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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Aus
schon für ausgemacht halten. Deswegen muß der
Ausdruk allemal rein seyn.

Dieses sind also die nothwendigen Eigenschaften, die
jeder Ausdruk allemal haben muß. Richtig, be-
stimmt, klar und rein
muß er immer seyn,
sonst hat er etwas widriges. Allein deswegen ist
er nicht in allen Absichten vollkommen. Die grie-
chischen Grammatiker zählen uns eine Menge Feh-
ler vor, die den Ausdruk verstellen können. Die
vornehmsten sind folgende: Das #, der
häßliche Klang, der widrige Nebenbegriffe erweken
kann. Quintilian giebt den Ausdruk, ductare
exercitum,
zum Beyspiel hievon an; so wäre im
Deutschen der Ausdruk, Strik, anstatt Ketten oder
Banden, wenn man nicht mit Fleiß widrige Be-
griffe erweken will. Die ' #, wenn der
Ausdruk ungeziemende oder zu üppige Begriffe
mit sich führet. #, der niedrige Aus-
druk, der der Würde und Größe einer Sache scha-
det; wie dieses: Saxea est verruca in summo mon-
tis vertice;
eine steinerne Warze anstatt eines fel-
sigten Hügels. So ist auch der Ausdruk:

Sieh! an seiner Ordnung goldnen Seilen
Muß der Frühling neu herunter eilen.

an statt goldenen Ketten. Von dieser Art könnte
man eine beträchtliche Sammlung aus deutschen
Dichtern machen. Auch das Gegentheil ist fehler-
haft, da kleine oder gemeine Dinge mit hohen
Worten ausgedrükt werden. Nur im lächerlichen
thut dieses gute Würkung. # ist der man-
gelhafte Ausdruk, in dem zu dem völligen Sinn
etwas fehlet; dieses fällt ins Pöbelhafte. #
#, wenn dieselbe Sache mit mehrern, den
Sinn nicht verstärkenden Ausdrüken, gesagt wird.
Einen solchen Ausdruk legt Homer, vielleicht aus
Ueberlegung, dem Pandarus in den Mund; #
(*) II. E vs.
194. 195.
# (*)
#, der einfärbige Ausdruk, der wegen
seines immer gleichen Ganges verdrießlich wird.
Dieses scheinet aber mehr ein Fehler der ganzen
Schreibart, als einzeler Ausdrüke zu seyn. #
#, der weitschweifende Ausdruk, wie
dieser vom Livius: Legati non impetrata pace retro
domum unde venerant, abierunt.
Kann nicht
auch folgendes des Virgils hieher gerechnet werden?

Quem si fata virum servant, si vescitur aura
Aetherea, nec adhuc crudelibus occupat umbris.

[Spaltenumbruch]
Aus

# der unnütze Ueberfluß müßiger Bey-
wörter, wie: dies hab ich mit meinen beyden
Augen gesehen. #, was unnützer Weise
mühsam ist, wie dieses:

Er, dem des ersten Menschen zweyten Sohnes,
Des Abels, fromme Muse ward.
#, der gezierte Ausdruk.

Man würde zu weitläuftig seyn, wenn man alle
Fehler des Ausdruks bestimmen und mit Beyspielen
erläutern wollte. Das angeführte ist blos in der
Absicht hieher gesezt worden, daß junge Redner
und Dichter sehen sollen, auf wie so gar mancher-
ley Weise man im Ausdruk fehlen könne; wie
nothwendig es sey, die äußerste Sorgfalt auf diesen
Theil der Kunst zu wenden. Uns Deutschen ist
dieses um so viel nöthiger, da wir in diesem Stük
ungemein weit hinter unsern Zeitgenossen in Frank-
reich, Jtalien und England, zurüke sind. Sorg-
fältig haben sich insonderheit junge deutsche Dichter
und Redner vor dem übertriebenen Ausdruk in
Acht zu nehmen, da auch einige fonst gute Schrift-
steller sich dieses so angewöhnt haben, daß ihnen
nichts allerliebst, nichts unvergleichlich, nichts er-
staunlich
genug ist.

