jekt des Bewusstseins in einem Individuum machen, das Bewusstsein aber in der Wirklichkeit nur Eine Spitze, Ei- nen Mittelpunkt haben kann: so ist jedenfalls das schlech- terdings nicht zu denken, dass zu gleicher Zeit mehrere Dämonen von einem Menschen sollten Besiz nehmen kön- nen, und es könnte die mehrfache Besitzung immer nur von einem successiven Wechsel des Besessenseins durch verschiedene Dämonen verstanden werden, und nicht wie hier ein ganzes Heer derselben zugleich im Menschen sein und zugleich ihn verlassen.
Darin nun stimmen weiterhin alle Erzählungen überein, dass die Dämonen (um nicht, wie Markus sagt, ausser Lan- des, oder nach Lukas in den Abgrund verwiesen zu wer- den) Jesum um die Erlaubniss gebeten haben, in die be- nachbarte Schweineheerde zu fahren, dass ihnen diess von Jesu gestattet worden, und sofort durch ihre Einwirkung sämmtliche Schweine (Markus, man darf nicht fragen, aus welchen Mitteln, bestimmt ihre Zahl auf 2000) in den See gestürzt und ersoffen seien. Bleibt man hier auf dem Standpunkt der Berichte, welche durchaus wirkliche Dä- monen voraussetzen, stehen, so fragt es sich: wie können Dämonen, -- eingeräumt auch, dass sie von Menschen Be- siz nehmen können, -- wie können sie aber, als in jedem Fall vernünftige Geister, den Wunsch haben und errei- chen, in thierische Bildungen einzugehen? Jede Religion und Philosophie, welche die Seelenwanderung verwirft, muss aus demselben Grunde auch die Möglichkeit eines sol- chen Überganges läugnen, und Olshausen stellt vollkom- men richtig die gadarenischen Säue im N. T. mit Bileams Esel im alten als ein ähnliches skandalon kai proskomma zusammen 19). Diesem ist er aber durch die Bemerkung, dass hier nicht an ein Eingehen der einzelnen Dämonen in die einzelnen Schweine, sondern an ein blosses Einwirken
19) S. 305. Anm.
Zweiter Abschnitt.
jekt des Bewuſstseins in einem Individuum machen, das Bewuſstsein aber in der Wirklichkeit nur Eine Spitze, Ei- nen Mittelpunkt haben kann: so ist jedenfalls das schlech- terdings nicht zu denken, daſs zu gleicher Zeit mehrere Dämonen von einem Menschen sollten Besiz nehmen kön- nen, und es könnte die mehrfache Besitzung immer nur von einem successiven Wechsel des Besessenseins durch verschiedene Dämonen verstanden werden, und nicht wie hier ein ganzes Heer derselben zugleich im Menschen sein und zugleich ihn verlassen.
Darin nun stimmen weiterhin alle Erzählungen überein, daſs die Dämonen (um nicht, wie Markus sagt, ausser Lan- des, oder nach Lukas in den Abgrund verwiesen zu wer- den) Jesum um die Erlaubniſs gebeten haben, in die be- nachbarte Schweineheerde zu fahren, daſs ihnen dieſs von Jesu gestattet worden, und sofort durch ihre Einwirkung sämmtliche Schweine (Markus, man darf nicht fragen, aus welchen Mitteln, bestimmt ihre Zahl auf 2000) in den See gestürzt und ersoffen seien. Bleibt man hier auf dem Standpunkt der Berichte, welche durchaus wirkliche Dä- monen voraussetzen, stehen, so fragt es sich: wie können Dämonen, — eingeräumt auch, daſs sie von Menschen Be- siz nehmen können, — wie können sie aber, als in jedem Fall vernünftige Geister, den Wunsch haben und errei- chen, in thierische Bildungen einzugehen? Jede Religion und Philosophie, welche die Seelenwanderung verwirft, muſs aus demselben Grunde auch die Möglichkeit eines sol- chen Überganges läugnen, und Olshausen stellt vollkom- men richtig die gadarenischen Säue im N. T. mit Bileams Esel im alten als ein ähnliches σκάνδαλον καὶ πρόσκομμα zusammen 19). Diesem ist er aber durch die Bemerkung, daſs hier nicht an ein Eingehen der einzelnen Dämonen in die einzelnen Schweine, sondern an ein bloſses Einwirken
19) S. 305. Anm.
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Zweiter Abschnitt.
jekt des Bewuſstseins in einem Individuum machen, das
Bewuſstsein aber in der Wirklichkeit nur Eine Spitze, Ei-
nen Mittelpunkt haben kann: so ist jedenfalls das schlech-
terdings nicht zu denken, daſs zu gleicher Zeit mehrere
Dämonen von einem Menschen sollten Besiz nehmen kön-
nen, und es könnte die mehrfache Besitzung immer nur
von einem successiven Wechsel des Besessenseins durch
verschiedene Dämonen verstanden werden, und nicht wie
hier ein ganzes Heer derselben zugleich im Menschen sein
und zugleich ihn verlassen.
Darin nun stimmen weiterhin alle Erzählungen überein,
daſs die Dämonen (um nicht, wie Markus sagt, ausser Lan-
des, oder nach Lukas in den Abgrund verwiesen zu wer-
den) Jesum um die Erlaubniſs gebeten haben, in die be-
nachbarte Schweineheerde zu fahren, daſs ihnen dieſs von
Jesu gestattet worden, und sofort durch ihre Einwirkung
sämmtliche Schweine (Markus, man darf nicht fragen, aus
welchen Mitteln, bestimmt ihre Zahl auf 2000) in den See
gestürzt und ersoffen seien. Bleibt man hier auf dem
Standpunkt der Berichte, welche durchaus wirkliche Dä-
monen voraussetzen, stehen, so fragt es sich: wie können
Dämonen, — eingeräumt auch, daſs sie von Menschen Be-
siz nehmen können, — wie können sie aber, als in jedem
Fall vernünftige Geister, den Wunsch haben und errei-
chen, in thierische Bildungen einzugehen? Jede Religion
und Philosophie, welche die Seelenwanderung verwirft,
muſs aus demselben Grunde auch die Möglichkeit eines sol-
chen Überganges läugnen, und Olshausen stellt vollkom-
men richtig die gadarenischen Säue im N. T. mit Bileams
Esel im alten als ein ähnliches σκάνδαλον καὶ πρόσκομμα
zusammen 19). Diesem ist er aber durch die Bemerkung,
daſs hier nicht an ein Eingehen der einzelnen Dämonen in
die einzelnen Schweine, sondern an ein bloſses Einwirken
19) S. 305. Anm.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/51>, abgerufen am 21.11.2024.
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