritik des Matthäusevange- liums hervorgehoben, um die Angabe desselben, daſs der Täufer in der Wüste gewirkt habe, als eine irrige darzu- stellen 1). Wer jedoch aus früher dargelegten Gründen die- se Angabe zu verwerfen sich nicht entschlieſsen mag, der kann sich auch hier entweder durch die Annahme helfer, daſs Johannes seine ersten Vorträge zwar in der judäischen Wüste gehalten, sofort aber zum Behuf des Taufens aus derselben hinweg an den Jordan sich begeben habe; oder wenn man auch das Jordanufer noch zu jener Wüste ge-
1)Schneckenburger, über den Ursprung des ersten kanonischen Evang. S. 39.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0420"n="396"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Zweiter Abschnitt</hi>.</fw><lb/>
sern Evangelisten, dieſsmal selbst den vierten nicht ausge-<lb/>
nommen, beide aufgezeichnet. Ganz wie oben bei den Ge-<lb/>
nealogieen: entstehen konnte die Erzählung von der bei der<lb/>
Taufe geschehenen Geistesmittheilung nicht mehr, sobald<lb/>
die Vorstellung von der Erzeugung Jesu durch das πνεῦμα<lb/>
ausgebildet war; aber nachgeführt werden neben dieser<lb/>
konnte sie noch immer, weil die Sage nicht gerne etwas<lb/>
von den einmal gewonnenen Schätzen verlieren mag.</p></div><lb/><divn="3"><head>§. 49.<lb/>
Ort und Zeit der Versuchung Jesu. Abweichungen der Evan-<lb/>
gelisten in Darstellung derselben.</head><lb/><p>Der Übergang von der Taufe zur Versuchung Jesu,<lb/>
wie ihn die Synoptiker machen (Matth. 4, 1. Marc. 1, 12.<lb/>
Luc. 4, 1.), hat in Bezug sowohl auf die Ortsbezeichnung<lb/>
als die Zeitbestimmung Schwierigkeit.</p><lb/><p>Was die erstere betrifft, so fällt es auf, daſs sämmtli-<lb/>
chen Synoptikern zufolge Jesus nach seiner Taufe zum Be-<lb/>
huf der Versuchung <foreignxml:lang="ell">εἰςτὴν</foreign>ἔρημον soll geführt worden sein,<lb/>
als ob er nicht schon zuvor in der ἔρημος gewesen wäre,<lb/>
da doch nach Matth. 3, 1. Johannes, von welchem er sich<lb/>
taufen lieſs, daselbst sich aufhielt. Diesen anscheinenden<lb/>
Widerspruch hat die neueste Kritik des Matthäusevange-<lb/>
liums hervorgehoben, um die Angabe desselben, daſs der<lb/>
Täufer in der Wüste gewirkt habe, als eine irrige darzu-<lb/>
stellen <noteplace="foot"n="1)"><hirendition="#k">Schneckenburger</hi>, über den Ursprung des ersten kanonischen<lb/>
Evang. S. 39.</note>. Wer jedoch aus früher dargelegten Gründen die-<lb/>
se Angabe zu verwerfen sich nicht entschlieſsen mag, der<lb/>
kann sich auch hier entweder durch die Annahme helfer,<lb/>
daſs Johannes seine ersten Vorträge zwar in der judäischen<lb/>
Wüste gehalten, sofort aber zum Behuf des Taufens aus<lb/>
derselben hinweg an den Jordan sich begeben habe; oder<lb/>
wenn man auch das Jordanufer noch zu jener Wüste ge-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[396/0420]
Zweiter Abschnitt.
sern Evangelisten, dieſsmal selbst den vierten nicht ausge-
nommen, beide aufgezeichnet. Ganz wie oben bei den Ge-
nealogieen: entstehen konnte die Erzählung von der bei der
Taufe geschehenen Geistesmittheilung nicht mehr, sobald
die Vorstellung von der Erzeugung Jesu durch das πνεῦμα
ausgebildet war; aber nachgeführt werden neben dieser
konnte sie noch immer, weil die Sage nicht gerne etwas
von den einmal gewonnenen Schätzen verlieren mag.
§. 49.
Ort und Zeit der Versuchung Jesu. Abweichungen der Evan-
gelisten in Darstellung derselben.
Der Übergang von der Taufe zur Versuchung Jesu,
wie ihn die Synoptiker machen (Matth. 4, 1. Marc. 1, 12.
Luc. 4, 1.), hat in Bezug sowohl auf die Ortsbezeichnung
als die Zeitbestimmung Schwierigkeit.
Was die erstere betrifft, so fällt es auf, daſs sämmtli-
chen Synoptikern zufolge Jesus nach seiner Taufe zum Be-
huf der Versuchung εἰς τὴν ἔρημον soll geführt worden sein,
als ob er nicht schon zuvor in der ἔρημος gewesen wäre,
da doch nach Matth. 3, 1. Johannes, von welchem er sich
taufen lieſs, daselbst sich aufhielt. Diesen anscheinenden
Widerspruch hat die neueste Kritik des Matthäusevange-
liums hervorgehoben, um die Angabe desselben, daſs der
Täufer in der Wüste gewirkt habe, als eine irrige darzu-
stellen 1). Wer jedoch aus früher dargelegten Gründen die-
se Angabe zu verwerfen sich nicht entschlieſsen mag, der
kann sich auch hier entweder durch die Annahme helfer,
daſs Johannes seine ersten Vorträge zwar in der judäischen
Wüste gehalten, sofort aber zum Behuf des Taufens aus
derselben hinweg an den Jordan sich begeben habe; oder
wenn man auch das Jordanufer noch zu jener Wüste ge-
1) Schneckenburger, über den Ursprung des ersten kanonischen
Evang. S. 39.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/420>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.