Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.von Nizza nach Deutschland. so hoch wäre, als die beyden zur Seite der Klüft stehen-den Berge, verstopft, so würde das Thal in einen etliche hundert Fuß tiefen See verwandelt werden; denn es ist rings umher, wie ich schon erwähnt habe, mit hohen Bergen umgeben, zwischen denen, bis auf eine beträchtliche Höhe, nicht der geringste Ausweg für das Wasser der Reuß seyn würde. Dergleichen mit Wasser angefüllte Thäler, die Seen bilden, fin- den sich noch überall auf den Alpen. Hier aber lehret der Augenschein, daß die erwähnte Oeffnung ehedem wirklich verschlossen gewesen sey. Folglich ist es keine bloße Muthmaßung, daß das Urselerthal ehedem der Grund eines großen, sehr tiefen und wenigstens 5000 Fuß über die jetzige Fläche des Meeres erhöhten. Sees gewesen sey. An dem schwächsten Orte der die Ufer dieses ehemaligen Sees bildenden Berge hat sich das Wasser allmählig, vielleicht auch plötzlich, einen Ausweg gebahnet, wodurch der See ablaufen konnte. Durch dieses Ablaufen aber ist natürlicher Weise die ganze Kluft, durch welche der Weg von hier bis auf die Ebene herunter geht, ausgehöhlt worden. Steine und Erde, die der gewaltsame Strom mit sich fortge- rissen, blieben auf jener Ebene liegen, und bilden ge- genwärtig den Boden auf dem flachen Lande, das vor diesen Bergen liegt. Aber ich komme wieder auf die Fortsetzung mei- Em- A a
von Nizza nach Deutſchland. ſo hoch waͤre, als die beyden zur Seite der Kluͤft ſtehen-den Berge, verſtopft, ſo wuͤrde das Thal in einen etliche hundert Fuß tiefen See verwandelt werden; denn es iſt rings umher, wie ich ſchon erwaͤhnt habe, mit hohen Bergen umgeben, zwiſchen denen, bis auf eine betraͤchtliche Hoͤhe, nicht der geringſte Ausweg fuͤr das Waſſer der Reuß ſeyn wuͤrde. Dergleichen mit Waſſer angefuͤllte Thaͤler, die Seen bilden, fin- den ſich noch uͤberall auf den Alpen. Hier aber lehret der Augenſchein, daß die erwaͤhnte Oeffnung ehedem wirklich verſchloſſen geweſen ſey. Folglich iſt es keine bloße Muthmaßung, daß das Urſelerthal ehedem der Grund eines großen, ſehr tiefen und wenigſtens 5000 Fuß uͤber die jetzige Flaͤche des Meeres erhoͤhten. Sees geweſen ſey. An dem ſchwaͤchſten Orte der die Ufer dieſes ehemaligen Sees bildenden Berge hat ſich das Waſſer allmaͤhlig, vielleicht auch ploͤtzlich, einen Ausweg gebahnet, wodurch der See ablaufen konnte. Durch dieſes Ablaufen aber iſt natuͤrlicher Weiſe die ganze Kluft, durch welche der Weg von hier bis auf die Ebene herunter geht, ausgehoͤhlt worden. Steine und Erde, die der gewaltſame Strom mit ſich fortge- riſſen, blieben auf jener Ebene liegen, und bilden ge- genwaͤrtig den Boden auf dem flachen Lande, das vor dieſen Bergen liegt. Aber ich komme wieder auf die Fortſetzung mei- Em- A a
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von Nizza nach Deutſchland.
ſo hoch waͤre, als die beyden zur Seite der Kluͤft ſtehen-
den Berge, verſtopft, ſo wuͤrde das Thal in einen
etliche hundert Fuß tiefen See verwandelt werden;
denn es iſt rings umher, wie ich ſchon erwaͤhnt habe,
mit hohen Bergen umgeben, zwiſchen denen, bis auf
eine betraͤchtliche Hoͤhe, nicht der geringſte Ausweg
fuͤr das Waſſer der Reuß ſeyn wuͤrde. Dergleichen
mit Waſſer angefuͤllte Thaͤler, die Seen bilden, fin-
den ſich noch uͤberall auf den Alpen. Hier aber lehret
der Augenſchein, daß die erwaͤhnte Oeffnung ehedem
wirklich verſchloſſen geweſen ſey. Folglich iſt es keine
bloße Muthmaßung, daß das Urſelerthal ehedem der
Grund eines großen, ſehr tiefen und wenigſtens 5000
Fuß uͤber die jetzige Flaͤche des Meeres erhoͤhten. Sees
geweſen ſey. An dem ſchwaͤchſten Orte der die Ufer
dieſes ehemaligen Sees bildenden Berge hat ſich das
Waſſer allmaͤhlig, vielleicht auch ploͤtzlich, einen
Ausweg gebahnet, wodurch der See ablaufen konnte.
Durch dieſes Ablaufen aber iſt natuͤrlicher Weiſe die
ganze Kluft, durch welche der Weg von hier bis auf
die Ebene herunter geht, ausgehoͤhlt worden. Steine
und Erde, die der gewaltſame Strom mit ſich fortge-
riſſen, blieben auf jener Ebene liegen, und bilden ge-
genwaͤrtig den Boden auf dem flachen Lande, das vor
dieſen Bergen liegt.
Aber ich komme wieder auf die Fortſetzung mei-
ner Reiſe. Ein groͤßerer Contraſt iſt vielleicht in der
Natur nicht zu ſehen, als der, den hier die beyden Sce-
nen machen, die man dieſſeits und jenſeits dieſes
Durchganges ſieht. Ehe man durchgeht, befindet
man ſich in einem ebenen, mit ſchoͤnen Fluren angefuͤll-
ten ſehr angenehmen Thale; einem Wohnſitz, der die
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