giebt Johannes als Situation der Berufenen nur überhaupt ein ergesthai und euriskesthai an, und lässt von Jesu un- mittelbar nur den Philippus berufen werden; den Andreas und den Ungenannten weist der Täufer, den Petrus bringt Andreas, den Nathanael Philippus zu ihm hin.
Scheinen so die beiden Erzählungen verschiedene Er- eignisse zu betreffen, und fragt es sich, welche das frühe- re und welche das spätere? so scheint Johannes die Ge- schichte noch etwas früher einzureihen, weil er sie schon vor Jesu Rückkehr von seiner Taufe nach Galiläa erfolgen lässt die Synoptiker erst nach derselben, zumal wenn, nach einer gewöhnlichen Berechnung, die Rückreise, von welcher die Synoptiker ausgehen, nicht die von der Taufe, sondern von dem ersten Paschafest sein soll. Auch der inneren Beschaffenheit des Vorgangs nach scheint das vom vierten Evangelium Erzählte nicht das Spätere sein zu können. Denn waren nach den Synoptikern Andreas und Johannes bereits Jesu nachgefolgt, so konnten sie nicht wieder, wie im vierten Evangelium, zum Gefolge des Täufers sich ge- sellen, noch brauchte dieser erst sie auf Jesum hinzuwei- sen; ebenso wenn Petrus schon unmittelbar von Jesu zum Menschenfischer berufen war, brauchte ihn nicht erst sein Bruder Andreas zu ihm zu führen. Dagegen stimmen die Ausleger darin überein, dass sowohl die synoptische Erzäh- lung sich eigne, die johanneische vor sich, als diese, jene nach sich zu haben. Das vierte Evangelium, sagt man 1), erzähle nur das erste Bekanntwerden Jesu mit jenen Män- nern, auf welches hin sie noch nicht sogleich seine bestän- digen Begleiter geworden seien; erst bei der von den Syn- optikern aufbehaltenen Gelegenheit habe sie Jesus zum beständigen Geleite, zur eigentliehen Jüngerschaft berufen.
1)Kuinöl, Comm. in Matth. S. 100. Lücke, Comm. z. Joh. 1, S. 388. Olshausen, bibl. Comm. 1, S. 197. Hase, Leben Jesu, §. 55.
Fünftes Kapitel. §. 66.
giebt Johannes als Situation der Berufenen nur überhaupt ein ἕργεσϑαι und εὑρίσκεσϑαι an, und läſst von Jesu un- mittelbar nur den Philippus berufen werden; den Andreas und den Ungenannten weist der Täufer, den Petrus bringt Andreas, den Nathanaël Philippus zu ihm hin.
Scheinen so die beiden Erzählungen verschiedene Er- eignisse zu betreffen, und fragt es sich, welche das frühe- re und welche das spätere? so scheint Johannes die Ge- schichte noch etwas früher einzureihen, weil er sie schon vor Jesu Rückkehr von seiner Taufe nach Galiläa erfolgen läſst die Synoptiker erst nach derselben, zumal wenn, nach einer gewöhnlichen Berechnung, die Rückreise, von welcher die Synoptiker ausgehen, nicht die von der Taufe, sondern von dem ersten Paschafest sein soll. Auch der inneren Beschaffenheit des Vorgangs nach scheint das vom vierten Evangelium Erzählte nicht das Spätere sein zu können. Denn waren nach den Synoptikern Andreas und Johannes bereits Jesu nachgefolgt, so konnten sie nicht wieder, wie im vierten Evangelium, zum Gefolge des Täufers sich ge- sellen, noch brauchte dieser erst sie auf Jesum hinzuwei- sen; ebenso wenn Petrus schon unmittelbar von Jesu zum Menschenfischer berufen war, brauchte ihn nicht erst sein Bruder Andreas zu ihm zu führen. Dagegen stimmen die Ausleger darin überein, daſs sowohl die synoptische Erzäh- lung sich eigne, die johanneische vor sich, als diese, jene nach sich zu haben. Das vierte Evangelium, sagt man 1), erzähle nur das erste Bekanntwerden Jesu mit jenen Män- nern, auf welches hin sie noch nicht sogleich seine bestän- digen Begleiter geworden seien; erst bei der von den Syn- optikern aufbehaltenen Gelegenheit habe sie Jesus zum beständigen Geleite, zur eigentliehen Jüngerschaft berufen.
1)Kuinöl, Comm. in Matth. S. 100. Lücke, Comm. z. Joh. 1, S. 388. Olshausen, bibl. Comm. 1, S. 197. Hase, Leben Jesu, §. 55.
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Fünftes Kapitel. §. 66.
giebt Johannes als Situation der Berufenen nur überhaupt
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mittelbar nur den Philippus berufen werden; den Andreas
und den Ungenannten weist der Täufer, den Petrus bringt
Andreas, den Nathanaël Philippus zu ihm hin.
Scheinen so die beiden Erzählungen verschiedene Er-
eignisse zu betreffen, und fragt es sich, welche das frühe-
re und welche das spätere? so scheint Johannes die Ge-
schichte noch etwas früher einzureihen, weil er sie schon
vor Jesu Rückkehr von seiner Taufe nach Galiläa erfolgen
läſst die Synoptiker erst nach derselben, zumal wenn, nach
einer gewöhnlichen Berechnung, die Rückreise, von welcher
die Synoptiker ausgehen, nicht die von der Taufe, sondern
von dem ersten Paschafest sein soll. Auch der inneren
Beschaffenheit des Vorgangs nach scheint das vom vierten
Evangelium Erzählte nicht das Spätere sein zu können.
Denn waren nach den Synoptikern Andreas und Johannes
bereits Jesu nachgefolgt, so konnten sie nicht wieder, wie
im vierten Evangelium, zum Gefolge des Täufers sich ge-
sellen, noch brauchte dieser erst sie auf Jesum hinzuwei-
sen; ebenso wenn Petrus schon unmittelbar von Jesu zum
Menschenfischer berufen war, brauchte ihn nicht erst sein
Bruder Andreas zu ihm zu führen. Dagegen stimmen die
Ausleger darin überein, daſs sowohl die synoptische Erzäh-
lung sich eigne, die johanneische vor sich, als diese, jene
nach sich zu haben. Das vierte Evangelium, sagt man 1),
erzähle nur das erste Bekanntwerden Jesu mit jenen Män-
nern, auf welches hin sie noch nicht sogleich seine bestän-
digen Begleiter geworden seien; erst bei der von den Syn-
optikern aufbehaltenen Gelegenheit habe sie Jesus zum
beständigen Geleite, zur eigentliehen Jüngerschaft berufen.
1) Kuinöl, Comm. in Matth. S. 100. Lücke, Comm. z. Joh. 1,
S. 388. Olshausen, bibl. Comm. 1, S. 197. Hase, Leben
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 521. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/545>, abgerufen am 22.11.2024.
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