Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch] Auf so bald eine Person von der Bühne geht, oder zuden gegenwärtigen noch eine hinzu kömmt. Daß in den dramatischen Werken alter und neuer Dich- ter die Handlung in Auftritte abgetheilt wird, und jedem die Namen der darin erscheinenden Personen voran |stehen, ist eine Mode der neuern Zeit, und hat weiter nichts auf sich. Die Anzahl der Auftritte in einem Aufzug oder Aus allzu ängstlicher Beobachtung des Zusam- Eine wichtigere Anmerkung ist die, daß die dop- Auf Alten hatten weit größere Bühnen, da giengen diedoppelten Auftritte vollkommen an, und waren bisweilen sehr lustig, wovon Plautus in dem zwey- ten Auftritt des zweyten Aufzugs im Paenulus ein gutes Beyspiel giebt. Stumme Auftritte, wo gar nichts, oder sehr Aufzug. (Schauspiel.) Ein Haupttheil der dramatischen Handlung, nach in den M 2
[Spaltenumbruch] Auf ſo bald eine Perſon von der Buͤhne geht, oder zuden gegenwaͤrtigen noch eine hinzu koͤmmt. Daß in den dramatiſchen Werken alter und neuer Dich- ter die Handlung in Auftritte abgetheilt wird, und jedem die Namen der darin erſcheinenden Perſonen voran |ſtehen, iſt eine Mode der neuern Zeit, und hat weiter nichts auf ſich. Die Anzahl der Auftritte in einem Aufzug oder Aus allzu aͤngſtlicher Beobachtung des Zuſam- Eine wichtigere Anmerkung iſt die, daß die dop- Auf Alten hatten weit groͤßere Buͤhnen, da giengen diedoppelten Auftritte vollkommen an, und waren bisweilen ſehr luſtig, wovon Plautus in dem zwey- ten Auftritt des zweyten Aufzugs im Paenulus ein gutes Beyſpiel giebt. Stumme Auftritte, wo gar nichts, oder ſehr Aufzug. (Schauſpiel.) Ein Haupttheil der dramatiſchen Handlung, nach in den M 2
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Jn den<lb/> engliſchen Comoͤdien koͤmmt dieſes beſonders oft<lb/> vor, daß zwey Perſonen abtreten und die Buͤhne<lb/> leer laſſen, zwey andere hierauf eintreten, die von<lb/> ganz andern Sachen reden; ſo daß man lange nicht<lb/> weiß, wie dieſe hieher kommen, oder in was fuͤr<lb/> Verbindung ſie mit den vorigen ſtehen. Die Ge-<lb/> wohnheit macht alles ertraͤglich, und zuletzt laͤßt<lb/> ſich fuͤr jeden Fehler eine Entſchuldigung finden.<lb/> Gewiß aber iſt es, daß dergleichen nicht zuſammen-<lb/> haͤngende Auftritte die Aufmerkſamkeit zerſtreuen,<lb/> und daher wuͤrkliche Fehler ſind.</p><lb/> <p>Aus allzu aͤngſtlicher Beobachtung des Zuſam-<lb/> menhanges begehen die franzoͤſiſchen und deutſchen<lb/> Dichter einen andern Fehler, der wuͤrklich anſtoͤſ-<lb/> ſig iſt. Sie laſſen oft die Ankunft einer neuen<lb/> Perſon foͤrmlich ankuͤndigen, wo es gar nicht noͤ-<lb/> thig waͤre; als ob ſie befuͤrchteten, man wuͤrde den<lb/> neu auftretenden nicht gewahr werden, oder nicht<lb/> kennen. Dieſes Mißtrauen in die Aufmerkſamkeit<lb/> des Zuſchauers beleidiget ihn. Es kann freylich<lb/> Faͤlle geben, wo dieſe Ankuͤndigung noͤthig iſt; aber<lb/> ſie wird gar zu oft ohne Noth gebraucht.</p><lb/> <p>Eine wichtigere Anmerkung iſt die, daß die dop-<lb/> pelten Auftritte, da zweyerley handelnde Perſonen<lb/> einander nicht gewahr werden, oder da jede Par-<lb/> they fuͤr ſich handelt, als wenn die andere ſie noch<lb/> nicht bemerkt haͤtte, mit der groͤßten Behutſamkeit<lb/> anzubringen ſind. Jnsgemein ſind ſie abgeſchmakt:<lb/> Unſere Schaubuͤhnen ſind dazu viel zu klein. 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Auf
Auf
ſo bald eine Perſon von der Buͤhne geht, oder zu
den gegenwaͤrtigen noch eine hinzu koͤmmt. Daß
in den dramatiſchen Werken alter und neuer Dich-
ter die Handlung in Auftritte abgetheilt wird, und
jedem die Namen der darin erſcheinenden Perſonen
voran |ſtehen, iſt eine Mode der neuern Zeit, und
hat weiter nichts auf ſich.
