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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Fünftes Kapitel. §. 71.
wahrscheinlich sei, dass der wirkliche Johannes die wohlbe-
gründeten Ansprüche seines Bruders Jakobus an eine be-
sondere Auszeichnung so unbillig vernachlässigt hätte? und
ob diess nicht vielmehr auf einen entfernt lebenden helle-
nistischen Verfasser deute, zu welchem von dem frühe ge-
mordeten Bruder des Johannes kaum eine Kunde gedrun-
gen war? Ebenso ist hier über die Bezeichnung: o mo-
thetes on egapa o Iesous, welche 21, 20. gar durch den
Zusaz: os kai anepesen en to deipno epi to sethos autou kai
eipe; Kurie tis esin o paradidous sou; in das Schleppende ver-
längert wird, zu urtheilen, nicht zwar, dass sie ein Verstoss
gegen die Bescheidenheit 14), wohl aber, dass sie zu ge-
sucht und geziert sei für einen, der ohne Nebenabsicht ge-
radezu nur sich selbst bezeichnen will, da ein solcher doch
bisweilen sich durch einfache Nennung seines Namens be-
merklich gemacht haben würde, wogegen ein Verehrer des
Johannes, vielleicht aus einer johanneischen Schule hervor-
gegangen, ganz natürlich dazu kommen konnte, den von
ihm verehrten Apostel, unter dessen Namen er schreiben
wollte, auf diese theils ehrenvolle, theils geheimnissvolle
Weise zu bezeichnen 15).

§. 71.
Die übrigen von den Zwölfen und die siebenzig Jünger.

Die zweite Tetrade eröffnet in allen vier Katalogen
Philippus. Die drei ersten Evangelien wissen ausser sei-
nem Namen nichts von ihm. Das vierte allein giebt seinen
Geburtsort Bethsaida an und berichtet seine Berufung (1,
44 f.); in demselben tritt er auch öfters redend und ange-
redet auf, mit missverstehenden Äusserungen (6, 7. 14, 8.),
bedeutender vielleicht dadurch, dass sich (12, 21.) die el-
lenes, welche Jesum zu sehen wünschen, gerade an ihn
wenden.

14) Bretschneider, Probabilien, S. 111 f.
15) vgl. Paulus, a. a. O. S. 137.
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Fünftes Kapitel. §. 71.
wahrscheinlich sei, daſs der wirkliche Johannes die wohlbe-
gründeten Ansprüche seines Bruders Jakobus an eine be-
sondere Auszeichnung so unbillig vernachlässigt hätte? und
ob dieſs nicht vielmehr auf einen entfernt lebenden helle-
nistischen Verfasser deute, zu welchem von dem frühe ge-
mordeten Bruder des Johannes kaum eine Kunde gedrun-
gen war? Ebenso ist hier über die Bezeichnung: ὁ μο-
ϑητὴς ὃν ἠγάπα ὁ Ἰησοῦς, welche 21, 20. gar durch den
Zusaz: ὃς καὶ ἀνέπεσεν ἐν τῷ δείπνῳ ἐπἰ τὸ ςῆϑος αὐτοῦ καὶ
εἶπε· Κύριε τίς ἐςιν ὁ παραδιδούς σου; in das Schleppende ver-
längert wird, zu urtheilen, nicht zwar, daſs sie ein Verstoſs
gegen die Bescheidenheit 14), wohl aber, daſs sie zu ge-
sucht und geziert sei für einen, der ohne Nebenabsicht ge-
radezu nur sich selbst bezeichnen will, da ein solcher doch
bisweilen sich durch einfache Nennung seines Namens be-
merklich gemacht haben würde, wogegen ein Verehrer des
Johannes, vielleicht aus einer johanneischen Schule hervor-
gegangen, ganz natürlich dazu kommen konnte, den von
ihm verehrten Apostel, unter dessen Namen er schreiben
wollte, auf diese theils ehrenvolle, theils geheimniſsvolle
Weise zu bezeichnen 15).

§. 71.
Die übrigen von den Zwölfen und die siebenzig Jünger.

Die zweite Tetrade eröffnet in allen vier Katalogen
Philippus. Die drei ersten Evangelien wissen ausser sei-
nem Namen nichts von ihm. Das vierte allein giebt seinen
Geburtsort Bethsaida an und berichtet seine Berufung (1,
44 f.); in demselben tritt er auch öfters redend und ange-
redet auf, mit miſsverstehenden Äusserungen (6, 7. 14, 8.),
bedeutender vielleicht dadurch, daſs sich (12, 21.) die ἕλ-
ληνες, welche Jesum zu sehen wünschen, gerade an ihn
wenden.

14) Bretschneider, Probabilien, S. 111 f.
15) vgl. Paulus, a. a. O. S. 137.
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[563/0587] Fünftes Kapitel. §. 71. wahrscheinlich sei, daſs der wirkliche Johannes die wohlbe- gründeten Ansprüche seines Bruders Jakobus an eine be- sondere Auszeichnung so unbillig vernachlässigt hätte? und ob dieſs nicht vielmehr auf einen entfernt lebenden helle- nistischen Verfasser deute, zu welchem von dem frühe ge- mordeten Bruder des Johannes kaum eine Kunde gedrun- gen war? Ebenso ist hier über die Bezeichnung: ὁ μο- ϑητὴς ὃν ἠγάπα ὁ Ἰησοῦς, welche 21, 20. gar durch den Zusaz: ὃς καὶ ἀνέπεσεν ἐν τῷ δείπνῳ ἐπἰ τὸ ςῆϑος αὐτοῦ καὶ εἶπε· Κύριε τίς ἐςιν ὁ παραδιδούς σου; in das Schleppende ver- längert wird, zu urtheilen, nicht zwar, daſs sie ein Verstoſs gegen die Bescheidenheit 14), wohl aber, daſs sie zu ge- sucht und geziert sei für einen, der ohne Nebenabsicht ge- radezu nur sich selbst bezeichnen will, da ein solcher doch bisweilen sich durch einfache Nennung seines Namens be- merklich gemacht haben würde, wogegen ein Verehrer des Johannes, vielleicht aus einer johanneischen Schule hervor- gegangen, ganz natürlich dazu kommen konnte, den von ihm verehrten Apostel, unter dessen Namen er schreiben wollte, auf diese theils ehrenvolle, theils geheimniſsvolle Weise zu bezeichnen 15). §. 71. Die übrigen von den Zwölfen und die siebenzig Jünger. Die zweite Tetrade eröffnet in allen vier Katalogen Philippus. Die drei ersten Evangelien wissen ausser sei- nem Namen nichts von ihm. Das vierte allein giebt seinen Geburtsort Bethsaida an und berichtet seine Berufung (1, 44 f.); in demselben tritt er auch öfters redend und ange- redet auf, mit miſsverstehenden Äusserungen (6, 7. 14, 8.), bedeutender vielleicht dadurch, daſs sich (12, 21.) die ἕλ- ληνες, welche Jesum zu sehen wünschen, gerade an ihn wenden. 14) Bretschneider, Probabilien, S. 111 f. 15) vgl. Paulus, a. a. O. S. 137. 36*

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 563. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/587>, abgerufen am 21.11.2024.