Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Neuntes Kapitel. §. 88. die Dämonen durch Beelzebul auszutreiben, -- ohne Zwei-fel irrig, wie wir gesehen haben, aber doch wohl zum Be- weis, dass er sie eigentlich von wirklichen Dämonen ver- standen hat. Auch Matthäus stellt den Ausspruch in die Nähe jener Beschuldigung und Apologie, doch schiebt er die Zeichenforderung nebst Jesu Gegenäusserungen dazwi- schen, und lässt Jesum am Schlusse die Nutzanwendung machen: outos esai kai te genea taute te ponera. Dadurch giebt er freilich der Rede eine bildliche Beziehung auf den sittlich-religiösen Zustand seiner Zeitgenossen, aber ohne Zweifel nur so, dass er die vorangeschickte Beschrei- bung des vertriebenen und wiederkehrenden Dämons ei- gentlich von Besessenen gemeint hat, hierauf aber diesen Hergang auch wieder als Bild des moralischen Zustandes seiner Zeitgenossen wendet. Jedenfalls giebt Lukas, der diesen Beisaz nicht hat, die Rede Jesu, wie Paulus sich ausdrückt, als eine Warnung vor dämonischer Recidive. Dass nun die meisten jetzigen Theologen ohne bestimmten Vorschub von Seiten des Matthäus, und in bestimmtem Widerspruch gegen Lukas, den Ausspruch bloss bildlich fassen wollen, diess scheint nur in der Scheue seinen Grund zu haben, Jesu eine so ausgeführte Dämonologie zuzuschrei- ben, wie sie in den eigentlich gefassten Worten liegt. Ei- ner solchen aber entgeht man auch abgesehen von dieser Stelle dennoch nicht. Matth. 12, 25 f. 29. spricht Jesus von einem Reich und Haushalt des Teufels in einer Weise, welche über das blos Figürliche augenscheinlich hinaus- geht, besonders aber ist die schon angeführte Stelle, Luc. 10, 18--20. von der Art, dass sie selbst einem Paulus, der sonst den geheiligten Personen der christlichen Urge- schichte so gerne die Einsichten unsers Zeitalters leiht, das Geständniss abnöthigt, das Satansreich sei Jesu durchaus nicht bloss Symbol des Bösen gewesen, und er habe na- mentlich wirkliche Dämonenbesitzungen angenommen. Denn, sagt er ganz richtig, da hier Jesus nicht zu den Kranken, Neuntes Kapitel. §. 88. die Dämonen durch Beelzebul auszutreiben, — ohne Zwei-fel irrig, wie wir gesehen haben, aber doch wohl zum Be- weis, daſs er sie eigentlich von wirklichen Dämonen ver- standen hat. Auch Matthäus stellt den Ausspruch in die Nähe jener Beschuldigung und Apologie, doch schiebt er die Zeichenforderung nebst Jesu Gegenäusserungen dazwi- schen, und läſst Jesum am Schlusse die Nutzanwendung machen: οὕτως ἔςαι καὶ τῇ γενεᾷ ταύτῃ τῇ πονηρᾷ. Dadurch giebt er freilich der Rede eine bildliche Beziehung auf den sittlich-religiösen Zustand seiner Zeitgenossen, aber ohne Zweifel nur so, daſs er die vorangeschickte Beschrei- bung des vertriebenen und wiederkehrenden Dämons ei- gentlich von Besessenen gemeint hat, hierauf aber diesen Hergang auch wieder als Bild des moralischen Zustandes seiner Zeitgenossen wendet. Jedenfalls giebt Lukas, der diesen Beisaz nicht hat, die Rede Jesu, wie Paulus sich ausdrückt, als eine Warnung vor dämonischer Recidive. Daſs nun die meisten jetzigen Theologen ohne bestimmten Vorschub von Seiten des Matthäus, und in bestimmtem Widerspruch gegen Lukas, den Ausspruch bloſs bildlich fassen wollen, dieſs scheint nur in der Scheue seinen Grund zu haben, Jesu eine so ausgeführte Dämonologie zuzuschrei- ben, wie sie in den eigentlich gefaſsten Worten liegt. Ei- ner solchen aber entgeht man auch abgesehen von dieser Stelle dennoch nicht. Matth. 12, 25 f. 29. spricht Jesus von einem Reich und Haushalt des Teufels in einer Weise, welche über das blos Figürliche augenscheinlich hinaus- geht, besonders aber ist die schon angeführte Stelle, Luc. 10, 18—20. von der Art, daſs sie selbst einem Paulus, der sonst den geheiligten Personen der christlichen Urge- schichte so gerne die Einsichten unsers Zeitalters leiht, das Geständniſs abnöthigt, das Satansreich sei Jesu durchaus nicht bloſs Symbol des Bösen gewesen, und er habe na- mentlich wirkliche Dämonenbesitzungen angenommen. 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Neuntes Kapitel. §. 88.
die Dämonen durch Beelzebul auszutreiben, — ohne Zwei-
fel irrig, wie wir gesehen haben, aber doch wohl zum Be-
weis, daſs er sie eigentlich von wirklichen Dämonen ver-
standen hat. Auch Matthäus stellt den Ausspruch in die
Nähe jener Beschuldigung und Apologie, doch schiebt er
die Zeichenforderung nebst Jesu Gegenäusserungen dazwi-
schen, und läſst Jesum am Schlusse die Nutzanwendung
machen: οὕτως ἔςαι καὶ τῇ γενεᾷ ταύτῃ τῇ πονηρᾷ. Dadurch
giebt er freilich der Rede eine bildliche Beziehung auf
den sittlich-religiösen Zustand seiner Zeitgenossen, aber
ohne Zweifel nur so, daſs er die vorangeschickte Beschrei-
bung des vertriebenen und wiederkehrenden Dämons ei-
gentlich von Besessenen gemeint hat, hierauf aber diesen
Hergang auch wieder als Bild des moralischen Zustandes
seiner Zeitgenossen wendet. Jedenfalls giebt Lukas, der
diesen Beisaz nicht hat, die Rede Jesu, wie Paulus sich
ausdrückt, als eine Warnung vor dämonischer Recidive.
Daſs nun die meisten jetzigen Theologen ohne bestimmten
Vorschub von Seiten des Matthäus, und in bestimmtem
Widerspruch gegen Lukas, den Ausspruch bloſs bildlich
fassen wollen, dieſs scheint nur in der Scheue seinen Grund
zu haben, Jesu eine so ausgeführte Dämonologie zuzuschrei-
ben, wie sie in den eigentlich gefaſsten Worten liegt. Ei-
ner solchen aber entgeht man auch abgesehen von dieser
Stelle dennoch nicht. Matth. 12, 25 f. 29. spricht Jesus
von einem Reich und Haushalt des Teufels in einer Weise,
welche über das blos Figürliche augenscheinlich hinaus-
geht, besonders aber ist die schon angeführte Stelle, Luc.
10, 18—20. von der Art, daſs sie selbst einem Paulus,
der sonst den geheiligten Personen der christlichen Urge-
schichte so gerne die Einsichten unsers Zeitalters leiht, das
Geständniſs abnöthigt, das Satansreich sei Jesu durchaus
nicht bloſs Symbol des Bösen gewesen, und er habe na-
mentlich wirkliche Dämonenbesitzungen angenommen. Denn,
sagt er ganz richtig, da hier Jesus nicht zu den Kranken,
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