Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Dritter Abschnitt. ner von meinen Tischgenossen, unbestimmt welcher, --so irreleitend nicht, wie Olshausen sie dafür ausgiebt. Denn auch auf die Frage der einzelnen Jünger: bin ich's? konnte ja Jesus theils immer noch eine ausweichende Ant- wort zu geben für gut finden, theils verhielt sich zu dem früheren: eis ex umon paradosei me (V. 21.), nach Kuin- öl's richtiger Bemerkung jene Antwort auch in diesem Sin- ne als angemessene Steigerung, indem sie das den Verrath noch besonders gravirende Moment der Tischgenossenschaft hervorhob. Wenn auch die Verfasser der beiden ersten Evangelien den fraglichen Ausdruck bereits so verstanden, als ob gerade Judas mit Jesu die Hand in die Schüssel ge- taucht, und somit jene Äusserung ihn persönlich bezeich- net hätte: so zeigt doch die Parallele bei Lukas, und bei Markus das dem o embaptomenos vorgesezte eis ek ton do- deka, dass ursprünglich jenes nur Epexegese von diesem war, wenn es gleich vermöge des Wunsches, eine recht bestimmte Vorherbezeichnung des Verräthers von Seiten Je- su zu haben, frühzeitig in jenem andern Sinne genommen wurde. Haben wir aber so einmal eine sagenhafte Steige- rung der Bestimmtheit jener Bezeichnung: so ist auch die Art, wie das vierte Evangelium den Verräther bezeichnet werden lässt, in diese Reihe zu ziehen, und zwar müsste sie nach Sieffert die ursprüngliche gewesen sein, von wel- cher alle übrigen ausgegangen wären. Nun aber ist sie, wenn wir das su eipas des Matthäus zum Voraus preissge- ben, die bestimmteste Bezeichnungsweise, zu welcher sich der Ausdruck: meiner Tischgenossen einer, nur als ganz unbestimmt verhält, und auch der Wink: derjenige, wel- cher jezt eben mit mir in die Schüssel taucht, war noch weniger direkt, als wenn Jesus selbst ihm den Bissen ein- tauchte und reichte. Ist es denn nun im Geist der alten Sage, die bestimmteste Bezeichnung, wenn Jesus eine sol- che gegeben hatte, fallen zu lassen, und auf unbestimmte- re zu reduciren, also das Wunder des Vorherwissens Je- Dritter Abschnitt. ner von meinen Tischgenossen, unbestimmt welcher, —so irreleitend nicht, wie Olshausen sie dafür ausgiebt. Denn auch auf die Frage der einzelnen Jünger: bin ich's? konnte ja Jesus theils immer noch eine ausweichende Ant- wort zu geben für gut finden, theils verhielt sich zu dem früheren: εἷς ἐξ ὑμῶν παραδώσει με (V. 21.), nach Kuin- öl's richtiger Bemerkung jene Antwort auch in diesem Sin- ne als angemessene Steigerung, indem sie das den Verrath noch besonders gravirende Moment der Tischgenossenschaft hervorhob. Wenn auch die Verfasser der beiden ersten Evangelien den fraglichen Ausdruck bereits so verstanden, als ob gerade Judas mit Jesu die Hand in die Schüssel ge- taucht, und somit jene Äusserung ihn persönlich bezeich- net hätte: so zeigt doch die Parallele bei Lukas, und bei Markus das dem ὁ ἐμβαπτόμενος vorgesezte εἷς ἐκ τῶν δώ- δεκα, daſs ursprünglich jenes nur Epexegese von diesem war, wenn es gleich vermöge des Wunsches, eine recht bestimmte Vorherbezeichnung des Verräthers von Seiten Je- su zu haben, frühzeitig in jenem andern Sinne genommen wurde. Haben wir aber so einmal eine sagenhafte Steige- rung der Bestimmtheit jener Bezeichnung: so ist auch die Art, wie das vierte Evangelium den Verräther bezeichnet werden läſst, in diese Reihe zu ziehen, und zwar müſste sie nach Sieffert die ursprüngliche gewesen sein, von