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Sulzer, Johann Georg: Beschreibung einiger Merckwüdigkeiten, Welche er in einer Ao. 1742. gemachten Berg-Reise durch einige Oerter der Schweitz beobachtet hat. Zürich, 1742.

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des Schweitzerlandes.
würden gefunden haben, wenn uns nicht der Priester des Orts (wel-
cher zu allem Glücke in seinen zerrißnen Kleidern unter dem Hause,
oder vielmehr unter der Hütte gestanden ist) persönlich etliche Eyer
gekocht, und vor den Durst etwas Milch gegeben hätte; dieser sagte
uns, daß wir wolgethan hätten, wenn wir noch weiter auf dem obern
Weg fortgegangen wären, weil wir so durch einen sehr richtigen
Weg nach St. Giacomo gekommen wären. Hier zu Selves war es
noch Frühling, indem der Roggen, welcher da wächßt, noch nicht recht
aus der Blüthe war. Wir giengen noch durch St. Giacomo auf
Tavetsch, wo wir übernacht blieben.

Von Urselen bis auf den See in der
Ober-Alp 2. St.
von da auf Selves 3. St.
von Selves auf St. Giac. 1. St.
und von dort auf Tavetsch 1/2. St.
Summa 61/2. Stund.

Dieses Thal, in welchem verschiedne Dörffer liegen, als Selves, St.
Giacomo, Disentis, Sanvvix, Truns &c.
ist sehr enge, und hat auf
beyden Seiten grosse Berge. Es sind in demselben alle 4. Jahrs-Alle 4.
Jahrs-Zei-
ten auf ein-
mal.

Zeiten auf einmal anzutreffen. Heute hatten wir den Winter und
den Frühling, den folgenden Tag aber hatten wir Sommer und
Herbst.

Den 22. August.

Wir giengen von Tavetsch auf Disentis, da nichts sonderbar merck-
würdiges ist; von Disentis kamen wir auf Sanwix, wo schon völliger
Sommer war, indem die Kirschen gelesen, und das Getrayde einge-
sammelt wurden. Bey diesem Dorff ist eine Reyhe nicht gar grosser
mit Holz fast überall bewachsner Berge, welche sehr reich sind an
allerley Sorten von Metall-trächtigen Mineralien. Weil meineMineralien.
Gesundheit schon gestern auf ein neues zu wancken angefangen, so
nahme ich die Zeit nicht, dieselbe näher in Augenschein zu nehmen,
sondern eilete fort. Von Sanwix geht die Reise nach Truns. Hier
steht eine Capelle, an welcher in alten dentschen Versen (sonst wird
hier noch welsch geredt) der Anfang des Bundes in diesen Landen,Der erste
Bund in
Bündten.

welcher A. 1424. beschworen worden, beschrieben wird. Die Ursache
dazu war, wie in der Schweitz, die Tyranney der Vögten, deren es
in dem Bündtner-Land sehr viele gehabt, wie die häuffige zerstöhrte

Schlös-
H 3

des Schweitzerlandes.
wuͤrden gefunden haben, wenn uns nicht der Prieſter des Orts (wel-
cher zu allem Gluͤcke in ſeinen zerrißnen Kleidern unter dem Hauſe,
oder vielmehr unter der Huͤtte geſtanden iſt) perſoͤnlich etliche Eyer
gekocht, und vor den Durſt etwas Milch gegeben haͤtte; dieſer ſagte
uns, daß wir wolgethan haͤtten, wenn wir noch weiter auf dem obern
Weg fortgegangen waͤren, weil wir ſo durch einen ſehr richtigen
Weg nach St. Giacomo gekommen waͤren. Hier zu Selves war es
noch Fruͤhling, indem der Roggen, welcher da waͤchßt, noch nicht recht
aus der Bluͤthe war. Wir giengen noch durch St. Giacomo auf
Tavetſch, wo wir uͤbernacht blieben.

Von Urſelen bis auf den See in der
Ober-Alp 2. St.
von da auf Selves 3. St.
von Selves auf St. Giac. 1. St.
und von dort auf Tavetſch ½. St.
Summa 6½. Stund.

Dieſes Thal, in welchem verſchiedne Doͤrffer liegen, als Selves, St.
Giacomo, Diſentis, Sanvvix, Truns &c.
iſt ſehr enge, und hat auf
beyden Seiten groſſe Berge. Es ſind in demſelben alle 4. Jahrs-Alle 4.
Jahrs-Zei-
ten auf ein-
mal.

Zeiten auf einmal anzutreffen. Heute hatten wir den Winter und
den Fruͤhling, den folgenden Tag aber hatten wir Sommer und
Herbſt.

Den 22. Auguſt.

Wir giengen von Tavetſch auf Diſentis, da nichts ſonderbar merck-
wuͤrdiges iſt; von Diſentis kamen wir auf Sanwix, wo ſchon voͤlliger
Sommer war, indem die Kirſchen geleſen, und das Getrayde einge-
ſammelt wurden. Bey dieſem Dorff iſt eine Reyhe nicht gar groſſer
mit Holz faſt uͤberall bewachsner Berge, welche ſehr reich ſind an
allerley Sorten von Metall-traͤchtigen Mineralien. Weil meineMineralien.
Geſundheit ſchon geſtern auf ein neues zu wancken angefangen, ſo
nahme ich die Zeit nicht, dieſelbe naͤher in Augenſchein zu nehmen,
ſondern eilete fort. Von Sanwix geht die Reiſe nach Truns. Hier
ſteht eine Capelle, an welcher in alten dentſchen Verſen (ſonſt wird
hier noch welſch geredt) der Anfang des Bundes in dieſen Landen,Der erſte
Bund in
Buͤndten.

welcher A. 1424. beſchworen worden, beſchrieben wird. Die Urſache
dazu war, wie in der Schweitz, die Tyranney der Voͤgten, deren es
in dem Buͤndtner-Land ſehr viele gehabt, wie die haͤuffige zerſtoͤhrte

Schloͤſ-
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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Beschreibung einiger Merckwüdigkeiten, Welche er in einer Ao. 1742. gemachten Berg-Reise durch einige Oerter der Schweitz beobachtet hat. Zürich, 1742, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1742/69>, abgerufen am 21.11.2024.