Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch] Aus schon für ausgemacht halten. Deswegen muß derAusdruk allemal rein seyn. Dieses sind also die nothwendigen Eigenschaften, die Sieh! an seiner Ordnung goldnen Seilen an statt goldenen Ketten. Von dieser Art könnte Quem si fata virum servant, si vescitur aura [Spaltenumbruch] Aus # der unnütze Ueberfluß müßiger Bey- Er, dem des ersten Menschen zweyten Sohnes, Man würde zu weitläuftig seyn, wenn man alle Es ist schon viel, wenn man die Fehler des Aus- Kraft. Der Verstand wird gerührt durch das, was in Die Einbildungskraft ergötzet sich an dem Aus- -- Caesa jungebant foedera porca. (*)(*) An. VIII. 641. das
[Spaltenumbruch] Aus ſchon fuͤr ausgemacht halten. Deswegen muß derAusdruk allemal rein ſeyn. Dieſes ſind alſo die nothwendigen Eigenſchaften, die Sieh! an ſeiner Ordnung goldnen Seilen an ſtatt goldenen Ketten. Von dieſer Art koͤnnte Quem ſi fata virum ſervant, ſi veſcitur aura [Spaltenumbruch] Aus # der unnuͤtze Ueberfluß muͤßiger Bey- Er, dem des erſten Menſchen zweyten Sohnes, Man wuͤrde zu weitlaͤuftig ſeyn, wenn man alle Es iſt ſchon viel, wenn man die Fehler des Aus- Kraft. Der Verſtand wird geruͤhrt durch das, was in Die Einbildungskraft ergoͤtzet ſich an dem Aus- — Caeſa jungebant foedera porca. (*)(*) An. VIII. 641. das
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Quintilian giebt den Ausdruk, <hi rendition="#aq">ductare<lb/> exercitum,</hi> zum Beyſpiel hievon an; ſo waͤre im<lb/> Deutſchen der Ausdruk, <hi rendition="#fr">Strik,</hi> anſtatt Ketten oder<lb/> Banden, wenn man nicht mit Fleiß widrige Be-<lb/> griffe erweken will. Die ’ #, wenn der<lb/> Ausdruk ungeziemende oder zu uͤppige Begriffe<lb/> mit ſich fuͤhret. #, der niedrige Aus-<lb/> druk, der der Wuͤrde und Groͤße einer Sache ſcha-<lb/> det; wie dieſes: <hi rendition="#aq">Saxea eſt <hi rendition="#i">verruca</hi> in ſummo mon-<lb/> tis vertice;</hi> eine <hi rendition="#fr">ſteinerne Warze</hi> anſtatt eines fel-<lb/> ſigten Huͤgels. So iſt auch der Ausdruk:</p><lb/> <cit> <quote>Sieh! an ſeiner Ordnung goldnen <hi rendition="#fr">Seilen</hi><lb/> Muß der Fruͤhling neu herunter eilen.</quote> </cit><lb/> <p>an ſtatt goldenen <hi rendition="#fr">Ketten.</hi> Von dieſer Art koͤnnte<lb/> man eine betraͤchtliche Sammlung aus deutſchen<lb/> Dichtern machen. 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E vſ.</hi><lb/> 194. 195.</note># (*)<lb/> #, der einfaͤrbige Ausdruk, der wegen<lb/> ſeines immer gleichen Ganges verdrießlich wird.<lb/> Dieſes ſcheinet aber mehr ein Fehler der ganzen<lb/> Schreibart, als einzeler Ausdruͤke zu ſeyn. #<lb/> #, der weitſchweifende Ausdruk, wie<lb/> dieſer vom Livius: <hi rendition="#aq">Legati non impetrata pace retro<lb/> domum unde venerant, abierunt.</hi> Kann nicht<lb/> auch folgendes des Virgils hieher gerechnet werden?</p><lb/> <cit> <quote> <hi rendition="#aq">Quem ſi fata virum ſervant, ſi veſcitur aura<lb/> Aetherea, nec adhuc crudelibus occupat umbris.</hi> </quote> </cit><lb/> <cb/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Aus</hi> </fw><lb/> <p># der unnuͤtze Ueberfluß muͤßiger Bey-<lb/> woͤrter, wie: dies hab ich mit <hi rendition="#fr">meinen beyden</hi><lb/> Augen geſehen. #, was unnuͤtzer Weiſe<lb/> muͤhſam iſt, wie dieſes:</p><lb/> <cit> <quote>Er, dem des erſten Menſchen zweyten Sohnes,<lb/> Des Abels, fromme Muſe ward.<lb/> #, der gezierte Ausdruk.</quote> </cit><lb/> <p>Man wuͤrde zu weitlaͤuftig ſeyn, wenn man alle<lb/> Fehler des Ausdruks beſtimmen und mit Beyſpielen<lb/> erlaͤutern wollte. 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Aus
Aus
ſchon fuͤr ausgemacht halten. Deswegen muß der
Ausdruk allemal rein ſeyn.