Die Anzahl der Auftritte in einem Aufzug oder
in dem ganzen Stuͤk, ihre Laͤnge, die Anzahl der
Perſonen, dieſe Punkte ſind keiner andern Regel
unterworfen, als der allgemeinen Regel der ganzen
Handlung; daß keine Perſon ohne hinreichenden,
in der Handlung liegenden Grund, weder weg gehen
noch auftreten ſoll; und daß vom Anfange eines
Aufzuges bis ans Ende die Buͤhne niemals leer
ſeyn, ſondern jeder Auftritt mit dem folgenden in
enger Verbindung ſtehen ſoll. Beydes erfodert
die Natur der Sache. Doch werden dieſe Regeln,
ſo wie alle andere, vielfaͤltig uͤbertreten. Jn den
engliſchen Comoͤdien koͤmmt dieſes beſonders oft
vor, daß zwey Perſonen abtreten und die Buͤhne
leer laſſen, zwey andere hierauf eintreten, die von
ganz andern Sachen reden; ſo daß man lange nicht
weiß, wie dieſe hieher kommen, oder in was fuͤr
Verbindung ſie mit den vorigen ſtehen. Die Ge-
wohnheit macht alles ertraͤglich, und zuletzt laͤßt
ſich fuͤr jeden Fehler eine Entſchuldigung finden.
Gewiß aber iſt es, daß dergleichen nicht zuſammen-
haͤngende Auftritte die Aufmerkſamkeit zerſtreuen,
und daher wuͤrkliche Fehler ſind.
Aus allzu aͤngſtlicher Beobachtung des Zuſam-
menhanges begehen die franzoͤſiſchen und deutſchen
Dichter einen andern Fehler, der wuͤrklich anſtoͤſ-
ſig iſt. Sie laſſen oft die Ankunft einer neuen
Perſon foͤrmlich ankuͤndigen, wo es gar nicht noͤ-
thig waͤre; als ob ſie befuͤrchteten, man wuͤrde den
neu auftretenden nicht gewahr werden, oder nicht
kennen. Dieſes Mißtrauen in die Aufmerkſamkeit
des Zuſchauers beleidiget ihn. Es kann freylich
Faͤlle geben, wo dieſe Ankuͤndigung noͤthig iſt; aber
ſie wird gar zu oft ohne Noth gebraucht.
Eine wichtigere Anmerkung iſt die, daß die dop-
pelten Auftritte, da zweyerley handelnde Perſonen
einander nicht gewahr werden, oder da jede Par-
they fuͤr ſich handelt, als wenn die andere ſie noch
nicht bemerkt haͤtte, mit der groͤßten Behutſamkeit
anzubringen ſind. Jnsgemein ſind ſie abgeſchmakt:
Unſere Schaubuͤhnen ſind dazu viel zu klein. Die
Alten hatten weit groͤßere Buͤhnen, da giengen die
doppelten Auftritte vollkommen an, und waren
bisweilen ſehr luſtig, wovon Plautus in dem zwey-
ten Auftritt des zweyten Aufzugs im Paenulus ein
gutes Beyſpiel giebt.
Stumme Auftritte, wo gar nichts, oder ſehr
wenig Worte geſprochen werden, ſind nicht im Ge-
brauch, koͤnnten aber bey gewiſſen Gelegenheiten
ſehr gute Wuͤrkung thun; wenn nur der Dichter
ſich auf die Geſchiklichkeit der Schauſpieler verlaſſen
koͤnnte. Jn der Oper waͤren ſie leichter zu behan-
deln; weil die Muſik der ſtummen Handlung zu
Huͤlfe kaͤme. Der beſondern Gattung der Auftrit-
te, wo alle Leidenſchaften auf das hoͤchſte geſtiegen
ſind, iſt anderswo gedacht worden. S. Auffuͤh-
rung.
Aufzug.
(Schauſpiel.)
Ein Haupttheil der dramatiſchen Handlung, nach
welchem die Buͤhne von den Schauſpielern leer
wird. Es liegt eben nicht nothwendig in der Na-
tur einer ſolchen Handlung, daß ſie unterbrochen,
und daß der Ort, wo ſie vorgeht, von Perſonen
leer werde. Man kann alſo weder die Aufzuͤge an
ſich ſelbſt, noch ihre Anzahl, in einem Drama aus
der Natur der Handlung beſtimmen. Wahrſchein-
lich iſt es, daß die Aufzuͤge zufaͤlliger Weiſe ent-
ſtanden ſind. Wenn es wahr iſt, daß die drama-
tiſchen Schauſpiele urſpruͤnglich nur aus Choͤren
beſtanden, und daß nachher eine Handlung zwiſchen
die Choͤre iſt eingefuͤhrt worden, wie Ariſtoteles
und faſt alle Alten verſichern; ſo hat man die Choͤre,
als das weſentliche, die Handlung, als das zufaͤl-
lige bey dieſen Spielen angeſehen, und deswegen
alles, was zwiſchen den Choͤren geſprochen wird,
Epiſodia genennt. Darin muß alſo der Urſprung,
das Drama in verſchiedene Aufzuͤge abzutheilen,
geſucht werden. Wiewol nun dieſer Umſtand
nur vom Trauerſpiele, ausdruͤklich berichtet wird,
ſo iſt er doch vermuthlich auch vom Luſtſpiel wahr,
in welchem urſpruͤnglich auch Choͤre geweſen, die
nachher abgeſchafft worden ſind, weil man be-
merkt hat, daß die Zuſchauer, denen die unter-
brechung zu lange waͤhrte, waͤhrendem Chor davon
gegangen. Nach Abſchaffung der Choͤre wurde eine
bloße Zwiſchenzeit zwiſchen den Aufzuͤgen gelaſſen,
welche aber endlich auch abgeſchafft worden, ſo daß
in den
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