nichts Merkwürdiges. Eine besondere Art Lustbar- keit genießt hier das Landvolk während der Fastenzeit, durch die sogenannten Festins, dabey es folgender- maßen zugeht.
An gewissen Sonntagen, auch wohl an andern Kirchenfeyertagen, versammelt sich das ganze Land- volk, auch das gemeine Volk aus der Stadt, gleich nach Mittage bey gewissen Kirchen oder Capellen, die in der Gegend um Nizza liegen. Auf einem räum- lichen Platze neben der Kirche oder Capelle sind eine Menge Tische aufgestellt, wie zu einem Jahrmarkt; und diese sind mit allerhand Eßwaaren, Kuchen, Ro- sinen, Mandeln, gekochten Castanien, und andre mit Wein reichlich beladen. Hier versammelt sich also jung und alt in dem besten Staat, mit Blumensträus- sen, Bändern, Flittergold und andern Zierraten be- hangen, sind vergnügt, kaufen sich, was zu essen und zu trinken da ist, drängen sich hin und her, um zu sehen, und gesehen zu werden. Wo Platz dazu ist, da la- gern sie sich in zerstreuten Haufen unter Bäume, oder an grüne Borde, und lassen da das Weinglas fleißig herumgehen. Jnzwischen wird auch in der Kirche oder Capelle Vesper gehalten. Da sieht man bestän- dig an den Kirchthüren ein Gedränge von Aus- und Eingehenden, während der Zeit, daß die, welche draußen sind, sich lustig machen.
Die Bürger aus der Stadt und auch der Adel sind als Zuschauer dabey. Das Gedränge ist insge- mein sehr groß, und alles ist munter und fröhlich oh- ne zu wissen warum, und blos deswegen, weil viel müßige Menschen da zusammenkommen, die sich vor- gesetzt haben, diesen Nachmittag sorgenlos und fröhlich
zu
O
gethanen Reiſe.
nichts Merkwuͤrdiges. Eine beſondere Art Luſtbar- keit genießt hier das Landvolk waͤhrend der Faſtenzeit, durch die ſogenannten Feſtins, dabey es folgender- maßen zugeht.
An gewiſſen Sonntagen, auch wohl an andern Kirchenfeyertagen, verſammelt ſich das ganze Land- volk, auch das gemeine Volk aus der Stadt, gleich nach Mittage bey gewiſſen Kirchen oder Capellen, die in der Gegend um Nizza liegen. Auf einem raͤum- lichen Platze neben der Kirche oder Capelle ſind eine Menge Tiſche aufgeſtellt, wie zu einem Jahrmarkt; und dieſe ſind mit allerhand Eßwaaren, Kuchen, Ro- ſinen, Mandeln, gekochten Caſtanien, und andre mit Wein reichlich beladen. Hier verſammelt ſich alſo jung und alt in dem beſten Staat, mit Blumenſtraͤuſ- ſen, Baͤndern, Flittergold und andern Zierraten be- hangen, ſind vergnuͤgt, kaufen ſich, was zu eſſen und zu trinken da iſt, draͤngen ſich hin und her, um zu ſehen, und geſehen zu werden. Wo Platz dazu iſt, da la- gern ſie ſich in zerſtreuten Haufen unter Baͤume, oder an gruͤne Borde, und laſſen da das Weinglas fleißig herumgehen. Jnzwiſchen wird auch in der Kirche oder Capelle Veſper gehalten. Da ſieht man beſtaͤn- dig an den Kirchthuͤren ein Gedraͤnge von Aus- und Eingehenden, waͤhrend der Zeit, daß die, welche draußen ſind, ſich luſtig machen.
Die Buͤrger aus der Stadt und auch der Adel ſind als Zuſchauer dabey. Das Gedraͤnge iſt insge- mein ſehr groß, und alles iſt munter und froͤhlich oh- ne zu wiſſen warum, und blos deswegen, weil viel muͤßige Menſchen da zuſammenkommen, die ſich vor- geſetzt haben, dieſen Nachmittag ſorgenlos und froͤhlich
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gethanen Reiſe.
nichts Merkwuͤrdiges. Eine beſondere Art Luſtbar-
keit genießt hier das Landvolk waͤhrend der Faſtenzeit,
durch die ſogenannten Feſtins, dabey es folgender-
maßen zugeht.
An gewiſſen Sonntagen, auch wohl an andern
Kirchenfeyertagen, verſammelt ſich das ganze Land-
volk, auch das gemeine Volk aus der Stadt, gleich
nach Mittage bey gewiſſen Kirchen oder Capellen, die
in der Gegend um Nizza liegen. Auf einem raͤum-
lichen Platze neben der Kirche oder Capelle ſind eine
Menge Tiſche aufgeſtellt, wie zu einem Jahrmarkt;
und dieſe ſind mit allerhand Eßwaaren, Kuchen, Ro-
ſinen, Mandeln, gekochten Caſtanien, und andre mit
Wein reichlich beladen. Hier verſammelt ſich alſo
jung und alt in dem beſten Staat, mit Blumenſtraͤuſ-
ſen, Baͤndern, Flittergold und andern Zierraten be-
hangen, ſind vergnuͤgt, kaufen ſich, was zu eſſen und
zu trinken da iſt, draͤngen ſich hin und her, um zu ſehen,
und geſehen zu werden. Wo Platz dazu iſt, da la-
gern ſie ſich in zerſtreuten Haufen unter Baͤume, oder
an gruͤne Borde, und laſſen da das Weinglas fleißig
herumgehen. Jnzwiſchen wird auch in der Kirche
oder Capelle Veſper gehalten. Da ſieht man beſtaͤn-
dig an den Kirchthuͤren ein Gedraͤnge von Aus- und
Eingehenden, waͤhrend der Zeit, daß die, welche
draußen ſind, ſich luſtig machen.
Die Buͤrger aus der Stadt und auch der Adel
ſind als Zuſchauer dabey. Das Gedraͤnge iſt insge-
mein ſehr groß, und alles iſt munter und froͤhlich oh-
ne zu wiſſen warum, und blos deswegen, weil viel
muͤßige Menſchen da zuſammenkommen, die ſich vor-
geſetzt haben, dieſen Nachmittag ſorgenlos und froͤhlich
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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/229>, abgerufen am 21.11.2024.
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