Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Einleitung. §. 12. genannt; theils führt er keine Stellen aus dem von ihmdem Matthäus zugeschriebenen Werke an, aus welchen wir beurtheilen könnten, ob es dasselbe mit dem uns vor- liegenden angeblichen Matthäus-Evangelium sei; theils end- lich hat nach ihm Matthäus hebräisch geschrieben, und dass nun unser erstes Evangelium gerade eine Uebersetzung die- ser Apostelschrift sei, beurkundet weder er noch ein andrer Kirchenschriftsteller, sondern man sezt es nur voraus. Man wird die Forderung überspannt nennen, für die Au- thentie eines Buchs ein Zeugniss von einem Bekannten des Verfassers, also gleichsam von einem Augenzeugen des Aktes der Abfassung und einem Ohrenzeugen der Versiche- rung des Autors, es geschrieben zu haben, zu verlangen. Sie wäre es, wenn es sich nur um Wahrscheinlichkeit, wenn auch noch so hohe, der Authentie einer Schrift han- delte: hier aber wird Nothwendigkeit, oder ein Zeugniss verlangt, welches uns auch gegen das etwaige Ergebniss der inneren Kritik doch bei der Annahme eines apostoli- schen Ursprungs der genannten Evangelien zwingend fest- hielte. Ein zwingendes Zeugniss müsste die angeführte Beschaffenheit haben, und da ein solches fehlt: so bleibt uns die Möglichkeit offen, je nach der inneren Beschaf- fenheit jener Evangelien sie als Werke von Aposteln oder Nichtaposteln zu behandeln. -- Die beiden mittleren Evan- gelien sollen Werke von Apostelgehülfen sein. Vom zweiten meldet Papias, aus dem Munde des presbuteros Ioannes, dass es von Markus, der dem Apostel Petrus als Dolmetscher gedient, aus Erinnerungen an dessen Vor- träge geschrieben worden sei 21), und Andre lassen diese Schrift noch dazu von Petrus durchgesehen und gebilligt werden 22). Allein wie sich diese leztere Notiz durch den eigenen Widerspruch ihres Gewährsmanns wider- 21) Bei Eusebius a. a. O. 22) Clem. Alex. bei Eusebius H. E. 2, 15.
Einleitung. §. 12. genannt; theils führt er keine Stellen aus dem von ihmdem Matthäus zugeschriebenen Werke an, aus welchen wir beurtheilen könnten, ob es dasselbe mit dem uns vor- liegenden angeblichen Matthäus-Evangelium sei; theils end- lich hat nach ihm Matthäus hebräisch geschrieben, und daſs nun unser erstes Evangelium gerade eine Uebersetzung die- ser Apostelschrift sei, beurkundet weder er noch ein andrer Kirchenschriftsteller, sondern man sezt es nur voraus. Man wird die Forderung überspannt nennen, für die Au- thentie eines Buchs ein Zeugniſs von einem Bekannten des Verfassers, also gleichsam von einem Augenzeugen des Aktes der Abfassung und einem Ohrenzeugen der Versiche- rung des Autors, es geschrieben zu haben, zu verlangen. Sie wäre es, wenn es sich nur um Wahrscheinlichkeit, wenn auch noch so hohe, der Authentie einer Schrift han- delte: hier aber wird Nothwendigkeit, oder ein Zeugniſs verlangt, welches uns auch gegen das etwaige Ergebniſs der inneren Kritik doch bei der Annahme eines apostoli- schen Ursprungs der genannten Evangelien zwingend fest- hielte. Ein zwingendes Zeugniſs müſste die angeführte Beschaffenheit haben, und da ein solches fehlt: so bleibt uns die Möglichkeit offen, je nach der inneren Beschaf- fenheit jener Evangelien sie als Werke von Aposteln oder Nichtaposteln zu behandeln. — Die beiden mittleren Evan- gelien sollen Werke von Apostelgehülfen sein. Vom zweiten meldet Papias, aus dem Munde des πρεσβύτερος Ἰωάννης, daſs es von Markus, der dem Apostel Petrus als Dolmetscher gedient, aus Erinnerungen an dessen Vor- träge geschrieben worden sei 21), und Andre lassen diese Schrift noch dazu von Petrus durchgesehen und gebilligt werden 22). Allein wie sich diese leztere Notiz durch den eigenen Widerspruch ihres Gewährsmanns wider- 21) Bei Eusebius a. a. O. 22) Clem. Alex. bei Eusebius H. E. 2, 15.
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Einleitung. §. 12.
genannt; theils führt er keine Stellen aus dem von ihm
dem Matthäus zugeschriebenen Werke an, aus welchen
wir beurtheilen könnten, ob es dasselbe mit dem uns vor-
liegenden angeblichen Matthäus-Evangelium sei; theils end-
lich hat nach ihm Matthäus hebräisch geschrieben, und daſs
nun unser erstes Evangelium gerade eine Uebersetzung die-
ser Apostelschrift sei, beurkundet weder er noch ein andrer
Kirchenschriftsteller, sondern man sezt es nur voraus.
Man wird die Forderung überspannt nennen, für die Au-
thentie eines Buchs ein Zeugniſs von einem Bekannten des
Verfassers, also gleichsam von einem Augenzeugen des
Aktes der Abfassung und einem Ohrenzeugen der Versiche-
rung des Autors, es geschrieben zu haben, zu verlangen.
Sie wäre es, wenn es sich nur um Wahrscheinlichkeit,
wenn auch noch so hohe, der Authentie einer Schrift han-
delte: hier aber wird Nothwendigkeit, oder ein Zeugniſs
verlangt, welches uns auch gegen das etwaige Ergebniſs
der inneren Kritik doch bei der Annahme eines apostoli-
schen Ursprungs der genannten Evangelien zwingend fest-
hielte. Ein zwingendes Zeugniſs müſste die angeführte
Beschaffenheit haben, und da ein solches fehlt: so bleibt
uns die Möglichkeit offen, je nach der inneren Beschaf-
fenheit jener Evangelien sie als Werke von Aposteln oder
Nichtaposteln zu behandeln. — Die beiden mittleren Evan-
gelien sollen Werke von Apostelgehülfen sein. Vom
zweiten meldet Papias, aus dem Munde des πρεσβύτερος
Ἰωάννης, daſs es von Markus, der dem Apostel Petrus
als Dolmetscher gedient, aus Erinnerungen an dessen Vor-
träge geschrieben worden sei 21), und Andre lassen diese
Schrift noch dazu von Petrus durchgesehen und gebilligt
werden 22). Allein wie sich diese leztere Notiz durch
den eigenen Widerspruch ihres Gewährsmanns wider-
21) Bei Eusebius a. a. O.
22) Clem. Alex. bei Eusebius H. E. 2, 15.
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