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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

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Tagebuch von einer nach Nizza
Das
Landvolk.

Unter dem hiesigen Landvolke, von dem ich jetzt
sprechen werde, verstehe ich nicht das ganze Landvolk
der Grafschaft Nizza, sondern die in dem Gebiete der
Stadt, welches ich vorher beschrieben habe, zerstreut
herum wohnenden Gärtner und Bauren. Wenige
derselben sind die Eigenthümer der Güter, die sie be-
arbeiten; die meisten sind Pachter, die entweder um
eine jährliche Rente, oder um die Hälfte des Ertra-
ges das Land bauen und nutzen.

Da es schon in der Stadt etwas ärmlich aussie-
het, so wird man sich leicht vorstellen, daß bey diesen
Leuten kein großer Wohlstand herrsche. Jhre Woh-
nungen sind durchgehends elend; zwar massive Häu-
ser, die groß und räumlich genug sind, aber von den
ehemaligen Bequemlichkeiten wenig übrig behalten
haben. Gar sehr selten ist an einem solchen Hause
noch ein Fenster, oder eine ganze Thüre. Wer sie
sieht, ohne Menschen darin zu sehen, würde glauben,
sie wären von langer Zeit her verlassen. Jnwendig
sehen sie mehr Viehställen, als menschlichen Wohnun-
gen gleich. Sie sind meistentheils so räumlich, daß
außer dem Pachter auch der in der Stadt wohnende
Eigenthümer darin wohnen, wenigstens ein paar Zim-
mer darin haben könnte. Aber dieses geschieht höchst
selten. Der Eigenthümer kommt entweder gar nicht
hin, oder hält sich wenigstens nicht darin auf. Darum
wird auch nichts ausgebessert.

Eben diese Leute, die man in ihren Häusern für
halbes Vieh hält, findet man in ihrer Arbeit ganz or-
dentlich. Die Gärten werden mit großem Fleiß be-
stellt, und in sehr gutem Stande gehalten, so daß
das ganze Jahr durch immer und täglich etwas kann

dar-
Tagebuch von einer nach Nizza
Das
Landvolk.

Unter dem hieſigen Landvolke, von dem ich jetzt
ſprechen werde, verſtehe ich nicht das ganze Landvolk
der Grafſchaft Nizza, ſondern die in dem Gebiete der
Stadt, welches ich vorher beſchrieben habe, zerſtreut
herum wohnenden Gaͤrtner und Bauren. Wenige
derſelben ſind die Eigenthuͤmer der Guͤter, die ſie be-
arbeiten; die meiſten ſind Pachter, die entweder um
eine jaͤhrliche Rente, oder um die Haͤlfte des Ertra-
ges das Land bauen und nutzen.

Da es ſchon in der Stadt etwas aͤrmlich ausſie-
het, ſo wird man ſich leicht vorſtellen, daß bey dieſen
Leuten kein großer Wohlſtand herrſche. Jhre Woh-
nungen ſind durchgehends elend; zwar maſſive Haͤu-
ſer, die groß und raͤumlich genug ſind, aber von den
ehemaligen Bequemlichkeiten wenig uͤbrig behalten
haben. Gar ſehr ſelten iſt an einem ſolchen Hauſe
noch ein Fenſter, oder eine ganze Thuͤre. Wer ſie
ſieht, ohne Menſchen darin zu ſehen, wuͤrde glauben,
ſie waͤren von langer Zeit her verlaſſen. Jnwendig
ſehen ſie mehr Viehſtaͤllen, als menſchlichen Wohnun-
gen gleich. Sie ſind meiſtentheils ſo raͤumlich, daß
außer dem Pachter auch der in der Stadt wohnende
Eigenthuͤmer darin wohnen, wenigſtens ein paar Zim-
mer darin haben koͤnnte. Aber dieſes geſchieht hoͤchſt
ſelten. Der Eigenthuͤmer kommt entweder gar nicht
hin, oder haͤlt ſich wenigſtens nicht darin auf. Darum
wird auch nichts ausgebeſſert.

Eben dieſe Leute, die man in ihren Haͤuſern fuͤr
halbes Vieh haͤlt, findet man in ihrer Arbeit ganz or-
dentlich. Die Gaͤrten werden mit großem Fleiß be-
ſtellt, und in ſehr gutem Stande gehalten, ſo daß
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[200/0220] Tagebuch von einer nach Nizza Unter dem hieſigen Landvolke, von dem ich jetzt ſprechen werde, verſtehe ich nicht das ganze Landvolk der Grafſchaft Nizza, ſondern die in dem Gebiete der Stadt, welches ich vorher beſchrieben habe, zerſtreut herum wohnenden Gaͤrtner und Bauren. Wenige derſelben ſind die Eigenthuͤmer der Guͤter, die ſie be- arbeiten; die meiſten ſind Pachter, die entweder um eine jaͤhrliche Rente, oder um die Haͤlfte des Ertra- ges das Land bauen und nutzen. Da es ſchon in der Stadt etwas aͤrmlich ausſie- het, ſo wird man ſich leicht vorſtellen, daß bey dieſen Leuten kein großer Wohlſtand herrſche. Jhre Woh- nungen ſind durchgehends elend; zwar maſſive Haͤu- ſer, die groß und raͤumlich genug ſind, aber von den ehemaligen Bequemlichkeiten wenig uͤbrig behalten haben. Gar ſehr ſelten iſt an einem ſolchen Hauſe noch ein Fenſter, oder eine ganze Thuͤre. Wer ſie ſieht, ohne Menſchen darin zu ſehen, wuͤrde glauben, ſie waͤren von langer Zeit her verlaſſen. Jnwendig ſehen ſie mehr Viehſtaͤllen, als menſchlichen Wohnun- gen gleich. Sie ſind meiſtentheils ſo raͤumlich, daß außer dem Pachter auch der in der Stadt wohnende Eigenthuͤmer darin wohnen, wenigſtens ein paar Zim- mer darin haben koͤnnte. Aber dieſes geſchieht hoͤchſt ſelten. Der Eigenthuͤmer kommt entweder gar nicht hin, oder haͤlt ſich wenigſtens nicht darin auf. Darum wird auch nichts ausgebeſſert. Eben dieſe Leute, die man in ihren Haͤuſern fuͤr halbes Vieh haͤlt, findet man in ihrer Arbeit ganz or- dentlich. Die Gaͤrten werden mit großem Fleiß be- ſtellt, und in ſehr gutem Stande gehalten, ſo daß das ganze Jahr durch immer und taͤglich etwas kann dar-

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/220>, abgerufen am 24.11.2024.