Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Zweiter Abschnitt. men werden, dass, gegen die Stellung in den Evangeliendie Parabel von Jesu zuerst in der einfacheren Gestalt vor- getragen, dann bei einer späteren Gelegenheit bereichert worden sei 29). Indessen für unsern besonderen Fall ist diess nicht weniger undenkbar als jenes. Der eigne Urhe- ber einer solchen Darstellung nämlich, besonders wenn sie nur erst in seinem Geist und Munde lebt, und noch nicht schriftlich fixirt ist, bleibt auch bei einer späteren Über- arbeitung seines Stoffes Herr, die Gestaltung, die er ihm früher gegeben, widersteht ihm nicht als spröde, sondern verhält sich als flüssige Masse, so dass er zu den neu hin- zukommenden Gedanken und Bildern die von früherher vorhandenen in das richtigste Verhältniss setzen, und Ein- heit in seine Darstellung bringen kann. So musste derje- nige, welcher der vorliegenden Parabel die Gestalt gab, die sie bei Lukas hat, falls er auch ihr erster Urheber ge- wesen wäre, hatte er einmal den Herrn zu einem König gemacht und den Zug von den rebellischen Bürgern hin- zugefügt, nothwendig den Knechten statt Kapitalien lieber Waffen anvertrauen, sie ihre Treue statt durch Gelderwerb vielmehr durch Bekämpfung der Rebellen beweisen, über- haupt die beiden Klassen von Personen in der Parabel, die Knechte und die Bürger, in irgend eine Beziehung tre- ten lassen: statt dessen nun beide durch die ganze Erzäh- lung hindurch beziehungslos auseinanderfallen, und die Parabel in zwei übel zusammengeleimte Theile gespalten sich zeigt 30). Diess beweist sehr bestimmt, dass die Bereiche- rung der Parabel mit den bezeichneten Zügen nicht von demselben Urheber herrührt, wie ihre erste Schöpfung, sondern durch einen andern muss sie in der Überlieferung 29) Über den Lukas, S. 239 f. 30) Wie Paulus, ex. Handb. 3, a, S. 76, die Parabel in der zu-
sammengesezteren Form bei Lukas als die besser nicht allein ausgemalte, sondern auch abgerundete bezeichnen kann, ge- hört zum rein Unbegreiflichen. Zweiter Abschnitt. men werden, daſs, gegen die Stellung in den Evangeliendie Parabel von Jesu zuerst in der einfacheren Gestalt vor- getragen, dann bei einer späteren Gelegenheit bereichert worden sei 29). Indessen für unsern besonderen Fall ist dieſs nicht weniger undenkbar als jenes. Der eigne Urhe- ber einer solchen Darstellung nämlich, besonders wenn sie nur erst in seinem Geist und Munde lebt, und noch nicht schriftlich fixirt ist, bleibt auch bei einer späteren Über- arbeitung seines Stoffes Herr, die Gestaltung, die er ihm früher gegeben, widersteht ihm nicht als spröde, sondern verhält sich als flüssige Masse, so daſs er zu den neu hin- zukommenden Gedanken und Bildern die von früherher vorhandenen in das richtigste Verhältniſs setzen, und Ein- heit in seine Darstellung bringen kann. So muſste derje- nige, welcher der vorliegenden Parabel die Gestalt gab, die sie bei Lukas hat, falls er auch ihr erster Urheber ge- wesen wäre, hatte er einmal den Herrn zu einem König gemacht und den Zug von den rebellischen Bürgern hin- zugefügt, nothwendig den Knechten statt Kapitalien lieber Waffen anvertrauen, sie ihre Treue statt durch Gelderwerb vielmehr durch Bekämpfung der Rebellen beweisen, über- haupt die beiden Klassen von Personen in der Parabel, die Knechte und die Bürger, in irgend eine Beziehung tre- ten lassen: statt dessen nun beide durch die ganze Erzäh- lung hindurch beziehungslos auseinanderfallen, und die Parabel in zwei übel zusammengeleimte Theile gespalten sich zeigt 30). Dieſs beweist sehr bestimmt, daſs die Bereiche- rung der Parabel mit den bezeichneten Zügen nicht von demselben Urheber herrührt, wie ihre erste Schöpfung, sondern durch einen andern muſs sie in der Überlieferung 29) Über den Lukas, S. 239 f. 30) Wie Paulus, ex. Handb. 3, a, S. 76, die Parabel in der zu-
