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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

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gethanen Reise.
Nichts konnte hingegen schöner und angenehmer seyn,
als die herrlichen Tage während des Decembers, ei-
nen Theil des Jenners und des Hornungs. Ueber-
haupt glich hier jeder Tag des Winters, an dem es
nicht regnete, den schönen Frühlingstagen in Deutsch-
land. Aber die Luft ist hier viel heller und reiner, als
ich sie sonst irgendwo gesehen habe. Man erkennt
dieses an dem lebhaften Funkeln der Sterne bey jeder
heller Nacht, und an der Menge kleiner Sterne, die
man hier siehet, und die in Deutschland nur in den
hellsten und reinsten Winternächten sichtbar werden. Zur
Beobachtung der Sterne wäre Nizza einer der vorzüg-
lichsten Oerter in Europa; denn selbst bey anhalten-
dem Regenwetter merkt man nicht, daß die Luft sehr
feucht oder dick geworden.

Demnach finden kränkliche Personen, denen eine
reine trockne Luft zuträglich ist, und die dabey nöthig
haben, sich täglich durch Spazierengehen in Bewe-
gung zu setzen, den Winter über hier, was sie nöthig
haben. Man muß aber doch Kräfte genug besitzen,
etwas in die Weite zu gehen und Berge zu steigen.
Zwar ist der oben beschriebene Spaziergang um die
Stadt herum höchst angenehm, und nicht lang; wer
aber die Mannichfaltigkeit und tägliche Abwechslung
liebet, muß seine Wege in die umliegenden Thäler
und auf die Höhen nehmen. Denn hier ist die Man-
nichfaltigkeit der Wege, der Aussichten und immer
neuer Gegenstände unerschöpflich. Man mag sich auf
den Höhen befinden wo es auch sey, so hat man eine
Aussicht von unbeschreiblicher Annehmlichkeit vor sich.

Die Natur ist hier den Winter über nie ganz in
Ruhe. Die Gärten sind beständig grün, und täg-

lich
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gethanen Reiſe.
Nichts konnte hingegen ſchoͤner und angenehmer ſeyn,
als die herrlichen Tage waͤhrend des Decembers, ei-
nen Theil des Jenners und des Hornungs. Ueber-
haupt glich hier jeder Tag des Winters, an dem es
nicht regnete, den ſchoͤnen Fruͤhlingstagen in Deutſch-
land. Aber die Luft iſt hier viel heller und reiner, als
ich ſie ſonſt irgendwo geſehen habe. Man erkennt
dieſes an dem lebhaften Funkeln der Sterne bey jeder
heller Nacht, und an der Menge kleiner Sterne, die
man hier ſiehet, und die in Deutſchland nur in den
hellſten und reinſten Winternaͤchten ſichtbar werden. Zur
Beobachtung der Sterne waͤre Nizza einer der vorzuͤg-
lichſten Oerter in Europa; denn ſelbſt bey anhalten-
dem Regenwetter merkt man nicht, daß die Luft ſehr
feucht oder dick geworden.

Demnach finden kraͤnkliche Perſonen, denen eine
reine trockne Luft zutraͤglich iſt, und die dabey noͤthig
haben, ſich taͤglich durch Spazierengehen in Bewe-
gung zu ſetzen, den Winter uͤber hier, was ſie noͤthig
haben. Man muß aber doch Kraͤfte genug beſitzen,
etwas in die Weite zu gehen und Berge zu ſteigen.
Zwar iſt der oben beſchriebene Spaziergang um die
Stadt herum hoͤchſt angenehm, und nicht lang; wer
aber die Mannichfaltigkeit und taͤgliche Abwechslung
liebet, muß ſeine Wege in die umliegenden Thaͤler
und auf die Hoͤhen nehmen. Denn hier iſt die Man-
nichfaltigkeit der Wege, der Ausſichten und immer
neuer Gegenſtaͤnde unerſchoͤpflich. Man mag ſich auf
den Hoͤhen befinden wo es auch ſey, ſo hat man eine
Ausſicht von unbeſchreiblicher Annehmlichkeit vor ſich.

Die Natur iſt hier den Winter uͤber nie ganz in
Ruhe. Die Gaͤrten ſind beſtaͤndig gruͤn, und taͤg-

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[229/0249] gethanen Reiſe. Nichts konnte hingegen ſchoͤner und angenehmer ſeyn, als die herrlichen Tage waͤhrend des Decembers, ei- nen Theil des Jenners und des Hornungs. Ueber- haupt glich hier jeder Tag des Winters, an dem es nicht regnete, den ſchoͤnen Fruͤhlingstagen in Deutſch- land. Aber die Luft iſt hier viel heller und reiner, als ich ſie ſonſt irgendwo geſehen habe. Man erkennt dieſes an dem lebhaften Funkeln der Sterne bey jeder heller Nacht, und an der Menge kleiner Sterne, die man hier ſiehet, und die in Deutſchland nur in den hellſten und reinſten Winternaͤchten ſichtbar werden. Zur Beobachtung der Sterne waͤre Nizza einer der vorzuͤg- lichſten Oerter in Europa; denn ſelbſt bey anhalten- dem Regenwetter merkt man nicht, daß die Luft ſehr feucht oder dick geworden. Demnach finden kraͤnkliche Perſonen, denen eine reine trockne Luft zutraͤglich iſt, und die dabey noͤthig haben, ſich taͤglich durch Spazierengehen in Bewe- gung zu ſetzen, den Winter uͤber hier, was ſie noͤthig haben. Man muß aber doch Kraͤfte genug beſitzen, etwas in die Weite zu gehen und Berge zu ſteigen. Zwar iſt der oben beſchriebene Spaziergang um die Stadt herum hoͤchſt angenehm, und nicht lang; wer aber die Mannichfaltigkeit und taͤgliche Abwechslung liebet, muß ſeine Wege in die umliegenden Thaͤler und auf die Hoͤhen nehmen. Denn hier iſt die Man- nichfaltigkeit der Wege, der Ausſichten und immer neuer Gegenſtaͤnde unerſchoͤpflich. Man mag ſich auf den Hoͤhen befinden wo es auch ſey, ſo hat man eine Ausſicht von unbeſchreiblicher Annehmlichkeit vor ſich. Die Natur iſt hier den Winter uͤber nie ganz in Ruhe. Die Gaͤrten ſind beſtaͤndig gruͤn, und taͤg- lich P 3

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/249>, abgerufen am 24.11.2024.