Taufe Jesu in das funfzehnte Jahr des Tiberius gefallen sei, und wenn wir, darauf fussend, das andere Datum dazu nehmen, dass Jesus noch unter der Procuratur des Pontius Pilatus hingerichtet worden ist. Da nämlich Pila- tus im Todesjahr des Tiberius von seinem Posten abberu- fen wurde 14), Tiberius aber nach jenem funfzehnten Jahr noch etwas über sieben Jahre regierte 15): so wären sie- ben Jahre das maximum für die Wirksamkeit Jesu nach seiner Taufe. Allein so sicher das eine Datum ist, dass Jesus unter Pilatus gestorben ist, so sehr ist das andere durch Verwebung mit einem chronologischen Verstosse ver- dächtig gemacht: so dass hier in der That nicht blos keine genaue Bestimmung, sondern auch keine ungefähre zu er- zielen scheint.
§. 56. Die Versuche einer chronologischen Anordnung der einzelnen Be- gebenheiten des öffentlichen Lebens Jesu.
Um die in den Zeitraum des öffentlichen Lebens Jesu fallenden einzelnen Begebenheiten chronologisch gegenein- ander zu stellen, ist vermöge des eigenthümlichen Verhält- nisses der Synoptiker zum Johannes eine Betrachtung theils jedes dieser Theile für sich, theils beider in Beziehung auf einander erforderlich.
Was das Leztere betrifft, so müssten, wenn eine Aus- gleichung möglich sein sollte, die johanneischen Festreisen die Fächer abgeben, in welche der von den Synoptikern gelieferte Stoff in der Art einzutragen wäre, dass jedesmal zwischen zwei jener Reisen und die jerusalemischen Er- eignisse, welche sich an sie anschliessen, eine Parthie der galiläischen Begebenheiten fiele. Sollte diese Einordnung mit einiger Sicherheit zu Stande gebracht werden können,
14) Joseph. Antiq. 18, 4, 2.
15) Sueton. Tiber. c. 73. Joseph. Antiq. 18, 6, 10.
Zweiter Abschnitt.
Taufe Jesu in das funfzehnte Jahr des Tiberius gefallen sei, und wenn wir, darauf fuſsend, das andere Datum dazu nehmen, daſs Jesus noch unter der Procuratur des Pontius Pilatus hingerichtet worden ist. Da nämlich Pila- tus im Todesjahr des Tiberius von seinem Posten abberu- fen wurde 14), Tiberius aber nach jenem funfzehnten Jahr noch etwas über sieben Jahre regierte 15): so wären sie- ben Jahre das maximum für die Wirksamkeit Jesu nach seiner Taufe. Allein so sicher das eine Datum ist, daſs Jesus unter Pilatus gestorben ist, so sehr ist das andere durch Verwebung mit einem chronologischen Verstoſse ver- dächtig gemacht: so daſs hier in der That nicht blos keine genaue Bestimmung, sondern auch keine ungefähre zu er- zielen scheint.
§. 56. Die Versuche einer chronologischen Anordnung der einzelnen Be- gebenheiten des öffentlichen Lebens Jesu.
Um die in den Zeitraum des öffentlichen Lebens Jesu fallenden einzelnen Begebenheiten chronologisch gegenein- ander zu stellen, ist vermöge des eigenthümlichen Verhält- nisses der Synoptiker zum Johannes eine Betrachtung theils jedes dieser Theile für sich, theils beider in Beziehung auf einander erforderlich.
Was das Leztere betrifft, so müſsten, wenn eine Aus- gleichung möglich sein sollte, die johanneischen Festreisen die Fächer abgeben, in welche der von den Synoptikern gelieferte Stoff in der Art einzutragen wäre, daſs jedesmal zwischen zwei jener Reisen und die jerusalemischen Er- eignisse, welche sich an sie anschlieſsen, eine Parthie der galiläischen Begebenheiten fiele. Sollte diese Einordnung mit einiger Sicherheit zu Stande gebracht werden können,
14) Joseph. Antiq. 18, 4, 2.
