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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Zweiter Abschnitt.
Situation versezt, Jesu Anrede mit denselben Worten ge-
geben, und ihr der gleiche Erfolg zugeschrieben wird 2).
Ist man daher jezt ziemlich allgemein einverstanden, dass
die drei Synoptiker blos Eine Begebenheit erzählen: so
fragt sich nur, ob man darin nicht zu weit geht, dass
man zugleich annimmt, sie haben unter den verschiedenen
Namen doch nur Eine Person, und zwar den Apostel Mat-
thäus verstanden. Diess sucht man gewöhnlich durch die
Voraussetzung denkbar zu machen, dass Levi der eigent-
liche, Matthäus nur der Beiname des Mannes gewesen
sei 3), oder dass er nach seinem Übertritt zu Jesus jenen
mit diesem vertauscht habe 4). Um zu einer solchen An-
nahme berechtigt zu sein, müssten wir eine Spur haben,
dass die Evangelisten, welche den hier berufenen Zöllner
Levi nennen, darunter keinen andern verstehen, als den-
jenigen, welchen sie im Apostelkataloge als Matthäus auf-
führen. Allein nicht nur erwähnen sie hier (Marc. 3, 18.
Luc. 6, 15. A. G. 1, 13.), wo mehrere Beinamen und Doppel-
namen vorkommen, des Namens Levi als früherer oder
eigentlicher Benennung des Matthäus nicht, sondern sie
lassen bei ihrem Matthäus auch das [o] telones weg, wel-
ches der erste Evangelist in seinem Kataloge (10, 3.) bei-
sezt, zum deutlichen Beweiss, dass sie den Matthäus nicht
mit dem vom Zolle weg berufenen Levi identisch denken 5).

Erzählen so die Evangelisten die Berufung von zwei
verschiedenen Männern, aber auf ganz gleiche Weise: so
ist, dass beide Theile Recht haben sollten, desswegen un-
wahrscheinlich, weil schwerlich so ganz dieselbe Begeben-
heit sich wiederholte, und muss somit der eine Theil Un-
recht haben, so hat man in dem Bericht des ersten Evan-

2) Sieffert, a. a. O. S. 55.
3) Kuinöl, a. a. O. Paulus, exeg. Handb. 1, b, S. 513. L. J.
1, a, 240.
4) Bertholdt, Einleitung, 3, S. 1255 f. Fritzsche, S. 340.
5) vgl. Sieffert, S. 56.

Zweiter Abschnitt.
Situation versezt, Jesu Anrede mit denselben Worten ge-
geben, und ihr der gleiche Erfolg zugeschrieben wird 2).
Ist man daher jezt ziemlich allgemein einverstanden, daſs
die drei Synoptiker blos Eine Begebenheit erzählen: so
fragt sich nur, ob man darin nicht zu weit geht, daſs
man zugleich annimmt, sie haben unter den verschiedenen
Namen doch nur Eine Person, und zwar den Apostel Mat-
thäus verstanden. Dieſs sucht man gewöhnlich durch die
Voraussetzung denkbar zu machen, daſs Levi der eigent-
liche, Matthäus nur der Beiname des Mannes gewesen
sei 3), oder daſs er nach seinem Übertritt zu Jesus jenen
mit diesem vertauscht habe 4). Um zu einer solchen An-
nahme berechtigt zu sein, müſsten wir eine Spur haben,
daſs die Evangelisten, welche den hier berufenen Zöllner
Levi nennen, darunter keinen andern verstehen, als den-
jenigen, welchen sie im Apostelkataloge als Matthäus auf-
führen. Allein nicht nur erwähnen sie hier (Marc. 3, 18.
Luc. 6, 15. A. G. 1, 13.), wo mehrere Beinamen und Doppel-
namen vorkommen, des Namens Levi als früherer oder
eigentlicher Benennung des Matthäus nicht, sondern sie
lassen bei ihrem Matthäus auch das [ὁ] τελώνης weg, wel-
ches der erste Evangelist in seinem Kataloge (10, 3.) bei-
sezt, zum deutlichen Beweiſs, daſs sie den Matthäus nicht
mit dem vom Zolle weg berufenen Levi identisch denken 5).

Erzählen so die Evangelisten die Berufung von zwei
verschiedenen Männern, aber auf ganz gleiche Weise: so
ist, daſs beide Theile Recht haben sollten, deſswegen un-
wahrscheinlich, weil schwerlich so ganz dieselbe Begeben-
heit sich wiederholte, und muſs somit der eine Theil Un-
recht haben, so hat man in dem Bericht des ersten Evan-

2) Sieffert, a. a. O. S. 55.
3) Kuinöl, a. a. O. Paulus, exeg. Handb. 1, b, S. 513. L. J.
1, a, 240.
4) Bertholdt, Einleitung, 3, S. 1255 f. Fritzsche, S. 340.
5) vgl. Sieffert, S. 56.
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[542/0566] Zweiter Abschnitt. Situation versezt, Jesu Anrede mit denselben Worten ge- geben, und ihr der gleiche Erfolg zugeschrieben wird 2). Ist man daher jezt ziemlich allgemein einverstanden, daſs die drei Synoptiker blos Eine Begebenheit erzählen: so fragt sich nur, ob man darin nicht zu weit geht, daſs man zugleich annimmt, sie haben unter den verschiedenen Namen doch nur Eine Person, und zwar den Apostel Mat- thäus verstanden. Dieſs sucht man gewöhnlich durch die Voraussetzung denkbar zu machen, daſs Levi der eigent- liche, Matthäus nur der Beiname des Mannes gewesen sei 3), oder daſs er nach seinem Übertritt zu Jesus jenen mit diesem vertauscht habe 4). Um zu einer solchen An- nahme berechtigt zu sein, müſsten wir eine Spur haben, daſs die Evangelisten, welche den hier berufenen Zöllner Levi nennen, darunter keinen andern verstehen, als den- jenigen, welchen sie im Apostelkataloge als Matthäus auf- führen. Allein nicht nur erwähnen sie hier (Marc. 3, 18. Luc. 6, 15. A. G. 1, 13.), wo mehrere Beinamen und Doppel- namen vorkommen, des Namens Levi als früherer oder eigentlicher Benennung des Matthäus nicht, sondern sie lassen bei ihrem Matthäus auch das ὁ τελώνης weg, wel- ches der erste Evangelist in seinem Kataloge (10, 3.) bei- sezt, zum deutlichen Beweiſs, daſs sie den Matthäus nicht mit dem vom Zolle weg berufenen Levi identisch denken 5). Erzählen so die Evangelisten die Berufung von zwei verschiedenen Männern, aber auf ganz gleiche Weise: so ist, daſs beide Theile Recht haben sollten, deſswegen un- wahrscheinlich, weil schwerlich so ganz dieselbe Begeben- heit sich wiederholte, und muſs somit der eine Theil Un- recht haben, so hat man in dem Bericht des ersten Evan- 2) Sieffert, a. a. O. S. 55. 3) Kuinöl, a. a. O. Paulus, exeg. Handb. 1, b, S. 513. L. J. 1, a, 240. 4) Bertholdt, Einleitung, 3, S. 1255 f. Fritzsche, S. 340. 5) vgl. Sieffert, S. 56.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 542. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/566>, abgerufen am 22.11.2024.