Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sulzer, Johann Georg: Beschreibung einiger Merckwüdigkeiten, Welche er in einer Ao. 1742. gemachten Berg-Reise durch einige Oerter der Schweitz beobachtet hat. Zürich, 1742.

Bild:
<< vorherige Seite

Beschreibung einiger Merckwürdigkeiten
See hat sein Wasser meistens von dem dortstehenden Crispalt; er thei-
let dieselbe aber auch wieder reichlich aus, denn gegen Abend fließt ein
Andrer Ur-
sprung der
Reuß, und
des vordern
Rheins.
Bach heraus, welcher bey dem Dorffe an der Matt in die Reuß
laufft, und fast eben so groß ist, als der Arm, welcher von dem Gott-
hard kommt; daher dieser See vor die zweyte Quelle der Reuß zu
halten ist. Gegen Morgen laufft ein anderer Bach heraus in das
Bündtner-Land hinüber, aus welchem hernach der obere oder vor-
dere Rhein wird; daher dieser berühmte Fluß hier den ersten Ur-
Schnee.sprung hat. Als wir bey diesem See waren, fienge es an zu schneyen,
und aus dem vielen Schnee, welcher auf den Bergen war, konten
wir abnehmen, daß er diesen Morgen in grosser Menge müßte ge-
fallen seyn. Hier sahen wir einen Hirten, welcher sehr häßlich und
schwartz, oder vielmehr etwas kupferroth, wie ein Mohr aussahe.
Man sagte uns, dieses komme von den heftigen und kalten Winden
her, welche diese Leute den gantzen Tag auszustehen haben. Von
dem See giengen wir gerade gegen Morgen, über eine kleine Höhe
in das Bündtner-Land. Wir kamen hier in eine Hütte, in welcher
Crystalle.verschiedne Crystallen von allerley Farben in einem Milchgeschirr la-
gen. Jch wolte einige davon nehmen, und bote dem Knaben, wel-
cher dabey war, eine Hand voll Geld an um die Bezahlung vor die
Crystallen davon zu nehmen; er sagte mir aber in seiner Bündtne-
rischen Sprache etwas, das ich eben so wenig verstanden habe, als er
das, was ich gesagt, und wolte mir die Crystalle nicht lassen; ergabe
mir zu verstehen, daß sie von dem benachbarten Berg wären, welchen
er Silebozen nennte; dieser ist aber nichts anders als ein Theil des
Crispalts. Jn der That hat dieser Berg das rechte Ansehen zu den
Crystallen. Dieser Knabe mußte uns den Weg weisen, und fande
im herabgehen würcklich ein paar kleine Crystallen, welche in freyem
Felde lagen. Wir kamen also aus einem Thal in das andre hinab,
durch welches der vordere Rhein fliesset; als wir aber hinunter zu
seyn vermeynten, sahen wir mit Verwunderung, daß wir noch auf
einem Berg waren. Wir folgten dem Lauff des vordern Rheins,
welcher in dem Thal vor uns herflosse, und sahen ein paar Dörffgen,
in welche wir gern hinabgestiegen wären, wenn wir uns getraut hät-
ten fortzukommen. Doch wagten wir es bey einem andern, da wir
denn durch einen unbeschreiblich schlimmen und steilen Weg in das
Selves.kleine Dorff Selves kamen, wo wir vor unsre hungrige Magen nichts

wür-

Beſchreibung einiger Merckwuͤrdigkeiten
See hat ſein Waſſer meiſtens von dem dortſtehenden Criſpalt; er thei-
let dieſelbe aber auch wieder reichlich aus, denn gegen Abend fließt ein
Andrer Ur-
ſprung der
Reuß, und
des vordern
Rheins.
