Wunderacten auflösen, so kann Jesus ganz wohl zahlreiche Wunder gethan, und dennoch einige feindselige Pharisäer, welche zufällig noch bei keinem derselben Augenzeugen gewesen waren, nun auch selbst eines zu sehen verlangt haben.
Auch dass die Antwort Jesu auf solche Wunderfor- derungen jedesmal ablehnend ist, beweist an sich gar nicht, dass er nicht in andern Fällen freiwillig Wunder gethan haben könnte, wo ihm solche besser angelegt schienen. Wenn er in Bezug auf die Forderung der Pharisäer Marc. 8, 12. erklärt, es w[e]rde te genea taute gar keines, oder Matth. 12, 39 f. 16, 4. Luc. 11, 29 f., es werde ihr kein Zeichen ausser dem semeion Iona tou prophetou gegeben wer- den: so kann er ja unter dieser genea, welche er bei Mat- thäus und Lukas als ponera kai moikhalis näher bestimmt, auch nur den ihm feindlichen pharisäischen Theil seiner Zeitgenossen verstanden, und versichern gewollt haben, dass für diesen, sei es gar kein, oder nur das Zeichen des Jonas, d. h., wie er es bei Matthäus deutet, das Wunder seiner Auferstehung geschehen werde. Allein nimmt man das ou dothesetai aute in dem Sinn, dass seine Feinde nicht selbst ein Zeichen von ihm zu sehen bekommen sollen: so müsste es theils sonderbar zugegangen sein, wenn unter den vielen in der grössten Öffentlichkeit von Jesu verrich- teten Wundern bei keinem sollten Pharisäer zugegen ge- wesen sein, theils wird diess Matth 12, 24 f. parall. wo sie offenbar als gegenwärtig bei der Heilung des Blindstum- men vorausgesezt werden, ausdrücklich widersprochen. Überdiess, wenn hier von selbstgesehenen Zeichen die Re- de sein soll, so bekamen ja die Auferstehung Jesu und den Auferstandenen seine Feinde gleichfalls nicht zu sehen, so dass mithin jener Ausspruch nicht blos den Sinn haben kann, seine Feinde sollten vom Selbstsehen seiner Wunder ausgeschlossen werden. Möchte man daher bei dem do- thesetai aute an ein Geschehen zum Besten der bezeich-
Zweiter Abschnitt.
Wunderacten auflösen, so kann Jesus ganz wohl zahlreiche Wunder gethan, und dennoch einige feindselige Pharisäer, welche zufällig noch bei keinem derselben Augenzeugen gewesen waren, nun auch selbst eines zu sehen verlangt haben.
Auch daſs die Antwort Jesu auf solche Wunderfor- derungen jedesmal ablehnend ist, beweist an sich gar nicht, daſs er nicht in andern Fällen freiwillig Wunder gethan haben könnte, wo ihm solche besser angelegt schienen. Wenn er in Bezug auf die Forderung der Pharisäer Marc. 8, 12. erklärt, es w[e]rde τῇ γενεᾷ ταύτῃ gar keines, oder Matth. 12, 39 f. 16, 4. Luc. 11, 29 f., es werde ihr kein Zeichen ausser dem σημεῖον Ἰωνᾶ τοῦ προφήτου gegeben wer- den: so kann er ja unter dieser γενεὰ, welche er bei Mat- thäus und Lukas als πονηρὰ καὶ μοιχαλίς näher bestimmt, auch nur den ihm feindlichen pharisäischen Theil seiner Zeitgenossen verstanden, und versichern gewollt haben, daſs für diesen, sei es gar kein, oder nur das Zeichen des Jonas, d. h., wie er es bei Matthäus deutet, das Wunder seiner Auferstehung geschehen werde. Allein nimmt man das οὐ δοϑήσεται αὐτῇ in dem Sinn, daſs seine Feinde nicht selbst ein Zeichen von ihm zu sehen bekommen sollen: so müſste es theils sonderbar zugegangen sein, wenn unter den vielen in der gröſsten Öffentlichkeit von Jesu verrich- teten Wundern bei keinem sollten Pharisäer zugegen ge- wesen sein, theils wird dieſs Matth 12, 24 f. parall. wo sie offenbar als gegenwärtig bei der Heilung des Blindstum- men vorausgesezt werden, ausdrücklich widersprochen. Überdieſs, wenn hier von selbstgesehenen Zeichen die Re- de sein soll, so bekamen ja die Auferstehung Jesu und den Auferstandenen seine Feinde gleichfalls nicht zu sehen, so daſs mithin jener Ausspruch nicht blos den Sinn haben kann, seine Feinde sollten vom Selbstsehen seiner Wunder ausgeschlossen werden. Möchte man daher bei dem δο- ϑήσεται αὐτῇ an ein Geschehen zum Besten der bezeich-
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Zweiter Abschnitt.
Wunderacten auflösen, so kann Jesus ganz wohl zahlreiche
Wunder gethan, und dennoch einige feindselige Pharisäer,
welche zufällig noch bei keinem derselben Augenzeugen
gewesen waren, nun auch selbst eines zu sehen verlangt
haben.
Auch daſs die Antwort Jesu auf solche Wunderfor-
derungen jedesmal ablehnend ist, beweist an sich gar nicht,
daſs er nicht in andern Fällen freiwillig Wunder gethan
haben könnte, wo ihm solche besser angelegt schienen.
Wenn er in Bezug auf die Forderung der Pharisäer Marc.
8, 12. erklärt, es werde τῇ γενεᾷ ταύτῃ gar keines, oder
Matth. 12, 39 f. 16, 4. Luc. 11, 29 f., es werde ihr kein
Zeichen ausser dem σημεῖον Ἰωνᾶ τοῦ προφήτου gegeben wer-
den: so kann er ja unter dieser γενεὰ, welche er bei Mat-
thäus und Lukas als πονηρὰ καὶ μοιχαλίς näher bestimmt,
auch nur den ihm feindlichen pharisäischen Theil seiner
Zeitgenossen verstanden, und versichern gewollt haben,
daſs für diesen, sei es gar kein, oder nur das Zeichen des
Jonas, d. h., wie er es bei Matthäus deutet, das Wunder
seiner Auferstehung geschehen werde. Allein nimmt man
das οὐ δοϑήσεται αὐτῇ in dem Sinn, daſs seine Feinde nicht
selbst ein Zeichen von ihm zu sehen bekommen sollen: so
müſste es theils sonderbar zugegangen sein, wenn unter
den vielen in der gröſsten Öffentlichkeit von Jesu verrich-
teten Wundern bei keinem sollten Pharisäer zugegen ge-
wesen sein, theils wird dieſs Matth 12, 24 f. parall. wo sie
offenbar als gegenwärtig bei der Heilung des Blindstum-
men vorausgesezt werden, ausdrücklich widersprochen.
Überdieſs, wenn hier von selbstgesehenen Zeichen die Re-
de sein soll, so bekamen ja die Auferstehung Jesu und den
Auferstandenen seine Feinde gleichfalls nicht zu sehen, so
daſs mithin jener Ausspruch nicht blos den Sinn haben
kann, seine Feinde sollten vom Selbstsehen seiner Wunder
ausgeschlossen werden. Möchte man daher bei dem δο-
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/23>, abgerufen am 21.11.2024.
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