wel- cher alle übrigen ausgegangen wären. Nun aber ist sie, wenn wir das σὺ εἶπας des Matthäus zum Voraus preiſsge- ben, die bestimmteste Bezeichnungsweise, zu welcher sich der Ausdruck: meiner Tischgenossen einer, nur als ganz unbestimmt verhält, und auch der Wink: derjenige, wel- cher jezt eben mit mir in die Schüssel taucht, war noch weniger direkt, als wenn Jesus selbst ihm den Bissen ein- tauchte und reichte. Ist es denn nun im Geist der alten Sage, die bestimmteste Bezeichnung, wenn Jesus eine sol- che gegeben hatte, fallen zu lassen, und auf unbestimmte- re zu reduciren, also das Wunder des Vorherwissens Je- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0449" n="430"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Dritter Abschnitt</hi>.</fw><lb/> ner von meinen Tischgenossen, unbestimmt welcher, —<lb/> so irreleitend nicht, wie <hi rendition="#k">Olshausen</hi> sie dafür ausgiebt.<lb/> Denn auch auf die Frage der einzelnen Jünger: bin ich's?<lb/> konnte ja Jesus theils immer noch eine ausweichende Ant-<lb/> wort zu geben für gut finden, theils verhielt sich zu dem<lb/> früheren: <foreign xml:lang="ell">εἷς ἐξ ὑμῶν παραδώσει με</foreign> (V. 21.), nach <hi rendition="#k">Kuin-<lb/> öl</hi>'s richtiger Bemerkung jene Antwort auch in diesem Sin-<lb/> ne als angemessene Steigerung, indem sie das den Verrath<lb/> noch besonders gravirende Moment der Tischgenossenschaft<lb/> hervorhob. 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Dritter Abschnitt.
ner von meinen Tischgenossen, unbestimmt welcher, —
so irreleitend nicht, wie Olshausen sie dafür ausgiebt.
Denn auch auf die Frage der einzelnen Jünger: bin ich's?
konnte ja Jesus theils immer noch eine ausweichende Ant-
wort zu geben für gut finden, theils verhielt sich zu dem
früheren: εἷς ἐξ ὑμῶν παραδώσει με (V. 21.), nach Kuin-
öl's richtiger Bemerkung jene Antwort auch in diesem Sin-
ne als angemessene Steigerung, indem sie das den Verrath
noch besonders gravirende Moment der Tischgenossenschaft
hervorhob. Wenn auch die Verfasser der beiden ersten
Evangelien den fraglichen Ausdruck bereits so verstanden,
als ob gerade Judas mit Jesu die Hand in die Schüssel ge-
taucht, und somit jene Äusserung ihn persönlich bezeich-
net hätte: so zeigt doch die Parallele bei Lukas, und bei
Markus das dem ὁ ἐμβαπτόμενος vorgesezte εἷς ἐκ τῶν δώ-
δεκα, daſs ursprünglich jenes nur Epexegese von diesem
war, wenn es gleich vermöge des Wunsches, eine recht
bestimmte Vorherbezeichnung des Verräthers von Seiten Je-
su zu haben, frühzeitig in jenem andern Sinne genommen
wurde. Haben wir aber so einmal eine sagenhafte Steige-
rung der Bestimmtheit jener Bezeichnung: so ist auch die
Art, wie das vierte Evangelium den Verräther bezeichnet
werden läſst, in diese Reihe zu ziehen, und zwar müſste
sie nach Sieffert die ursprüngliche gewesen sein, von wel-
cher alle übrigen ausgegangen wären. Nun aber ist sie,
wenn wir das σὺ εἶπας des Matthäus zum Voraus preiſsge-
ben, die bestimmteste Bezeichnungsweise, zu welcher sich
der Ausdruck: meiner Tischgenossen einer, nur als ganz
unbestimmt verhält, und auch der Wink: derjenige, wel-
cher jezt eben mit mir in die Schüssel taucht, war noch
weniger direkt, als wenn Jesus selbst ihm den Bissen ein-
tauchte und reichte. Ist es denn nun im Geist der alten
Sage, die bestimmteste Bezeichnung, wenn Jesus eine sol-
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