Bach heraus, welcher bey dem Dorffe an der Matt in die Reuß
laufft, und faſt eben ſo groß iſt, als der Arm, welcher von dem Gott-
hard kommt; daher dieſer See vor die zweyte Quelle der Reuß zu
halten iſt. Gegen Morgen laufft ein anderer Bach heraus in das
Buͤndtner-Land hinuͤber, aus welchem hernach der obere oder vor-
dere Rhein wird; daher dieſer beruͤhmte Fluß hier den erſten Ur-
Schnee.ſprung hat. Als wir bey dieſem See waren, fienge es an zu ſchneyen,
und aus dem vielen Schnee, welcher auf den Bergen war, konten
wir abnehmen, daß er dieſen Morgen in groſſer Menge muͤßte ge-
fallen ſeyn. Hier ſahen wir einen Hirten, welcher ſehr haͤßlich und
ſchwartz, oder vielmehr etwas kupferroth, wie ein Mohr ausſahe.
Man ſagte uns, dieſes komme von den heftigen und kalten Winden
her, welche dieſe Leute den gantzen Tag auszuſtehen haben. Von
dem See giengen wir gerade gegen Morgen, uͤber eine kleine Hoͤhe
in das Buͤndtner-Land. Wir kamen hier in eine Huͤtte, in welcher
Cryſtalle.verſchiedne Cryſtallen von allerley Farben in einem Milchgeſchirꝛ la-
gen. Jch wolte einige davon nehmen, und bote dem Knaben, wel-
cher dabey war, eine Hand voll Geld an um die Bezahlung vor die
Cryſtallen davon zu nehmen; er ſagte mir aber in ſeiner Buͤndtne-
riſchen Sprache etwas, das ich eben ſo wenig verſtanden habe, als er
das, was ich geſagt, und wolte mir die Cryſtalle nicht laſſen; ergabe
mir zu verſtehen, daß ſie von dem benachbarten Berg waͤren, welchen
er Silebozen nennte; dieſer iſt aber nichts anders als ein Theil des
Criſpalts. Jn der That hat dieſer Berg das rechte Anſehen zu den
Cryſtallen. Dieſer Knabe mußte uns den Weg weiſen, und fande
im herabgehen wuͤrcklich ein paar kleine Cryſtallen, welche in freyem
Felde lagen. Wir kamen alſo aus einem Thal in das andre hinab,
durch welches der vordere Rhein flieſſet; als wir aber hinunter zu
ſeyn vermeynten, ſahen wir mit Verwunderung, daß wir noch auf
einem Berg waren. Wir folgten dem Lauff des vordern Rheins,
welcher in dem Thal vor uns herfloſſe, und ſahen ein paar Doͤrffgen,
in welche wir gern hinabgeſtiegen waͤren, wenn wir uns getraut haͤt-
ten fortzukommen. Doch wagten wir es bey einem andern, da wir
denn durch einen unbeſchreiblich ſchlimmen und ſteilen Weg in das
Selves.kleine Dorff Selves kamen, wo wir vor unſre hungrige Magen nichts

wuͤr-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="diaryEntry" n="2">
          <p><pb facs="#f0068" n="60"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Be&#x017F;chreibung einiger Merckwu&#x0364;rdigkeiten</hi></fw><lb/>
See hat &#x017F;ein Wa&#x017F;&#x017F;er mei&#x017F;tens von dem dort&#x017F;tehenden Cri&#x017F;palt; er thei-<lb/>
let die&#x017F;elbe aber auch wieder reichlich aus, denn gegen Abend fließt ein<lb/><note place="left">Andrer Ur-<lb/>
&#x017F;prung der<lb/>
Reuß, und<lb/>
des vordern<lb/>
Rheins.</note>Bach heraus, welcher bey dem Dorffe an der Matt in die Reuß<lb/>
laufft, und fa&#x017F;t eben &#x017F;o groß i&#x017F;t, als der Arm, welcher von dem Gott-<lb/>
