Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Zweiter Abschnitt. zu entfernen gesucht, theils ganz gewaltsam, indem manstatt ou ou las, nach en interpungirte, hinter sukon ein zwei- tes en supplirte, und übersezte: ubi enim tum versaba- tur, tempus ficuum erat 7); theils abgeschmackt, durch Verwandlung des Satzes in einen Fragesaz: nonne enim etc. 8); theils dadurch, dass das kairos sukon von der Zeit der Feigenärnte genommen, und so in dem Zusaz die An- gabe, die Feigen seien noch nicht weggelesen, d. h. noch auf den Bäumen gewesen, gefunden wird 9), wofür man sich auf das kairos ton karpon Matth. 21, 34. beruft. Al- lein wie unter diesem Ausdruck, der eigentlich nur das antecedens der Ärnte, das Vorhandensein der Früchte auf Äckern oder Bäumen bezeichnet, wenn er in einem affirma- tiven Satze steht, das consequens, die mögliche Fruchtein- sammlung, nur in der Art verstanden sein kann, dass das antecedens, das Dasein der Früchte auf dem Felde, mit- eingeschlossen bleibt, folglich esi kairos karpon nur so viel bedeuten kann: die (reifen) Früchte stehen auf den Äckern, und sind demnach zur Einsammlung bereit: ebenso wird, wenn jener Ausdruck in einem negativen Satze steht, zu- erst das antecedens, das Befindlichsein der Früchte auf dem Acker, Baum u. dgl., und erst mittelst dessen das conse- quens, die Einsammlung der Früchte, aufgehoben; ouk esi kairos sukon heisst also: die Feigen sind nicht auf den Bäu- men gegenwärtig, und somit auch nicht zum Einsammeln bereit, keineswegs aber umgekehrt: sie sind noch nicht eingesammelt, und stehen also noch auf den Bäumen. Aber nicht nur diese unerhörte Redefigur, dass, während der Form nach das antecedens aufgehoben wird, dem Sinne nach nur das consequens aufgehoben, das antecedens aber 7) Heinsius u. A., bei Fritzsche z. d. St. 8) Maji Obs. s. bei dems. 9) Dahme, in Henke's n. Magazin, 2. Bd. 2. Heft, S. 252. Auch
Kuinöl, in Marc. p. 150 f. Zweiter Abschnitt. zu entfernen gesucht, theils ganz gewaltsam, indem manstatt οὐ οὗ las, nach ἦν interpungirte, hinter σύκων ein zwei- tes ἦν supplirte, und übersezte: ubi enim tum versaba- tur, tempus ficuum erat 7); theils abgeschmackt, durch Verwandlung des Satzes in einen Fragesaz: nonne enim etc. 8); theils dadurch, daſs das καιρὸς σύκων von der Zeit der Feigenärnte genommen, und so in dem Zusaz die An- gabe, die Feigen seien noch nicht weggelesen, d. h. noch auf den Bäumen gewesen, gefunden wird 9), wofür man sich auf das καιρὸς τῶν καρπῶν Matth. 21, 34. beruft. Al- lein wie unter diesem Ausdruck, der eigentlich nur das antecedens der Ärnte, das Vorhandensein der Früchte auf Äckern oder Bäumen bezeichnet, wenn er in einem affirma- tiven Satze steht, das consequens, die mögliche Fruchtein- sammlung, nur in der Art verstanden sein kann, daſs das antecedens, das Dasein der Früchte auf dem Felde, mit- eingeschlossen bleibt, folglich ἔςι καιρὸς καρπῶν nur so viel bedeuten kann: die (reifen) Früchte stehen auf den Äckern, und sind demnach zur Einsammlung bereit: ebenso wird, wenn jener Ausdruck in einem negativen Satze steht, zu- erst das antecedens, das Befindlichsein der Früchte auf dem Acker, Baum u. dgl., und erst mittelst dessen das conse- quens, die Einsammlung der Früchte, aufgehoben; ουκ ἔςι καιρὸς σύκων heiſst also: die Feigen sind nicht auf den Bäu- men gegenwärtig, und somit auch nicht zum Einsammeln bereit, keineswegs aber umgekehrt: sie sind noch nicht eingesammelt, und stehen also noch auf den Bäumen. Aber nicht nur diese unerhörte Redefigur, daſs, während der Form nach das antecedens aufgehoben wird, dem Sinne nach nur das consequens aufgehoben, das antecedens aber 7) Heinsius u. A., bei Fritzsche z. d. St. 8) Maji Obs. s. bei dems. 9) Dahme, in Henke's n. Magazin, 2. Bd. 2. Heft, S. 252. Auch
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Zweiter Abschnitt.
zu entfernen gesucht, theils ganz gewaltsam, indem man
statt οὐ οὗ las, nach ἦν interpungirte, hinter σύκων ein zwei-
tes ἦν supplirte, und übersezte: ubi enim tum versaba-
tur, tempus ficuum erat 7); theils abgeschmackt, durch
Verwandlung des Satzes in einen Fragesaz: nonne enim
etc. 8); theils dadurch, daſs das καιρὸς σύκων von der Zeit
der Feigenärnte genommen, und so in dem Zusaz die An-
gabe, die Feigen seien noch nicht weggelesen, d. h. noch
auf den Bäumen gewesen, gefunden wird 9), wofür man
sich auf das καιρὸς τῶν καρπῶν Matth. 21, 34. beruft. Al-
lein wie unter diesem Ausdruck, der eigentlich nur das
antecedens der Ärnte, das Vorhandensein der Früchte auf
Äckern oder Bäumen bezeichnet, wenn er in einem affirma-
tiven Satze steht, das consequens, die mögliche Fruchtein-
sammlung, nur in der Art verstanden sein kann, daſs das
antecedens, das Dasein der Früchte auf dem Felde, mit-
eingeschlossen bleibt, folglich ἔςι καιρὸς καρπῶν nur so viel
bedeuten kann: die (reifen) Früchte stehen auf den Äckern,
und sind demnach zur Einsammlung bereit: ebenso wird,
wenn jener Ausdruck in einem negativen Satze steht, zu-
erst das antecedens, das Befindlichsein der Früchte auf dem
Acker, Baum u. dgl., und erst mittelst dessen das conse-
quens, die Einsammlung der Früchte, aufgehoben; ουκ ἔςι
καιρὸς σύκων heiſst also: die Feigen sind nicht auf den Bäu-
men gegenwärtig, und somit auch nicht zum Einsammeln
bereit, keineswegs aber umgekehrt: sie sind noch nicht
eingesammelt, und stehen also noch auf den Bäumen. Aber
nicht nur diese unerhörte Redefigur, daſs, während der
Form nach das antecedens aufgehoben wird, dem Sinne
nach nur das consequens aufgehoben, das antecedens aber
7) Heinsius u. A., bei Fritzsche z. d. St.
8) Maji Obs. s. bei dems.
9) Dahme, in Henke's n. Magazin, 2. Bd. 2. Heft, S. 252. Auch
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