sammengesezteren Form bei Lukas als die besser nicht allein ausgemalte, sondern auch abgerundete bezeichnen kann, ge- hört zum rein Unbegreiflichen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0632" n="608"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweiter Abschnitt</hi>.</fw><lb/> men werden, daſs, gegen die Stellung in den Evangelien<lb/> die Parabel von Jesu zuerst in der einfacheren Gestalt vor-<lb/> getragen, dann bei einer späteren Gelegenheit bereichert<lb/> worden sei <note place="foot" n="29)">Über den Lukas, S. 239 f.</note>. Indessen für unsern besonderen Fall ist<lb/> dieſs nicht weniger undenkbar als jenes. Der eigne Urhe-<lb/> ber einer solchen Darstellung nämlich, besonders wenn sie<lb/> nur erst in seinem Geist und Munde lebt, und noch nicht<lb/> schriftlich fixirt ist, bleibt auch bei einer späteren Über-<lb/> arbeitung seines Stoffes Herr, die Gestaltung, die er ihm<lb/> früher gegeben, widersteht ihm nicht als spröde, sondern<lb/> verhält sich als flüssige Masse, so daſs er zu den neu hin-<lb/> zukommenden Gedanken und Bildern die von früherher<lb/> vorhandenen in das richtigste Verhältniſs setzen, und Ein-<lb/> heit in seine Darstellung bringen kann. So muſste derje-<lb/> nige, welcher der vorliegenden Parabel die Gestalt gab,<lb/> die sie bei Lukas hat, falls er auch ihr erster Urheber ge-<lb/> wesen wäre, hatte er einmal den Herrn zu einem König<lb/> gemacht und den Zug von den rebellischen Bürgern hin-<lb/> zugefügt, nothwendig den Knechten statt Kapitalien lieber<lb/> Waffen anvertrauen, sie ihre Treue statt durch Gelderwerb<lb/> vielmehr durch Bekämpfung der Rebellen beweisen, über-<lb/> haupt die beiden Klassen von Personen in der Parabel,<lb/> die Knechte und die Bürger, in irgend eine Beziehung tre-<lb/> ten lassen: statt dessen nun beide durch die ganze Erzäh-<lb/> lung hindurch beziehungslos auseinanderfallen, und die<lb/> Parabel in zwei übel zusammengeleimte Theile gespalten sich<lb/> zeigt <note place="foot" n="30)">Wie <hi rendition="#k">Paulus</hi>, ex. Handb. 3, a, S. 76, die Parabel in der zu-<lb/> sammengesezteren Form bei Lukas als die besser nicht allein<lb/> ausgemalte, sondern auch abgerundete bezeichnen kann, ge-<lb/> hört zum rein Unbegreiflichen.</note>. Dieſs beweist sehr bestimmt, daſs die Bereiche-<lb/> rung der Parabel mit den bezeichneten Zügen nicht von<lb/> demselben Urheber herrührt, wie ihre erste Schöpfung,<lb/> sondern durch einen andern muſs sie in der Überlieferung<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [608/0632]
Zweiter Abschnitt.
men werden, daſs, gegen die Stellung in den Evangelien
die Parabel von Jesu zuerst in der einfacheren Gestalt vor-
getragen, dann bei einer späteren Gelegenheit bereichert
worden sei 29). Indessen für unsern besonderen Fall ist
dieſs nicht weniger undenkbar als jenes. Der eigne Urhe-
ber einer solchen Darstellung nämlich, besonders wenn sie
nur erst in seinem Geist und Munde lebt, und noch nicht
schriftlich fixirt ist, bleibt auch bei einer späteren Über-
arbeitung seines Stoffes Herr, die Gestaltung, die er ihm
früher gegeben, widersteht ihm nicht als spröde, sondern
verhält sich als flüssige Masse, so daſs er zu den neu hin-
zukommenden Gedanken und Bildern die von früherher
vorhandenen in das richtigste Verhältniſs setzen, und Ein-
heit in seine Darstellung bringen kann. So muſste derje-
nige, welcher der vorliegenden Parabel die Gestalt gab,
die sie bei Lukas hat, falls er auch ihr erster Urheber ge-
wesen wäre, hatte er einmal den Herrn zu einem König
gemacht und den Zug von den rebellischen Bürgern hin-
zugefügt, nothwendig den Knechten statt Kapitalien lieber
Waffen anvertrauen, sie ihre Treue statt durch Gelderwerb
vielmehr durch Bekämpfung der Rebellen beweisen, über-
haupt die beiden Klassen von Personen in der Parabel,
die Knechte und die Bürger, in irgend eine Beziehung tre-
ten lassen: statt dessen nun beide durch die ganze Erzäh-
lung hindurch beziehungslos auseinanderfallen, und die
Parabel in zwei übel zusammengeleimte Theile gespalten sich
zeigt 30). Dieſs beweist sehr bestimmt, daſs die Bereiche-
rung der Parabel mit den bezeichneten Zügen nicht von
demselben Urheber herrührt, wie ihre erste Schöpfung,
sondern durch einen andern muſs sie in der Überlieferung
29) Über den Lukas, S. 239 f.
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