Es ist schon viel, wenn man die Fehler des Aus-
druks vermeidet; aber genug ist es für die reden-
den Künste nicht: man muß ihm auch ästhetische
Eigenschaften zu geben wissen und solche, die sich
zur Materie und zu den besondern Umständen schi-
ken. Diese Eigenschaften sind überhaupt von drey-
erley Art. Sie greiffen den Verstand, oder die
Einbildungskraft, oder das Herz an. (*)

(*) S.
Kraft.

Der Verstand wird gerührt durch das, was in
einem vorzüglichen Grad wahr, angemeßen, hell,
neu, naiv, fein, ist. Jede dieser Eigenschaften
giebt dem Ausdruk ästhetische Kraft. Besondere
Beyspiele davon sind in den unter angezogenen
Benennungen stehenden Artikeln anzutreffen.

Die Einbildungskraft ergötzet sich an dem Aus-
druk, der mahlerisch, witzig, in allerhand starke
oder liebliche Bilder eingekleidet ist; wovon Bey-
spiele unter diesen Wörtern zu suchen sind. Eine
besondere hieher gehörige Gattung angenehmer
Ausdrüke sind die, welche durch fast unmerkliche
Nebenbegriffe angenehm werden. Quintilian sagt:
er fühle, daß in dem Ausdruk:

-- Caesa jungebant foedera porca. (*)(*) An.
VIII.
641.

das

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Aus
ſchon fuͤr ausgemacht halten. Deswegen muß der
Ausdruk allemal rein ſeyn.

Dieſes ſind alſo die nothwendigen Eigenſchaften, die
jeder Ausdruk allemal haben muß. Richtig, be-
ſtimmt, klar und rein
muß er immer ſeyn,
ſonſt hat er etwas widriges. Allein deswegen iſt
er nicht in allen Abſichten vollkommen. Die grie-
chiſchen Grammatiker zaͤhlen uns eine Menge Feh-
ler vor, die den Ausdruk verſtellen koͤnnen. Die
vornehmſten ſind folgende: Das #, der
haͤßliche Klang, der widrige Nebenbegriffe erweken
kann. Quintilian giebt den Ausdruk, ductare
exercitum,
zum Beyſpiel hievon an; ſo waͤre im
Deutſchen der Ausdruk, Strik, anſtatt Ketten oder
Banden, wenn man nicht mit Fleiß widrige Be-
griffe erweken will. Die ’ #, wenn der
Ausdruk ungeziemende oder zu uͤppige Begriffe
mit ſich fuͤhret. #, der niedrige Aus-
druk, der der Wuͤrde und Groͤße einer Sache ſcha-
det; wie dieſes: Saxea eſt verruca in ſummo mon-
tis vertice;
eine ſteinerne Warze anſtatt eines fel-
ſigten Huͤgels. So iſt auch der Ausdruk:

Sieh! an ſeiner Ordnung goldnen Seilen
Muß der Fruͤhling neu herunter eilen.

an ſtatt goldenen Ketten. Von dieſer Art koͤnnte
man eine betraͤchtliche Sammlung aus deutſchen
Dichtern machen. Auch das Gegentheil iſt fehler-
haft, da kleine oder gemeine Dinge mit hohen
Worten ausgedruͤkt werden. Nur im laͤcherlichen
thut dieſes gute Wuͤrkung. # iſt der man-
gelhafte Ausdruk, in dem zu dem voͤlligen Sinn
etwas fehlet; dieſes faͤllt ins Poͤbelhafte. #
#, wenn dieſelbe Sache mit mehrern, den
Sinn nicht verſtaͤrkenden Ausdruͤken, geſagt wird.
Einen ſolchen Ausdruk legt Homer, vielleicht aus
Ueberlegung, dem Pandarus in den Mund; #
(*) II. E vſ.
194. 195.
# (*)
#, der einfaͤrbige Ausdruk, der wegen
ſeines immer gleichen Ganges verdrießlich wird.
Dieſes ſcheinet aber mehr ein Fehler der ganzen
Schreibart, als einzeler Ausdruͤke zu ſeyn. #
#, der weitſchweifende Ausdruk, wie
dieſer vom Livius: Legati non impetrata pace retro
domum unde venerant, abierunt.
Kann nicht
auch folgendes des Virgils hieher gerechnet werden?

