Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite

Tagebuch von einer nach Nizza
Provence versetzt worden. Dieses sollte, falls die
Vermuthung richtig ist, noch alte Einwohner durch
die Tradition wissen. Jch erkundigte mich auch dar-
nach, konnte aber nichts davon erfahren. Es schien
mir deswegen merkwürdig, hierüber Gewißheit zu be-
kommen, weil ich dadurch das Alter der Bäume, folg-
lich die nach Maaßgebung des Alters erlangte Größe
und Stärke derselben erfahren hätte. Es sollte über-
all, wo eine beträchtliche Anzahl Bäume gesetzt, oder
angesät wird, eine Anzeige davon zur Nachricht für
die Nachkommenschaft hinterlassen werden, aus der
man mit der Zeit das Alter der Bäume wissen könnte.
Es läßt sich leicht einsehen, was für Nutzen daraus
zu ziehen wäre.

Jn Pignans aß ich zu Mittage, und fand ge-
gen alle meine Erwartung einen ganz reinlichen Gast-
hof. Aber das Haus war ganz neu, und hatte noch
nicht Zeit gehabt, unreinlich zu werden. Jch merke
hier noch eine unbegreifliche Unachtsamkeit für Be-
quemlichkeiten an, die in diesem Lande herrscht. Von
Toulon bis Nizza habe ich an keinem Orte eine Stu-
benthüre angetroffen, die anders als mit dem Schlüs-
sel konnte zugehalten werden. Jst man im Zimmer,
so muß man sie offen stehen lassen; will man sie zuhal-
ten, so muß man, so oft jemand herein oder he aus
will, mit ihm an der Thüre seyn, um sie ihm aufzu-
schließen, oder hinter ihm wieder zuzumachen. Auf
diese Weise ist man keinen Augenblick seiner Ruhe
sicher.

Von Pignans kommt man auf le Luc. Hin-
ter dem ersten Orte werden die Felder freyer, weil die
Olivenbäume da nur an die Berge gesetzt werden.

Nahe

Tagebuch von einer nach Nizza
Provence verſetzt worden. Dieſes ſollte, falls die
Vermuthung richtig iſt, noch alte Einwohner durch
die Tradition wiſſen. Jch erkundigte mich auch dar-
nach, konnte aber nichts davon erfahren. Es ſchien
mir deswegen merkwuͤrdig, hieruͤber Gewißheit zu be-
kommen, weil ich dadurch das Alter der Baͤume, folg-
lich die nach Maaßgebung des Alters erlangte Groͤße
und Staͤrke derſelben erfahren haͤtte. Es ſollte uͤber-
all, wo eine betraͤchtliche Anzahl Baͤume geſetzt, oder
angeſaͤt wird, eine Anzeige davon zur Nachricht fuͤr
die Nachkommenſchaft hinterlaſſen werden, aus der
man mit der Zeit das Alter der Baͤume wiſſen koͤnnte.
Es laͤßt ſich leicht einſehen, was fuͤr Nutzen daraus
zu ziehen waͤre.

Jn Pignans aß ich zu Mittage, und fand ge-
gen alle meine Erwartung einen ganz reinlichen Gaſt-
hof. Aber das Haus war ganz neu, und hatte noch
nicht Zeit gehabt, unreinlich zu werden. Jch merke
hier noch eine unbegreifliche Unachtſamkeit fuͤr Be-
quemlichkeiten an, die in dieſem Lande herrſcht. Von
Toulon bis Nizza habe ich an keinem Orte eine Stu-
benthuͤre angetroffen, die anders als mit dem Schluͤſ-
ſel konnte zugehalten werden. Jſt man im Zimmer,
ſo muß man ſie offen ſtehen laſſen; will man ſie zuhal-
ten, ſo muß man, ſo oft jemand herein oder he aus
will, mit ihm an der Thuͤre ſeyn, um ſie ihm aufzu-
ſchließen, oder hinter ihm wieder zuzumachen. Auf
dieſe Weiſe iſt man keinen Augenblick ſeiner Ruhe
ſicher.

Von Pignans kommt man auf le Luc. Hin-
ter dem erſten Orte werden die Felder freyer, weil die
Olivenbaͤume da nur an die Berge geſetzt werden.