hard kommt; daher die&#x017F;er See vor die zweyte Quelle der Reuß zu<lb/>
halten i&#x017F;t. Gegen Morgen laufft ein anderer Bach heraus in das<lb/>
Bu&#x0364;ndtner-Land hinu&#x0364;ber, aus welchem hernach der obere oder vor-<lb/>
dere Rhein wird; daher die&#x017F;er beru&#x0364;hmte Fluß hier den er&#x017F;ten Ur-<lb/><note place="left">Schnee.</note>&#x017F;prung hat. Als wir bey die&#x017F;em See waren, fienge es an zu &#x017F;chneyen,<lb/>
und aus dem vielen Schnee, welcher auf den Bergen war, konten<lb/>
wir abnehmen, daß er die&#x017F;en Morgen in gro&#x017F;&#x017F;er Menge mu&#x0364;ßte ge-<lb/>
fallen &#x017F;eyn. Hier &#x017F;ahen wir einen Hirten, welcher &#x017F;ehr ha&#x0364;ßlich und<lb/>
&#x017F;chwartz, oder vielmehr etwas kupferroth, wie ein Mohr aus&#x017F;ahe.<lb/>
Man &#x017F;agte uns, die&#x017F;es komme von den heftigen und kalten Winden<lb/>
her, welche die&#x017F;e Leute den gantzen Tag auszu&#x017F;tehen haben. Von<lb/>
dem See giengen wir gerade gegen Morgen, u&#x0364;ber eine kleine Ho&#x0364;he<lb/>
in das Bu&#x0364;ndtner-Land. Wir kamen hier in eine Hu&#x0364;tte, in welcher<lb/><note place="left">Cry&#x017F;talle.</note>ver&#x017F;chiedne Cry&#x017F;tallen von allerley Farben in einem Milchge&#x017F;chir&#xA75B; la-<lb/>
gen. Jch wolte einige davon nehmen, und bote dem Knaben, wel-<lb/>
cher dabey war, eine Hand voll Geld an um die Bezahlung vor die<lb/>
Cry&#x017F;tallen davon zu nehmen; er &#x017F;agte mir aber in &#x017F;einer Bu&#x0364;ndtne-<lb/>
ri&#x017F;chen Sprache etwas, das ich eben &#x017F;o wenig ver&#x017F;tanden habe, als er<lb/>
das, was ich ge&#x017F;agt, und wolte mir die Cry&#x017F;talle nicht la&#x017F;&#x017F;en; ergabe<lb/>
mir zu ver&#x017F;tehen, daß &#x017F;ie von dem benachbarten Berg wa&#x0364;ren, welchen<lb/>
er <hi rendition="#aq">Silebozen</hi> nennte; die&#x017F;er i&#x017F;t aber nichts anders als ein Theil des<lb/>
Cri&#x017F;palts. Jn der That hat die&#x017F;er Berg das rechte An&#x017F;ehen zu den<lb/>
Cry&#x017F;tallen. Die&#x017F;er Knabe mußte uns den Weg wei&#x017F;en, und fande<lb/>
im herabgehen wu&#x0364;rcklich ein paar kleine Cry&#x017F;tallen, welche in freyem<lb/>
Felde lagen. Wir kamen al&#x017F;o aus einem Thal in das andre hinab,<lb/>
durch welches der vordere Rhein flie&#x017F;&#x017F;et; als wir aber hinunter zu<lb/>
&#x017F;eyn vermeynten, &#x017F;ahen wir mit Verwunderung, daß wir noch auf<lb/>
einem Berg waren. Wir folgten dem Lauff des vordern Rheins,<lb/>
welcher in dem Thal vor uns herflo&#x017F;&#x017F;e, und &#x017F;ahen ein paar Do&#x0364;rffgen,<lb/>
in welche wir gern hinabge&#x017F;tiegen wa&#x0364;ren, wenn wir uns getraut ha&#x0364;t-<lb/>
ten fortzukommen. Doch wagten wir es bey einem andern, da wir<lb/>