Quem ſi fata virum ſervant, ſi veſcitur aura
Aetherea, nec adhuc crudelibus occupat umbris.

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Aus

# der unnuͤtze Ueberfluß muͤßiger Bey-
woͤrter, wie: dies hab ich mit meinen beyden
Augen geſehen. #, was unnuͤtzer Weiſe
muͤhſam iſt, wie dieſes:

Er, dem des erſten Menſchen zweyten Sohnes,
Des Abels, fromme Muſe ward.
#, der gezierte Ausdruk.

Man wuͤrde zu weitlaͤuftig ſeyn, wenn man alle
Fehler des Ausdruks beſtimmen und mit Beyſpielen
erlaͤutern wollte. Das angefuͤhrte iſt blos in der
Abſicht hieher geſezt worden, daß junge Redner
und Dichter ſehen ſollen, auf wie ſo gar mancher-
ley Weiſe man im Ausdruk fehlen koͤnne; wie
nothwendig es ſey, die aͤußerſte Sorgfalt auf dieſen
Theil der Kunſt zu wenden. Uns Deutſchen iſt
dieſes um ſo viel noͤthiger, da wir in dieſem Stuͤk
ungemein weit hinter unſern Zeitgenoſſen in Frank-
reich, Jtalien und England, zuruͤke ſind. Sorg-
faͤltig haben ſich inſonderheit junge deutſche Dichter
und Redner vor dem uͤbertriebenen Ausdruk in
Acht zu nehmen, da auch einige fonſt gute Schrift-
ſteller ſich dieſes ſo angewoͤhnt haben, daß ihnen
nichts allerliebſt, nichts unvergleichlich, nichts er-
ſtaunlich
genug iſt.

Es iſt ſchon viel, wenn man die Fehler des Aus-
druks vermeidet; aber genug iſt es fuͤr die reden-
den Kuͤnſte nicht: man muß ihm auch aͤſthetiſche
Eigenſchaften zu geben wiſſen und ſolche, die ſich
zur Materie und zu den beſondern Umſtaͤnden ſchi-
ken. Dieſe Eigenſchaften ſind uͤberhaupt von drey-
erley Art. Sie greiffen den Verſtand, oder die
Einbildungskraft, oder das Herz an. (*)

(*) S.
Kraft.

Der Verſtand wird geruͤhrt durch das, was in
einem vorzuͤglichen Grad wahr, angemeßen, hell,
neu, naiv, fein, iſt. Jede dieſer Eigenſchaften
giebt dem Ausdruk aͤſthetiſche Kraft. Beſondere
Beyſpiele davon ſind in den unter angezogenen
Benennungen ſtehenden Artikeln anzutreffen.

Die Einbildungskraft ergoͤtzet ſich an dem Aus-
druk, der mahleriſch, witzig, in allerhand ſtarke
oder liebliche Bilder eingekleidet iſt; wovon Bey-
ſpiele unter dieſen Woͤrtern zu ſuchen ſind. Eine
beſondere hieher gehoͤrige Gattung angenehmer
Ausdruͤke ſind die, welche durch faſt unmerkliche
Nebenbegriffe angenehm werden. Quintilian ſagt:
er fuͤhle, daß in dem Ausdruk:

Caeſa jungebant foedera porca. (*)(*) An.
VIII.
641.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/116>, abgerufen am 21.11.2024.