Dieſes ſind alſo die nothwendigen Eigenſchaften, die
jeder Ausdruk allemal haben muß. Richtig, be-
ſtimmt, klar und rein muß er immer ſeyn,
ſonſt hat er etwas widriges. Allein deswegen iſt
er nicht in allen Abſichten vollkommen. Die grie-
chiſchen Grammatiker zaͤhlen uns eine Menge Feh-
ler vor, die den Ausdruk verſtellen koͤnnen. Die
vornehmſten ſind folgende: Das #, der
haͤßliche Klang, der widrige Nebenbegriffe erweken
kann. Quintilian giebt den Ausdruk, ductare
exercitum, zum Beyſpiel hievon an; ſo waͤre im
Deutſchen der Ausdruk, Strik, anſtatt Ketten oder
Banden, wenn man nicht mit Fleiß widrige Be-
griffe erweken will. Die ’ #, wenn der
Ausdruk ungeziemende oder zu uͤppige Begriffe
mit ſich fuͤhret. #, der niedrige Aus-
druk, der der Wuͤrde und Groͤße einer Sache ſcha-
det; wie dieſes: Saxea eſt verruca in ſummo mon-
tis vertice; eine ſteinerne Warze anſtatt eines fel-
ſigten Huͤgels. So iſt auch der Ausdruk:
Sieh! an ſeiner Ordnung goldnen Seilen
Muß der Fruͤhling neu herunter eilen.
an ſtatt goldenen Ketten. Von dieſer Art koͤnnte
man eine betraͤchtliche Sammlung aus deutſchen
Dichtern machen. Auch das Gegentheil iſt fehler-
haft, da kleine oder gemeine Dinge mit hohen
Worten ausgedruͤkt werden. Nur im laͤcherlichen
thut dieſes gute Wuͤrkung. # iſt der man-
gelhafte Ausdruk, in dem zu dem voͤlligen Sinn
etwas fehlet; dieſes faͤllt ins Poͤbelhafte. #
#, wenn dieſelbe Sache mit mehrern, den
Sinn nicht verſtaͤrkenden Ausdruͤken, geſagt wird.
Einen ſolchen Ausdruk legt Homer, vielleicht aus
Ueberlegung, dem Pandarus in den Mund; #
# (*)
#, der einfaͤrbige Ausdruk, der wegen
ſeines immer gleichen Ganges verdrießlich wird.
Dieſes ſcheinet aber mehr ein Fehler der ganzen
Schreibart, als einzeler Ausdruͤke zu ſeyn. #
#, der weitſchweifende Ausdruk, wie
dieſer vom Livius: Legati non impetrata pace retro
domum unde venerant, abierunt. Kann nicht
auch folgendes des Virgils hieher gerechnet werden?
(*) II. E vſ.
194. 195.
Quem ſi fata virum ſervant, ſi veſcitur aura
Aetherea, nec adhuc crudelibus occupat umbris.
# der unnuͤtze Ueberfluß muͤßiger Bey-
woͤrter, wie: dies hab ich mit meinen beyden
Augen geſehen. #, was unnuͤtzer Weiſe
muͤhſam iſt, wie dieſes:
Er, dem des erſten Menſchen zweyten Sohnes,
Des Abels, fromme Muſe ward.
#, der gezierte Ausdruk.
Man wuͤrde zu weitlaͤuftig ſeyn, wenn man alle
Fehler des Ausdruks beſtimmen und mit Beyſpielen
erlaͤutern wollte. Das angefuͤhrte iſt blos in der
Abſicht hieher geſezt worden, daß junge Redner
und Dichter ſehen ſollen, auf wie ſo gar mancher-
ley Weiſe man im Ausdruk fehlen koͤnne; wie
nothwendig es ſey, die aͤußerſte Sorgfalt auf dieſen
Theil der Kunſt zu wenden. Uns Deutſchen iſt
dieſes um ſo viel noͤthiger, da wir in dieſem Stuͤk
ungemein weit hinter unſern Zeitgenoſſen in Frank-
reich, Jtalien und England, zuruͤke ſind. Sorg-
faͤltig haben ſich inſonderheit junge deutſche Dichter
und Redner vor dem uͤbertriebenen Ausdruk in
Acht zu nehmen, da auch einige fonſt gute Schrift-
ſteller ſich dieſes ſo angewoͤhnt haben, daß ihnen
nichts allerliebſt, nichts unvergleichlich, nichts er-
ſtaunlich genug iſt.
Es iſt ſchon viel, wenn man die Fehler des Aus-
druks vermeidet; aber genug iſt es fuͤr die reden-
den Kuͤnſte nicht: man muß ihm auch aͤſthetiſche
Eigenſchaften zu geben wiſſen und ſolche, die ſich
zur Materie und zu den beſondern Umſtaͤnden ſchi-
ken. Dieſe Eigenſchaften ſind uͤberhaupt von drey-
erley Art. Sie greiffen den Verſtand, oder die
Einbildungskraft, oder das Herz an. (*)
Der Verſtand wird geruͤhrt durch das, was in
einem vorzuͤglichen Grad wahr, angemeßen, hell,
neu, naiv, fein, iſt. Jede dieſer Eigenſchaften
giebt dem Ausdruk aͤſthetiſche Kraft. Beſondere
Beyſpiele davon ſind in den unter angezogenen
Benennungen ſtehenden Artikeln anzutreffen.
Die Einbildungskraft ergoͤtzet ſich an dem Aus-
druk, der mahleriſch, witzig, in allerhand ſtarke
oder liebliche Bilder eingekleidet iſt; wovon Bey-
ſpiele unter dieſen Woͤrtern zu ſuchen ſind. Eine
beſondere hieher gehoͤrige Gattung angenehmer
Ausdruͤke ſind die, welche durch faſt unmerkliche
Nebenbegriffe angenehm werden. Quintilian ſagt:
er fuͤhle, daß in dem Ausdruk:
— Caeſa jungebant foedera porca. (*)
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