Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Neuntes Kapitel. §. 89. sämmtlicher bösen Geister auf die Thiermasse zu denkensei, mehr ausgewichen, als dass er darüber hinweggekom- men wäre. Denn das eiselthein eis tous khoirous, wie es dem exelthein ek tou anthropou gegenübersteht, kann doch unmög- lich etwas Anderes bedeuten, als dass die Dämonen in das- selbe Verhältniss, in welchem sie bisher zu den besessenen Menschen gestanden, nunmehr zu den Schweinen getre- ten seien; auch konnte sie vor der Verbannung ausser Lands oder in den Abgrund nicht ein blosses Einwirken, sondern nur ein wirkliches Einwohnen in den Leibern der Thiere bewahren: so dass jenes skandalon stehen bleibt. Unmöglich also kann jene Bitte von wirklichen Dämonen, sondern nur etwa von jüdischen Wahnsinnigen vorgebracht worden sein, nach den Vorstellungen ihres Volks. Ohne leibliche Hülle zu sein, macht diesen zufolge den bösen Geistern Qual, weil sie ohne Leib ihre sinnlichen Lüste nicht befriedigen können 20); waren sie daher aus den Menschen ausgetrieben, so mussten sie in Thierleiber zu fahren wünschen, und was taugte für ein pneuma akatharton besser, als ein zoon akatharton, wie das Schwein war? 21) So weit könnten also die Evangelisten in diesem Punkt das Faktische richtig wiedergeben, indem sie nur ihrer Vor- stellung gemäss den Dämonen zuschrieben, was vielmehr die Kranken aus ihrem Wahne heraus sprachen. Nun aber, wenn es weiter heisst, die Dämonen seien in die Schweine gefahren, berichten da die Evangelisten nicht eine offenbare Unmöglichkeit? Paulus meint, auch hier, wie sonst immer, identificiren die Evangelisten die besesse- nen Menschen mit den sie besitzenden Dämonen, und schrei- 20) Clem. hom. 9, 10. 21) Fritzsche, in Matth. p. 332. Nach Eisenmenger 2, 447 ff. hal- ten sich, der jüdischen Vorstellung gemäss, die Dämonen überhaupt gern an unreinen Orten auf, und in Jalkut Rube- ni f. 10, 2. (bei Wetstein) findet sich die Notiz: Anima ido- lolatrarum, quae venit a spiritu immundo, vocatur porcus. Das Leben Jesu II. Band. 3
Neuntes Kapitel. §. 89. sämmtlicher bösen Geister auf die Thiermasse zu denkensei, mehr ausgewichen, als daſs er darüber hinweggekom- men wäre. Denn das εἰσελϑεῖν εἰς τοὺς χοίρους, wie es dem ἐξελϑεῖν ἐκ τοῦ ἀνϑρώπου gegenübersteht, kann doch unmög- lich etwas Anderes bedeuten, als daſs die Dämonen in das- selbe Verhältniſs, in welchem sie bisher zu den besessenen Menschen gestanden, nunmehr zu den Schweinen getre- ten seien; auch konnte sie vor der Verbannung ausser Lands oder in den Abgrund nicht ein bloſses Einwirken, sondern nur ein wirkliches Einwohnen in den Leibern der Thiere bewahren: so daſs jenes σκάνδαλον stehen bleibt. Unmöglich also kann jene Bitte von wirklichen Dämonen, sondern nur etwa von jüdischen Wahnsinnigen vorgebracht worden sein, nach den Vorstellungen ihres Volks. Ohne leibliche Hülle zu sein, macht diesen zufolge den bösen Geistern Qual, weil sie ohne Leib ihre sinnlichen Lüste nicht befriedigen können 20); waren sie daher aus den Menschen ausgetrieben, so muſsten sie in Thierleiber zu fahren wünschen, und was taugte für ein πνεῦμα ἀκάϑαρτον besser, als ein ζῶον ἀκάϑαρτον, wie das Schwein war? 21) So weit könnten also die Evangelisten in diesem Punkt das Faktische richtig wiedergeben, indem sie nur ihrer Vor- stellung gemäſs den Dämonen zuschrieben, was vielmehr die Kranken aus ihrem Wahne heraus sprachen. Nun aber, wenn es weiter heiſst, die Dämonen seien in die Schweine gefahren, berichten da die Evangelisten nicht eine offenbare Unmöglichkeit? Paulus meint, auch hier, wie sonst immer, identificiren die Evangelisten die besesse- nen Menschen mit den sie besitzenden Dämonen, und schrei- 20) Clem. hom. 9, 10. 21) Fritzsche, in Matth. p. 332. Nach Eisenmenger 2, 447 ff. hal- ten sich, der jüdischen Vorstellung gemäss, die Dämonen überhaupt gern an unreinen Orten auf, und in Jalkut Rube- ni f. 10, 2. (bei Wetstein) findet sich die Notiz: Anima ido- lolatrarum, quae venit a spiritu immundo, vocatur porcus. Das Leben Jesu II. Band. 3
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Neuntes Kapitel. §. 89.
sämmtlicher bösen Geister auf die Thiermasse zu denken
sei, mehr ausgewichen, als daſs er darüber hinweggekom-
men wäre. Denn das εἰσελϑεῖν εἰς τοὺς χοίρους, wie es dem
ἐξελϑεῖν ἐκ τοῦ ἀνϑρώπου gegenübersteht, kann doch unmög-
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selbe Verhältniſs, in welchem sie bisher zu den besessenen
Menschen gestanden, nunmehr zu den Schweinen getre-
ten seien; auch konnte sie vor der Verbannung ausser
Lands oder in den Abgrund nicht ein bloſses Einwirken,
sondern nur ein wirkliches Einwohnen in den Leibern der
Thiere bewahren: so daſs jenes σκάνδαλον stehen bleibt.
Unmöglich also kann jene Bitte von wirklichen Dämonen,
sondern nur etwa von jüdischen Wahnsinnigen vorgebracht
worden sein, nach den Vorstellungen ihres Volks. Ohne
leibliche Hülle zu sein, macht diesen zufolge den bösen
Geistern Qual, weil sie ohne Leib ihre sinnlichen Lüste
nicht befriedigen können 20); waren sie daher aus den
Menschen ausgetrieben, so muſsten sie in Thierleiber zu
fahren wünschen, und was taugte für ein πνεῦμα ἀκάϑαρτον
besser, als ein ζῶον ἀκάϑαρτον, wie das Schwein war? 21)
So weit könnten also die Evangelisten in diesem Punkt das
Faktische richtig wiedergeben, indem sie nur ihrer Vor-
stellung gemäſs den Dämonen zuschrieben, was vielmehr
die Kranken aus ihrem Wahne heraus sprachen. Nun
aber, wenn es weiter heiſst, die Dämonen seien in die
Schweine gefahren, berichten da die Evangelisten nicht
eine offenbare Unmöglichkeit? Paulus meint, auch hier,
wie sonst immer, identificiren die Evangelisten die besesse-
nen Menschen mit den sie besitzenden Dämonen, und schrei-
20) Clem. hom. 9, 10.
21) Fritzsche, in Matth. p. 332. Nach Eisenmenger 2, 447 ff. hal-
ten sich, der jüdischen Vorstellung gemäss, die Dämonen
überhaupt gern an unreinen Orten auf, und in Jalkut Rube-
ni f. 10, 2. (bei Wetstein) findet sich die Notiz: Anima ido-
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