Nahe
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="diaryEntry" n="2">
          <p><pb facs="#f0180" n="160"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Tagebuch von einer nach Nizza</hi></fw><lb/>
Provence ver&#x017F;etzt worden. Die&#x017F;es &#x017F;ollte, falls die<lb/>
Vermuthung richtig i&#x017F;t, noch alte Einwohner durch<lb/>
die Tradition wi&#x017F;&#x017F;en. Jch erkundigte mich auch dar-<lb/>
nach, konnte aber nichts davon erfahren. Es &#x017F;chien<lb/>
mir deswegen merkwu&#x0364;rdig, hieru&#x0364;ber Gewißheit zu be-<lb/>
kommen, weil ich dadurch das Alter der Ba&#x0364;ume, folg-<lb/>
lich die nach Maaßgebung des Alters erlangte Gro&#x0364;ße<lb/>
und Sta&#x0364;rke der&#x017F;elben erfahren ha&#x0364;tte. Es &#x017F;ollte u&#x0364;ber-<lb/>
all, wo eine betra&#x0364;chtliche Anzahl Ba&#x0364;ume ge&#x017F;etzt, oder<lb/>
ange&#x017F;a&#x0364;t wird, eine Anzeige davon zur Nachricht fu&#x0364;r<lb/>
die Nachkommen&#x017F;chaft hinterla&#x017F;&#x017F;en werden, aus der<lb/>
man mit der Zeit das Alter der Ba&#x0364;ume wi&#x017F;&#x017F;en ko&#x0364;nnte.<lb/>
Es la&#x0364;ßt &#x017F;ich leicht ein&#x017F;ehen, was fu&#x0364;r Nutzen daraus<lb/>
zu ziehen wa&#x0364;re.</p><lb/>
          <p>Jn <hi rendition="#fr">Pignans</hi> aß ich zu Mittage, und fand ge-<lb/>
gen alle meine Erwartung einen ganz reinlichen Ga&#x017F;t-<lb/>
hof. Aber das Haus war ganz neu, und hatte noch<lb/>
nicht Zeit gehabt, unreinlich zu werden. Jch merke<lb/>
hier noch eine unbegreifliche Unacht&#x017F;amkeit fu&#x0364;r Be-<lb/>
quemlichkeiten an, die in die&#x017F;em Lande herr&#x017F;cht. Von<lb/><hi rendition="#fr">Toulon</hi> bis <hi rendition="#fr">Nizza</hi> habe ich an keinem Orte eine Stu-<lb/>
benthu&#x0364;re angetroffen, die anders als mit dem Schlu&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;el konnte zugehalten werden. J&#x017F;t man im Zimmer,<lb/>
&#x017F;o muß man &#x017F;ie offen &#x017F;tehen la&#x017F;&#x017F;en; will man &#x017F;ie zuhal-<lb/>
ten, &#x017F;o muß man, &#x017F;o oft jemand herein oder he aus<lb/>
will, mit ihm an der Thu&#x0364;re &#x017F;eyn, um &#x017F;ie ihm aufzu-<lb/>
&#x017F;chließen, oder hinter ihm wieder zuzumachen. Auf<lb/>
die&#x017F;e Wei&#x017F;e i&#x017F;t man keinen Augenblick &#x017F;einer Ruhe<lb/>
&#x017F;icher.</p><lb/>
          <p>Von <hi rendition="#fr">Pignans</hi> kommt man auf <hi rendition="#fr">le Luc.</hi> Hin-<lb/>
ter dem er&#x017F;ten Orte werden die Felder freyer, weil die<lb/>
Olivenba&#x0364;ume da nur an die Berge ge&#x017F;etzt werden.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Nahe</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[160/0180] Tagebuch von einer nach Nizza Provence verſetzt worden. Dieſes ſollte, falls die Vermuthung richtig iſt, noch alte Einwohner durch die Tradition wiſſen. Jch erkundigte mich auch dar- nach, konnte aber nichts davon erfahren. Es ſchien mir deswegen merkwuͤrdig, hieruͤber Gewißheit zu be- kommen, weil ich dadurch das Alter der Baͤume, folg- lich die nach Maaßgebung des Alters erlangte Groͤße und Staͤrke derſelben erfahren haͤtte. Es ſollte uͤber- all, wo eine betraͤchtliche Anzahl Baͤume geſetzt, oder angeſaͤt wird, eine Anzeige davon zur Nachricht fuͤr die Nachkommenſchaft hinterlaſſen werden, aus der man mit der Zeit das Alter der Baͤume wiſſen koͤnnte. Es laͤßt ſich leicht einſehen, was fuͤr Nutzen daraus zu ziehen waͤre. Jn Pignans aß ich zu Mittage, und fand ge- gen alle meine Erwartung einen ganz reinlichen Gaſt- hof. Aber das Haus war ganz neu, und hatte noch nicht Zeit gehabt, unreinlich zu werden. Jch merke hier noch eine unbegreifliche Unachtſamkeit fuͤr Be- quemlichkeiten an, die in dieſem Lande herrſcht. Von Toulon bis Nizza habe ich an keinem Orte eine Stu- benthuͤre angetroffen, die anders als mit dem Schluͤſ- ſel konnte zugehalten werden. Jſt man im Zimmer, ſo muß man ſie offen ſtehen laſſen; will man ſie zuhal- ten, ſo muß man, ſo oft jemand herein oder he aus will, mit ihm an der Thuͤre ſeyn, um ſie ihm aufzu- ſchließen, oder hinter ihm wieder zuzumachen. Auf dieſe Weiſe iſt man keinen Augenblick ſeiner Ruhe ſicher. Von Pignans kommt man auf le Luc. Hin- ter dem erſten Orte werden die Felder freyer, weil die Olivenbaͤume da nur an die Berge geſetzt werden. Nahe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/180
Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/180>, abgerufen am 09.11.2024.