Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Zehntes Kapitel. §. 103. schen Briefen auch auf das Evangelium übertrug. In derVerklärungsgeschichte, wird hienach behauptet, habe der Jesum umleuchtende Glanz, die Verwandlung seines Aus- sehens in das Überirdische, der Meinung Vorschub lei- sten können, als sei seine menschliche Gestalt nur eine Schein- hülle gewesen, durch welche zu Zeiten seine wahre, über- menschliche Natur hindurchgeleuchtet habe; sein Verkehr mit alten Prophetengeistern habe auf die Vermuthung füh- ren können, er möge vielleicht selbst nur eine solche wie- dergekommene Seele eines A. T.lichen Frommen sein, -- und um solchen irrigen Meinungen, welche unter gnosti- sirenden Christen sich frühzeitig zu bilden anfiengen, kei- ne Nahrung zu geben, habe Johannes diese und ähnliche Geschichten lieber unterdrückt 3). Allein abgesehen davon, dass es der apostolischen paRResia nicht entspricht, mög- lichen Missbrauchs bei Einzelnen wegen Hauptfakta der evangelischen Geschichte zu unterdrücken, so müsste Jo- hannes hiebei doch mit einiger Consequenz verfahren sein, und alle Erzählungen, welche eine doketische Missdeutung in gleichem Maasse mit der gegenwärtigen hervorrufen konnten, aus dem Kreise seiner Darstellung ausgeschlos- sen haben. Nun erinnert sich aber sogleich Jeder an die Geschichte vom Wandeln Jesu auf dem See, welche min- destens ebensosehr wie die Verklärungsgeschichte die Mei- nung von einem blossen Scheinkörper Jesu hervorruft, und doch auch von Johannes aufgenommen ist. Die Wich- tigkeit freilich eines Vorfalls konnte hier noch einen Un- terschied begründen, so dass von zwei Erzählungen mit gleich stark doketischem Schein Johannes dennoch grösse- rer Wichtigkeit wegen die eine aufnahm, die minder wich- tige aber wegliess. Hier nun aber wird doch wohl Nie- mand behaupten wollen, der Gang Jesu auf dem See ste- he an Wichtigkeit der Verklärungsgeschichte voran oder 3) So Schneckenburgen, Beiträge, S. 62 ff.
Zehntes Kapitel. §. 103. schen Briefen auch auf das Evangelium übertrug. In derVerklärungsgeschichte, wird hienach behauptet, habe der Jesum umleuchtende Glanz, die Verwandlung seines Aus- sehens in das Überirdische, der Meinung Vorschub lei- sten können, als sei seine menschliche Gestalt nur eine Schein- hülle gewesen, durch welche zu Zeiten seine wahre, über- menschliche Natur hindurchgeleuchtet habe; sein Verkehr mit alten Prophetengeistern habe auf die Vermuthung füh- ren können, er möge vielleicht selbst nur eine solche wie- dergekommene Seele eines A. T.lichen Frommen sein, — und um solchen irrigen Meinungen, welche unter gnosti- sirenden Christen sich frühzeitig zu bilden anfiengen, kei- ne Nahrung zu geben, habe Johannes diese und ähnliche Geschichten lieber unterdrückt 3). Allein abgesehen davon, daſs es der apostolischen παῤῥησία nicht entspricht, mög- lichen Miſsbrauchs bei Einzelnen wegen Hauptfakta der evangelischen Geschichte zu unterdrücken, so müſste Jo- hannes hiebei doch mit einiger Consequenz verfahren sein, und alle Erzählungen, welche eine doketische Miſsdeutung in gleichem Maaſse mit der gegenwärtigen hervorrufen konnten, aus dem Kreise seiner Darstellung ausgeschlos- sen haben. Nun erinnert sich aber sogleich Jeder an die Geschichte vom Wandeln Jesu auf dem See, welche min- destens ebensosehr wie die Verklärungsgeschichte die Mei- nung von einem bloſsen Scheinkörper Jesu hervorruft, und doch auch von Johannes aufgenommen ist. Die Wich- tigkeit freilich eines Vorfalls konnte hier noch einen Un- terschied begründen, so daſs von zwei Erzählungen mit gleich stark doketischem Schein Johannes dennoch gröſse- rer Wichtigkeit wegen die eine aufnahm, die minder wich- tige aber weglieſs. Hier nun aber wird doch wohl Nie- mand behaupten wollen, der Gang Jesu auf dem See ste- he an Wichtigkeit der Verklärungsgeschichte voran oder 3) So Schneckenburgen, Beiträge, S. 62 ff.
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Zehntes Kapitel. §. 103.
schen Briefen auch auf das Evangelium übertrug. In der
Verklärungsgeschichte, wird hienach behauptet, habe der
Jesum umleuchtende Glanz, die Verwandlung seines Aus-
sehens in das Überirdische, der Meinung Vorschub lei-
sten können, als sei seine menschliche Gestalt nur eine Schein-
hülle gewesen, durch welche zu Zeiten seine wahre, über-
menschliche Natur hindurchgeleuchtet habe; sein Verkehr
mit alten Prophetengeistern habe auf die Vermuthung füh-
ren können, er möge vielleicht selbst nur eine solche wie-
dergekommene Seele eines A. T.lichen Frommen sein, —
und um solchen irrigen Meinungen, welche unter gnosti-
sirenden Christen sich frühzeitig zu bilden anfiengen, kei-
ne Nahrung zu geben, habe Johannes diese und ähnliche
Geschichten lieber unterdrückt 3). Allein abgesehen davon,
daſs es der apostolischen παῤῥησία nicht entspricht, mög-
lichen Miſsbrauchs bei Einzelnen wegen Hauptfakta der
evangelischen Geschichte zu unterdrücken, so müſste Jo-
hannes hiebei doch mit einiger Consequenz verfahren sein,
und alle Erzählungen, welche eine doketische Miſsdeutung
in gleichem Maaſse mit der gegenwärtigen hervorrufen
konnten, aus dem Kreise seiner Darstellung ausgeschlos-
sen haben. Nun erinnert sich aber sogleich Jeder an die
Geschichte vom Wandeln Jesu auf dem See, welche min-
destens ebensosehr wie die Verklärungsgeschichte die Mei-
nung von einem bloſsen Scheinkörper Jesu hervorruft,
und doch auch von Johannes aufgenommen ist. Die Wich-
tigkeit freilich eines Vorfalls konnte hier noch einen Un-
terschied begründen, so daſs von zwei Erzählungen mit
gleich stark doketischem Schein Johannes dennoch gröſse-
rer Wichtigkeit wegen die eine aufnahm, die minder wich-
tige aber weglieſs. Hier nun aber wird doch wohl Nie-
mand behaupten wollen, der Gang Jesu auf dem See ste-
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