15) Sueton. Tiber. c. 73. Joseph. Antiq. 18, 6, 10.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0482"n="458"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Zweiter Abschnitt</hi>.</fw><lb/>
Taufe Jesu in das funfzehnte Jahr des Tiberius gefallen<lb/>
sei, und wenn wir, darauf fuſsend, das andere Datum<lb/>
dazu nehmen, daſs Jesus noch unter der Procuratur des<lb/>
Pontius Pilatus hingerichtet worden ist. Da nämlich Pila-<lb/>
tus im Todesjahr des Tiberius von seinem Posten abberu-<lb/>
fen wurde <noteplace="foot"n="14)">Joseph. Antiq. 18, 4, 2.</note>, Tiberius aber nach jenem funfzehnten Jahr<lb/>
noch etwas über sieben Jahre regierte <noteplace="foot"n="15)">Sueton. Tiber. c. 73. Joseph. Antiq. 18, 6, 10.</note>: so wären sie-<lb/>
ben Jahre das <hirendition="#i">maximum</hi> für die Wirksamkeit Jesu nach<lb/>
seiner Taufe. Allein so sicher das eine Datum ist, daſs<lb/>
Jesus unter Pilatus gestorben ist, so sehr ist das andere<lb/>
durch Verwebung mit einem chronologischen Verstoſse ver-<lb/>
dächtig gemacht: so daſs hier in der That nicht blos keine<lb/>
genaue Bestimmung, sondern auch keine ungefähre zu er-<lb/>
zielen scheint.</p></div><lb/><divn="3"><head>§. 56.<lb/>
Die Versuche einer chronologischen Anordnung der einzelnen Be-<lb/>
gebenheiten des öffentlichen Lebens Jesu.</head><lb/><p>Um die in den Zeitraum des öffentlichen Lebens Jesu<lb/>
fallenden einzelnen Begebenheiten chronologisch gegenein-<lb/>
ander zu stellen, ist vermöge des eigenthümlichen Verhält-<lb/>
nisses der Synoptiker zum Johannes eine Betrachtung theils<lb/>
jedes dieser Theile für sich, theils beider in Beziehung auf<lb/>
einander erforderlich.</p><lb/><p>Was das Leztere betrifft, so müſsten, wenn eine Aus-<lb/>
gleichung möglich sein sollte, die johanneischen Festreisen<lb/>
die Fächer abgeben, in welche der von den Synoptikern<lb/>
gelieferte Stoff in der Art einzutragen wäre, daſs jedesmal<lb/>
zwischen zwei jener Reisen und die jerusalemischen Er-<lb/>
eignisse, welche sich an sie anschlieſsen, eine Parthie der<lb/>
galiläischen Begebenheiten fiele. Sollte diese Einordnung<lb/>
mit einiger Sicherheit zu Stande gebracht werden können,<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[458/0482]
Zweiter Abschnitt.
Taufe Jesu in das funfzehnte Jahr des Tiberius gefallen
sei, und wenn wir, darauf fuſsend, das andere Datum
dazu nehmen, daſs Jesus noch unter der Procuratur des
Pontius Pilatus hingerichtet worden ist. Da nämlich Pila-
tus im Todesjahr des Tiberius von seinem Posten abberu-
fen wurde 14), Tiberius aber nach jenem funfzehnten Jahr
noch etwas über sieben Jahre regierte 15): so wären sie-
ben Jahre das maximum für die Wirksamkeit Jesu nach
seiner Taufe. Allein so sicher das eine Datum ist, daſs
Jesus unter Pilatus gestorben ist, so sehr ist das andere
durch Verwebung mit einem chronologischen Verstoſse ver-
dächtig gemacht: so daſs hier in der That nicht blos keine
genaue Bestimmung, sondern auch keine ungefähre zu er-
zielen scheint.
§. 56.
Die Versuche einer chronologischen Anordnung der einzelnen Be-
gebenheiten des öffentlichen Lebens Jesu.
Um die in den Zeitraum des öffentlichen Lebens Jesu
fallenden einzelnen Begebenheiten chronologisch gegenein-
ander zu stellen, ist vermöge des eigenthümlichen Verhält-
nisses der Synoptiker zum Johannes eine Betrachtung theils
jedes dieser Theile für sich, theils beider in Beziehung auf
einander erforderlich.
Was das Leztere betrifft, so müſsten, wenn eine Aus-
gleichung möglich sein sollte, die johanneischen Festreisen
die Fächer abgeben, in welche der von den Synoptikern
gelieferte Stoff in der Art einzutragen wäre, daſs jedesmal
zwischen zwei jener Reisen und die jerusalemischen Er-
eignisse, welche sich an sie anschlieſsen, eine Parthie der
galiläischen Begebenheiten fiele. Sollte diese Einordnung
mit einiger Sicherheit zu Stande gebracht werden können,
14) Joseph. Antiq. 18, 4, 2.
15) Sueton. Tiber. c. 73. Joseph. Antiq. 18, 6, 10.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/482>, abgerufen am 10.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.