denn durch einen unbe&#x017F;chreiblich &#x017F;chlimmen und &#x017F;teilen Weg in das<lb/><note place="left"><hi rendition="#aq">Selves.</hi></note>kleine Dorff <hi rendition="#aq">Selves</hi> kamen, wo wir vor un&#x017F;re hungrige Magen nichts<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wu&#x0364;r-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[60/0068] Beſchreibung einiger Merckwuͤrdigkeiten See hat ſein Waſſer meiſtens von dem dortſtehenden Criſpalt; er thei- let dieſelbe aber auch wieder reichlich aus, denn gegen Abend fließt ein Bach heraus, welcher bey dem Dorffe an der Matt in die Reuß laufft, und faſt eben ſo groß iſt, als der Arm, welcher von dem Gott- hard kommt; daher dieſer See vor die zweyte Quelle der Reuß zu halten iſt. Gegen Morgen laufft ein anderer Bach heraus in das Buͤndtner-Land hinuͤber, aus welchem hernach der obere oder vor- dere Rhein wird; daher dieſer beruͤhmte Fluß hier den erſten Ur- ſprung hat. Als wir bey dieſem See waren, fienge es an zu ſchneyen, und aus dem vielen Schnee, welcher auf den Bergen war, konten wir abnehmen, daß er dieſen Morgen in groſſer Menge muͤßte ge- fallen ſeyn. Hier ſahen wir einen Hirten, welcher ſehr haͤßlich und ſchwartz, oder vielmehr etwas kupferroth, wie ein Mohr ausſahe. Man ſagte uns, dieſes komme von den heftigen und kalten Winden her, welche dieſe Leute den gantzen Tag auszuſtehen haben. Von dem See giengen wir gerade gegen Morgen, uͤber eine kleine Hoͤhe in das Buͤndtner-Land. Wir kamen hier in eine Huͤtte, in welcher verſchiedne Cryſtallen von allerley Farben in einem Milchgeſchirꝛ la- gen. Jch wolte einige davon nehmen, und bote dem Knaben, wel- cher dabey war, eine Hand voll Geld an um die Bezahlung vor die Cryſtallen davon zu nehmen; er ſagte mir aber in ſeiner Buͤndtne- riſchen Sprache etwas, das ich eben ſo wenig verſtanden habe, als er das, was ich geſagt, und wolte mir die Cryſtalle nicht laſſen; ergabe mir zu verſtehen, daß ſie von dem benachbarten Berg waͤren, welchen er Silebozen nennte; dieſer iſt aber nichts anders als ein Theil des Criſpalts. Jn der That hat dieſer Berg das rechte Anſehen zu den Cryſtallen. Dieſer Knabe mußte uns den Weg weiſen, und fande im herabgehen wuͤrcklich ein paar kleine Cryſtallen, welche in freyem Felde lagen. Wir kamen alſo aus einem Thal in das andre hinab, durch welches der vordere Rhein flieſſet; als wir aber hinunter zu ſeyn vermeynten, ſahen wir mit Verwunderung, daß wir noch auf einem Berg waren. Wir folgten dem Lauff des vordern Rheins, welcher in dem Thal vor uns herfloſſe, und ſahen ein paar Doͤrffgen, in welche wir gern hinabgeſtiegen waͤren, wenn wir uns getraut haͤt- ten fortzukommen. Doch wagten wir es bey einem andern, da wir denn durch einen unbeſchreiblich ſchlimmen und ſteilen Weg in das kleine Dorff Selves kamen, wo wir vor unſre hungrige Magen nichts wuͤr- Andrer Ur- ſprung der Reuß, und des vordern Rheins. Schnee. Cryſtalle. Selves.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1742
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1742/68
Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Beschreibung einiger Merckwüdigkeiten, Welche er in einer Ao. 1742. gemachten Berg-Reise durch einige Oerter der Schweitz beobachtet hat. Zürich, 1742, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1742/68>, abgerufen am 21.11.2024.