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Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.

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Achtzehnte Betrachtung.
ten hinausführte. Es war ein Werk seiner Vorsehung,
daß er die arglistige Klugheit, nach welcher die Juden Je-
sum in die Hände der Heiden überantworteten, zu solchen
Absichten lenkte, welche zur Vollführung des grossen Werks
der Versohnung erfordert wurden. Die Feinde Jesu han-
delten in diesem Stück nach dem verkehrten Rath ihres Her-
zens. Sie suchten durch die Ueberlieferung Jesu an die
Heiden, den Haß des Volks auf die Römer zu wälzen,
und eine solche Todesstrafe für ihn zu veranstalten, durch
welche er in den Augen der ganzen Nation zum Abschen
werden könnte. Ihr frevelhafter Vorsatz gelang ihnen;
aber die Folgen desselben hiengen von der Regierung einer
höhern Weisheit ab. Sie gedachten es böse zu machen,
aber Gott gedachte es gut zu machen. Ohne die geringste
Verletzung seiner Heiligkeit, war es sein zuvorbedachter
Rath, daß Jesus in die Hände der Heiden überantwortet
werden sollte.

Wäre Jesus unter den Händen seines Volks ge-
storben, so würde sich die Nachricht seines Todes nicht
so leicht auch in den heidnischen Provinzen ausgebreitet ha-
ben: sie würde blos innerhalb den Gränzen des Jüdischen
Landes geblieben seyn. Rom und Griechenland würde
nicht so leicht etwas davon vernommen haben. Aber da
Jesus durch gemeinschaftliche Bemühung der Juden und
Heiden hingerichtet wurde, so wurde sein Tod desto rucht-
barer, und selbst unter denjenigen Völkern bekannt, die
in keiner Verbindung mit den Juden standen. Das Ge-
rüchte von einem gekreuzigten Wunderthäter machte dem
Evangelio schon vorher Bahn, ehe noch die Apostel in die
heidnischen Provinzen ausgehen konnten. Viele, die von
dieser Begebenheit hörten, wurden dadurch für Jesum
eingenommen, zum wenigsten durch sein Betragen zum
Mitleiden bewogen. Und nun konnten sich die Zeugen

Je-

Achtzehnte Betrachtung.
ten hinausführte. Es war ein Werk ſeiner Vorſehung,
daß er die argliſtige Klugheit, nach welcher die Juden Je-
ſum in die Hände der Heiden überantworteten, zu ſolchen
Abſichten lenkte, welche zur Vollführung des groſſen Werks
der Verſohnung erfordert wurden. Die Feinde Jeſu han-
delten in dieſem Stück nach dem verkehrten Rath ihres Her-
zens. Sie ſuchten durch die Ueberlieferung Jeſu an die
Heiden, den Haß des Volks auf die Römer zu wälzen,
und eine ſolche Todesſtrafe für ihn zu veranſtalten, durch
welche er in den Augen der ganzen Nation zum Abſchen
werden könnte. Ihr frevelhafter Vorſatz gelang ihnen;
aber die Folgen deſſelben hiengen von der Regierung einer
höhern Weisheit ab. Sie gedachten es böſe zu machen,
aber Gott gedachte es gut zu machen. Ohne die geringſte
Verletzung ſeiner Heiligkeit, war es ſein zuvorbedachter
Rath, daß Jeſus in die Hände der Heiden überantwortet
werden ſollte.

Wäre Jeſus unter den Händen ſeines Volks ge-
ſtorben, ſo würde ſich die Nachricht ſeines Todes nicht
ſo leicht auch in den heidniſchen Provinzen ausgebreitet ha-
ben: ſie würde blos innerhalb den Gränzen des Jüdiſchen
Landes geblieben ſeyn. Rom und Griechenland würde
nicht ſo leicht etwas davon vernommen haben. Aber da
Jeſus durch gemeinſchaftliche Bemühung der Juden und
Heiden hingerichtet wurde, ſo wurde ſein Tod deſto rucht-
barer, und ſelbſt unter denjenigen Völkern bekannt, die
in keiner Verbindung mit den Juden ſtanden. Das Ge-
rüchte von einem gekreuzigten Wunderthäter machte dem
Evangelio ſchon vorher Bahn, ehe noch die Apoſtel in die
heidniſchen Provinzen ausgehen konnten. Viele, die von
dieſer Begebenheit hörten, wurden dadurch für Jeſum
eingenommen, zum wenigſten durch ſein Betragen zum
Mitleiden bewogen. Und nun konnten ſich die Zeugen

Je-
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[84/0106] Achtzehnte Betrachtung. ten hinausführte. Es war ein Werk ſeiner Vorſehung, daß er die argliſtige Klugheit, nach welcher die Juden Je- ſum in die Hände der Heiden überantworteten, zu ſolchen Abſichten lenkte, welche zur Vollführung des groſſen Werks der Verſohnung erfordert wurden. Die Feinde Jeſu han- delten in dieſem Stück nach dem verkehrten Rath ihres Her- zens. Sie ſuchten durch die Ueberlieferung Jeſu an die Heiden, den Haß des Volks auf die Römer zu wälzen, und eine ſolche Todesſtrafe für ihn zu veranſtalten, durch welche er in den Augen der ganzen Nation zum Abſchen werden könnte. Ihr frevelhafter Vorſatz gelang ihnen; aber die Folgen deſſelben hiengen von der Regierung einer höhern Weisheit ab. Sie gedachten es böſe zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen. Ohne die geringſte Verletzung ſeiner Heiligkeit, war es ſein zuvorbedachter Rath, daß Jeſus in die Hände der Heiden überantwortet werden ſollte. Wäre Jeſus unter den Händen ſeines Volks ge- ſtorben, ſo würde ſich die Nachricht ſeines Todes nicht ſo leicht auch in den heidniſchen Provinzen ausgebreitet ha- ben: ſie würde blos innerhalb den Gränzen des Jüdiſchen Landes geblieben ſeyn. Rom und Griechenland würde nicht ſo leicht etwas davon vernommen haben. Aber da Jeſus durch gemeinſchaftliche Bemühung der Juden und Heiden hingerichtet wurde, ſo wurde ſein Tod deſto rucht- barer, und ſelbſt unter denjenigen Völkern bekannt, die in keiner Verbindung mit den Juden ſtanden. Das Ge- rüchte von einem gekreuzigten Wunderthäter machte dem Evangelio ſchon vorher Bahn, ehe noch die Apoſtel in die heidniſchen Provinzen ausgehen konnten. Viele, die von dieſer Begebenheit hörten, wurden dadurch für Jeſum eingenommen, zum wenigſten durch ſein Betragen zum Mitleiden bewogen. Und nun konnten ſich die Zeugen Je-

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Zitationshilfe: Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/106>, abgerufen am 26.06.2024.