rische Anschaulichkeit der Scene für ihren historischen Charakter zu sprechen scheinen: doch enthält auch sie Ei- niges, was bedenklich machen muss. Nämlich die Erzäh- lung lautet gar nicht so, als ob Jesus von dem Manne schon vorher gewusst, und jezt ihm Jemand denselben mit Nennung des Namens gezeigt hätte 13), sondern Olshausen hat Recht, wenn er die Kenntniss, die hier Jesus plözlich von Zacchäus zeigt, auf sein Vermögen zurückführt, ohne Zeugniss Andrer zu wissen, was im Menschen war 14). Aber eben hiedurch fällt wenigstens dieser Zug dem Sa- genhaften anheim, und die Erzählung könnte als eine Va- riation über das auch in der Berufungsgeschichte des Mat- thäus mitbehandelte Thema, das freundliche Verhältniss Je- su zu den Zöllnern, erscheinen.
§. 69. Die zwölf Apostel.
Die Männer, deren Berufung bisher betrachtet wor- den ist, die Jonaiden, die Zebedaiden, sammt Philippus und Matthäus, den einzigen Nathanael ausgeschlossen, bil- den die Hälfte desjenigen engeren Kreises von Schülern Jesu, welcher unter dem Namen oi dodeka, oi dodeka ma- thetai oder aposoloi, durch das ganze N. T. hindurchgeht. Die zum Grunde liegende Vorstellung von diesen Zwölfen ist, dass Jesus selbst sie ausgewählt habe (Marc. 3, 13 f. Luc. 6, 13. Joh. 6, 70. 15, 16.). Matthäus zwar erzählt uns die Geschichte der Auswahl sämmtlicher Zwölfe nicht, sondern sezt sie stillschweigend voraus, indem er 10, 1. diesel- ben schon als feststehendes Collegium einführt. Lukas hin- gegen erzählt (6, 12 ff.), wie nach einer auf dem Berge im Gebete durchwachten Nacht Jesus aus dem weiteren Kreise seiner Anhänger Zwölfe ausgewählt habe, und hierauf mit ihnen von der Höhe herabgestiegen sei, um die sogenannte
13)Paulus, exeg. Handbuch 3, a, S. 48. Kuinöl, in Luc. p. 632.
14) a. a. O. S. 764.
Zweiter Abschnitt.
rische Anschaulichkeit der Scene für ihren historischen Charakter zu sprechen scheinen: doch enthält auch sie Ei- niges, was bedenklich machen muſs. Nämlich die Erzäh- lung lautet gar nicht so, als ob Jesus von dem Manne schon vorher gewuſst, und jezt ihm Jemand denselben mit Nennung des Namens gezeigt hätte 13), sondern Olshausen hat Recht, wenn er die Kenntniſs, die hier Jesus plözlich von Zacchäus zeigt, auf sein Vermögen zurückführt, ohne Zeugniſs Andrer zu wissen, was im Menschen war 14). Aber eben hiedurch fällt wenigstens dieser Zug dem Sa- genhaften anheim, und die Erzählung könnte als eine Va- riation über das auch in der Berufungsgeschichte des Mat- thäus mitbehandelte Thema, das freundliche Verhältniſs Je- su zu den Zöllnern, erscheinen.
§. 69. Die zwölf Apostel.
Die Männer, deren Berufung bisher betrachtet wor- den ist, die Jonaiden, die Zebedaiden, sammt Philippus und Matthäus, den einzigen Nathanaël ausgeschlossen, bil- den die Hälfte desjenigen engeren Kreises von Schülern Jesu, welcher unter dem Namen οἱ δώδεκα, οἱ δώδεκα μα- ϑηταὶ oder ἀπόςολοι, durch das ganze N. T. hindurchgeht. Die zum Grunde liegende Vorstellung von diesen Zwölfen ist, daſs Jesus selbst sie ausgewählt habe (Marc. 3, 13 f. Luc. 6, 13. Joh. 6, 70. 15, 16.). Matthäus zwar erzählt uns die Geschichte der Auswahl sämmtlicher Zwölfe nicht, sondern sezt sie stillschweigend voraus, indem er 10, 1. diesel- ben schon als feststehendes Collegium einführt. Lukas hin- gegen erzählt (6, 12 ff.), wie nach einer auf dem Berge im Gebete durchwachten Nacht Jesus aus dem weiteren Kreise seiner Anhänger Zwölfe ausgewählt habe, und hierauf mit ihnen von der Höhe herabgestiegen sei, um die sogenannte
13)Paulus, exeg. Handbuch 3, a, S. 48. Kuinöl, in Luc. p. 632.
14) a. a. O. S. 764.
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Zweiter Abschnitt.
rische Anschaulichkeit der Scene für ihren historischen
Charakter zu sprechen scheinen: doch enthält auch sie Ei-
niges, was bedenklich machen muſs. Nämlich die Erzäh-
lung lautet gar nicht so, als ob Jesus von dem Manne
schon vorher gewuſst, und jezt ihm Jemand denselben mit
Nennung des Namens gezeigt hätte 13), sondern Olshausen
hat Recht, wenn er die Kenntniſs, die hier Jesus plözlich
von Zacchäus zeigt, auf sein Vermögen zurückführt, ohne
Zeugniſs Andrer zu wissen, was im Menschen war 14).
Aber eben hiedurch fällt wenigstens dieser Zug dem Sa-
genhaften anheim, und die Erzählung könnte als eine Va-
riation über das auch in der Berufungsgeschichte des Mat-
thäus mitbehandelte Thema, das freundliche Verhältniſs Je-
su zu den Zöllnern, erscheinen.
§. 69.
Die zwölf Apostel.
Die Männer, deren Berufung bisher betrachtet wor-
den ist, die Jonaiden, die Zebedaiden, sammt Philippus
und Matthäus, den einzigen Nathanaël ausgeschlossen, bil-
den die Hälfte desjenigen engeren Kreises von Schülern
Jesu, welcher unter dem Namen οἱ δώδεκα, οἱ δώδεκα μα-
ϑηταὶ oder ἀπόςολοι, durch das ganze N. T. hindurchgeht.
Die zum Grunde liegende Vorstellung von diesen Zwölfen
ist, daſs Jesus selbst sie ausgewählt habe (Marc. 3, 13 f.
Luc. 6, 13. Joh. 6, 70. 15, 16.). Matthäus zwar erzählt
uns die Geschichte der Auswahl sämmtlicher Zwölfe nicht,
sondern sezt sie stillschweigend voraus, indem er 10, 1. diesel-
ben schon als feststehendes Collegium einführt. Lukas hin-
gegen erzählt (6, 12 ff.), wie nach einer auf dem Berge im
Gebete durchwachten Nacht Jesus aus dem weiteren Kreise
seiner Anhänger Zwölfe ausgewählt habe, und hierauf mit
ihnen von der Höhe herabgestiegen sei, um die sogenannte
13) Paulus, exeg. Handbuch 3, a, S. 48. Kuinöl, in Luc. p. 632.
14) a. a. O. S. 764.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 548. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/572>, abgerufen am 21.11.2024.
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