Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.Tagebuch von einer nach Nizza Sie fallen, ehe er sie sammelt, in großer Menge ab,und bleiben liegen, bis die Haupteinsammlungszeit kommt, da denn die Hälfte der abgefallenen schon zer- treten oder verfault ist. Jch habe an gar vielen Or- ten mit alten vertrockneten Oliven von vorhergehenden Jahren den Boden ganz bedeckt gesehen. Der hiesi- ge Landmann ist also in seiner Arbeit zwar mühsam, aber nicht nachdenkend. Mir schien es, daß mit mehr Nachdenken und Sorgfalt der Ertrag eines sol- chen Gutes könnte verdoppelt werden. Aber diese Leute scheinen zufrieden zu seyn, wenn sie auf die küm- merlichste Weise die elende Nahrung, die sie haben, er- werben. Darum ist das Landvolk durchgehends sehr arm. Aber in Ansehung seines Charakters scheinet es Munterkeit und Fröhlichkeit zeiget das junge Land- nichts
Tagebuch von einer nach Nizza Sie fallen, ehe er ſie ſammelt, in großer Menge ab,und bleiben liegen, bis die Haupteinſammlungszeit kommt, da denn die Haͤlfte der abgefallenen ſchon zer- treten oder verfault iſt. Jch habe an gar vielen Or- ten mit alten vertrockneten Oliven von vorhergehenden Jahren den Boden ganz bedeckt geſehen. Der hieſi- ge Landmann iſt alſo in ſeiner Arbeit zwar muͤhſam, aber nicht nachdenkend. Mir ſchien es, daß mit mehr Nachdenken und Sorgfalt der Ertrag eines ſol- chen Gutes koͤnnte verdoppelt werden. Aber dieſe Leute ſcheinen zufrieden zu ſeyn, wenn ſie auf die kuͤm- merlichſte Weiſe die elende Nahrung, die ſie haben, er- werben. Darum iſt das Landvolk durchgehends ſehr arm. Aber in Anſehung ſeines Charakters ſcheinet es Munterkeit und Froͤhlichkeit zeiget das junge Land- nichts
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0228" n="208"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Tagebuch von einer nach Nizza</hi></fw><lb/> Sie fallen, ehe er ſie ſammelt, in großer Menge ab,<lb/> und bleiben liegen, bis die Haupteinſammlungszeit<lb/> kommt, da denn die Haͤlfte der abgefallenen ſchon zer-<lb/> treten oder verfault iſt. Jch habe an gar vielen Or-<lb/> ten mit alten vertrockneten Oliven von vorhergehenden<lb/> Jahren den Boden ganz bedeckt geſehen. Der hieſi-<lb/> ge Landmann iſt alſo in ſeiner Arbeit zwar muͤhſam,<lb/> aber nicht nachdenkend. Mir ſchien es, daß mit<lb/> mehr Nachdenken und Sorgfalt der Ertrag eines ſol-<lb/> chen Gutes koͤnnte verdoppelt werden. Aber dieſe<lb/> Leute ſcheinen zufrieden zu ſeyn, wenn ſie auf die kuͤm-<lb/> merlichſte Weiſe die elende Nahrung, die ſie haben, er-<lb/> werben. Darum iſt das Landvolk durchgehends ſehr<lb/> arm.</p><lb/> <p>Aber in Anſehung ſeines Charakters ſcheinet es<lb/> ein gutes, ſanftmuͤthiges, arbeitſames, aber hoͤchſt<lb/> unwiſſendes und faſt gedankenloſes Volk zu ſeyn. Bey<lb/> der unzaͤhligen Menge dieſer Leute, die taͤglich unter<lb/> meinen Fenſtern hin- und herzogen, habe ich nie Streit<lb/> oder Zank gehoͤrt, obgleich oft Betrunkene darunter<lb/> waren. Die Weiber und die jungen Dirnen, die<lb/> man haͤufig auf ihren Eſeln nach der Stadt, oder von<lb/> da nach Hauſe reitend antrifft, zeigen ihre Arbeitſam-<lb/> keit dadurch, daß ſie waͤhrend dem Reiten ſich mit Spin-<lb/> nen beſchaͤfftigen. Dieſes thun ſie auch, wenn ſie zu<lb/> Fuße gehen; denn was ſie zu tragen haben, tragen<lb/> ſie in Koͤrben auf dem Kopfe, ohne es zu halten.</p><lb/> <p>Munterkeit und Froͤhlichkeit zeiget das junge Land-<lb/> volk dadurch, daß es ſich an den Feyertagen des<lb/> Abends verſammelt, um unter freyem Himmel zu<lb/> tanzen. Sie machen ſich dabey luſtig, ohne in Aus-<lb/> gelaſſenheit auszuſchweifen. Aber ihr Tanzen hat<lb/> <fw place="bottom" type="catch">nichts</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [208/0228]
Tagebuch von einer nach Nizza
Sie fallen, ehe er ſie ſammelt, in großer Menge ab,
und bleiben liegen, bis die Haupteinſammlungszeit
kommt, da denn die Haͤlfte der abgefallenen ſchon zer-
treten oder verfault iſt. Jch habe an gar vielen Or-
ten mit alten vertrockneten Oliven von vorhergehenden
Jahren den Boden ganz bedeckt geſehen. Der hieſi-
ge Landmann iſt alſo in ſeiner Arbeit zwar muͤhſam,
aber nicht nachdenkend. Mir ſchien es, daß mit
mehr Nachdenken und Sorgfalt der Ertrag eines ſol-
chen Gutes koͤnnte verdoppelt werden. Aber dieſe
Leute ſcheinen zufrieden zu ſeyn, wenn ſie auf die kuͤm-
merlichſte Weiſe die elende Nahrung, die ſie haben, er-
werben. Darum iſt das Landvolk durchgehends ſehr
arm.
Aber in Anſehung ſeines Charakters ſcheinet es
ein gutes, ſanftmuͤthiges, arbeitſames, aber hoͤchſt
unwiſſendes und faſt gedankenloſes Volk zu ſeyn. Bey
der unzaͤhligen Menge dieſer Leute, die taͤglich unter
meinen Fenſtern hin- und herzogen, habe ich nie Streit
oder Zank gehoͤrt, obgleich oft Betrunkene darunter
waren. Die Weiber und die jungen Dirnen, die
man haͤufig auf ihren Eſeln nach der Stadt, oder von
da nach Hauſe reitend antrifft, zeigen ihre Arbeitſam-
keit dadurch, daß ſie waͤhrend dem Reiten ſich mit Spin-
nen beſchaͤfftigen. Dieſes thun ſie auch, wenn ſie zu
Fuße gehen; denn was ſie zu tragen haben, tragen
ſie in Koͤrben auf dem Kopfe, ohne es zu halten.
Munterkeit und Froͤhlichkeit zeiget das junge Land-
volk dadurch, daß es ſich an den Feyertagen des
Abends verſammelt, um unter freyem Himmel zu
tanzen. Sie machen ſich dabey luſtig, ohne in Aus-
gelaſſenheit auszuſchweifen. Aber ihr Tanzen hat
nichts
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |