Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch]
Ein Diese zufälligen Einheiten sind aber nicht blos der Wir halten demnach das Drama, darin alle Ein- Einklang. (Musik.) Man sagt von Tönen, daß sie im Einklang sind, Jm Einklang ist also die vollkommenste Harmonie, Ein nicht gleich hohe Töne, bisweilen einen erhöhtenEinklang oder Unisonus, und sieht dann einen sol- chen Unisonus als ein Jntervall an, dem man den Namen der Prime giebt, wie in der Tabelle der Dis- sonanzen zu sehen ist. (*)(*) S. Dissonanz. S. 266 Wenn über oder unter einem leeren Notensystem, Es ist höchst wahrscheinlich, daß in der alten Ohne Zweifel hat etwa ein Tonsetzer, dem die Discant. Jener einfache Gesang, der mit sehr viel Stim- "Wenn man bedenkt, (sagt er) daß von allen nen Q q
[Spaltenumbruch]
Ein Dieſe zufaͤlligen Einheiten ſind aber nicht blos der Wir halten demnach das Drama, darin alle Ein- Einklang. (Muſik.) Man ſagt von Toͤnen, daß ſie im Einklang ſind, Jm Einklang iſt alſo die vollkommenſte Harmonie, Ein nicht gleich hohe Toͤne, bisweilen einen erhoͤhtenEinklang oder Uniſonus, und ſieht dann einen ſol- chen Uniſonus als ein Jntervall an, dem man den Namen der Prime giebt, wie in der Tabelle der Diſ- ſonanzen zu ſehen iſt. (*)(*) S. Diſſonanz. S. 266 Wenn uͤber oder unter einem leeren Notenſyſtem, Es iſt hoͤchſt wahrſcheinlich, daß in der alten Ohne Zweifel hat etwa ein Tonſetzer, dem die Discant. Jener einfache Geſang, der mit ſehr viel Stim- „Wenn man bedenkt, (ſagt er) daß von allen nen Q q
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0317" n="305"/> <cb/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Ein</hi> </fw><lb/> <p>Dieſe zufaͤlligen Einheiten ſind aber nicht blos der<lb/> Wahrſcheinlichkeit halber zu beobachten, ſondern<lb/> hauptſaͤchlich darum, weil dadurch die Einheit der<lb/> Handlung deſto vollkommener wird. Je mehr man<lb/> von dem, was zur Handlung gehoͤrt, ſelbſt ſiehet,<lb/> je weniger hinter dem Vorhang, oder zwiſchen den<lb/> Aufzuͤgen vorgeht, je genauer und leichter merkt<lb/> man alle Verbindungen. <hi rendition="#fr">Getrennte Scenen</hi> thun<lb/> der Vollkommenheit der Handlung merklichen Scha-<lb/> den; die Veraͤnderung des Orts aber trennt ſie.</p><lb/> <p>Wir halten demnach das Drama, darin alle Ein-<lb/> heiten beobachtet werden, allerdings fuͤr vollkom-<lb/> mener in ſeiner Art, als die andern. Doch wollen<lb/> wir deswegen die Uebertretung der zufaͤlligen Ein-<lb/> heiten nicht ſchlechterdings verwerfen. Wenn nur<lb/> die Einheit der Handlung beobachtet wird, wenn ſie<lb/> hinlaͤnglich in einem fortgeht, wenn unſre Aufmerk-<lb/> ſamkeit auf das Weſentliche der Handlung ſo ſtark<lb/> geſpannt erhalten wird, daß wir das Zufaͤllige uͤber-<lb/> ſehen; ſo wollen wir ihm die Fehler gegen die an-<lb/> dern Einheiten vergeben, wenn ſie nur nicht ſo groß<lb/> ſind, daß die Aufmerkſamkeit auf die Hauptſache<lb/> dadurch merklich gehemmt wird.</p> </div><lb/> <div n="2"> <head><hi rendition="#g">Einklang.</hi><lb/> (Muſik.)</head><lb/> <p><hi rendition="#in">M</hi>an ſagt von Toͤnen, daß ſie im Einklang ſind,<lb/> wenn ſie gleich hoch ſind. Da die Hoͤhe der Toͤne<lb/> von der Anzahl der Schlaͤge oder Vibrationen der<lb/><note place="left">(*) S.<lb/> Klang.</note>klingenden Koͤrper herkommt, (*) ſo ſind die Toͤne<lb/> zweyer klingenden Koͤrper im Einklang, wenn die<lb/> Geſchwindigkeit der Vibrationen in beyden gleich iſt,<lb/> welches bey zwey gleichen und gleich ſtark geſpann-<lb/> ten Sayten allemal ſtatt hat.</p><lb/> <p>Jm Einklang iſt alſo die vollkommenſte Harmonie,<lb/> weil beyde Toͤne in einen zuſammenflieſſen, zumal<lb/> wenn beyde von einerley Jnſtrument, oder klingen-<lb/> den Koͤrpern herkommen. Einige rechnen den Ein-<lb/> klang unter die Conſonanzen; andre aber verwerfen<lb/> dieſes, indem ſie ſagen, daß das Wort Conſonanz<lb/> nur von Jntervallen gebraucht werde, oder von Toͤ-<lb/> nen, die in Anſehung der Hoͤhe verſchieden ſind. Der<lb/> Streit hat im Grund gar nichts auf ſich. Jeder-<lb/> man geſteht, daß zwey im Einklang geſtimmte Say-<lb/> ten vollkommen conſoniren, in ſo fern iſt der Ein-<lb/> klang die vollkommenſte Conſonanz; indeſſen ma-<lb/> chen zwey gleich hohe Toͤne kein Jntervall aus. Man<lb/> neunt aber auch, wiewol nicht gar ſchiklich, zwey<lb/><cb/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Ein</hi></fw><lb/> nicht gleich hohe Toͤne, bisweilen einen erhoͤhten<lb/> Einklang oder Uniſonus, und ſieht dann einen ſol-<lb/> chen Uniſonus als ein Jntervall an, dem man den<lb/> Namen der <hi rendition="#fr">Prime</hi> giebt, wie in der Tabelle der Diſ-<lb/> ſonanzen zu ſehen iſt. 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Ferner ſcheinet es ſehr natuͤr-<lb/> lich, daß einige Stimmen, wenn gleich durchge-<lb/> hends der Einklang vorgeſchrieben iſt, bisweilen<lb/> an deſſen Stelle Terzen oder Quinten nehmen wer-<lb/> den, weil die Kehle, ſo wie die Floͤte, durch eine<lb/> Kleinigkeit von dem Einklang auf eines dieſer Jn-<lb/> tervalle kommt. Dieſes ſcheinet der Urſprung des<lb/> vielſtimmigen Geſanges und unſrer heutigen Har-<lb/> monie zu ſeyn.</p><lb/> <p>Ohne Zweifel hat etwa ein Tonſetzer, dem die<lb/> verſchiedenen von ohngefehr ſich ereignenden Abwei-<lb/> chungen vom Einklang moͤgen gefallen haben, her-<lb/> nach verſucht, anſtatt einer Melodie zwey oder drey<lb/> verſchiedene in conſonirenden Jntervallen zu ſetzen,<lb/> und dadurch die Gelegenheit zum harmoniſchen viel-<lb/> ſtimmigen Satz gegeben. 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Ein
Ein
Dieſe zufaͤlligen Einheiten ſind aber nicht blos der
Wahrſcheinlichkeit halber zu beobachten, ſondern
hauptſaͤchlich darum, weil dadurch die Einheit der
Handlung deſto vollkommener wird. Je mehr man
von dem, was zur Handlung gehoͤrt, ſelbſt ſiehet,
je weniger hinter dem Vorhang, oder zwiſchen den
Aufzuͤgen vorgeht, je genauer und leichter merkt
man alle Verbindungen. Getrennte Scenen thun
der Vollkommenheit der Handlung merklichen Scha-
den; die Veraͤnderung des Orts aber trennt ſie.
Wir halten demnach das Drama, darin alle Ein-
heiten beobachtet werden, allerdings fuͤr vollkom-
mener in ſeiner Art, als die andern. Doch wollen
wir deswegen die Uebertretung der zufaͤlligen Ein-
heiten nicht ſchlechterdings verwerfen. Wenn nur
die Einheit der Handlung beobachtet wird, wenn ſie
hinlaͤnglich in einem fortgeht, wenn unſre Aufmerk-
ſamkeit auf das Weſentliche der Handlung ſo ſtark
geſpannt erhalten wird, daß wir das Zufaͤllige uͤber-
ſehen; ſo wollen wir ihm die Fehler gegen die an-
dern Einheiten vergeben, wenn ſie nur nicht ſo groß
ſind, daß die Aufmerkſamkeit auf die Hauptſache
dadurch merklich gehemmt wird.
Einklang.
(Muſik.)
Man ſagt von Toͤnen, daß ſie im Einklang ſind,
wenn ſie gleich hoch ſind. Da die Hoͤhe der Toͤne
von der Anzahl der Schlaͤge oder Vibrationen der
klingenden Koͤrper herkommt, (*) ſo ſind die Toͤne
zweyer klingenden Koͤrper im Einklang, wenn die
Geſchwindigkeit der Vibrationen in beyden gleich iſt,
welches bey zwey gleichen und gleich ſtark geſpann-
ten Sayten allemal ſtatt hat.
(*) S.
Klang.
Jm Einklang iſt alſo die vollkommenſte Harmonie,
weil beyde Toͤne in einen zuſammenflieſſen, zumal
wenn beyde von einerley Jnſtrument, oder klingen-
den Koͤrpern herkommen. Einige rechnen den Ein-
klang unter die Conſonanzen; andre aber verwerfen
dieſes, indem ſie ſagen, daß das Wort Conſonanz
nur von Jntervallen gebraucht werde, oder von Toͤ-
nen, die in Anſehung der Hoͤhe verſchieden ſind. Der
Streit hat im Grund gar nichts auf ſich. Jeder-
man geſteht, daß zwey im Einklang geſtimmte Say-
ten vollkommen conſoniren, in ſo fern iſt der Ein-
klang die vollkommenſte Conſonanz; indeſſen ma-
chen zwey gleich hohe Toͤne kein Jntervall aus. Man
neunt aber auch, wiewol nicht gar ſchiklich, zwey
nicht gleich hohe Toͤne, bisweilen einen erhoͤhten
Einklang oder Uniſonus, und ſieht dann einen ſol-
chen Uniſonus als ein Jntervall an, dem man den
Namen der Prime giebt, wie in der Tabelle der Diſ-
ſonanzen zu ſehen iſt. (*)
Wenn uͤber oder unter einem leeren Notenſyſtem,
fuͤr eine Stimme oder fuͤr ein Jnſtrument die Worte
im Einklang, oder italiaͤniſch all’ Uniſono ſtehen, ſo
bedeutet dieſes, daß dieſe Stimme eben die Toͤne
habe, als die uͤber ihr ſtehende Stimme.
Es iſt hoͤchſt wahrſcheinlich, daß in der alten
Muſik, wo viel Stimmen zugleich vorgekommen, alle
im Einklang, oder hoͤchſtens einige gegen die an-
dern, in Octaven fortgeſchritten ſind, daß folglich
jeder Geſang und jedes Tonſtuͤk blos einſtimmig ge-
weſen. Wenn ein ſolches Stuͤk von viel Menſchen
von verſchiedenem Alter und von verſchiedenen Stim-
men geſungen wird, ſo iſt es ganz natuͤrlich, daß
die hoͤchſten oder die tiefſten Stimmen, anſtatt der
vorgeſchriebenen Toͤne, deren Octave daruͤber oder
darunter nehmen. Ferner ſcheinet es ſehr natuͤr-
lich, daß einige Stimmen, wenn gleich durchge-
hends der Einklang vorgeſchrieben iſt, bisweilen
an deſſen Stelle Terzen oder Quinten nehmen wer-
den, weil die Kehle, ſo wie die Floͤte, durch eine
Kleinigkeit von dem Einklang auf eines dieſer Jn-
tervalle kommt. Dieſes ſcheinet der Urſprung des
vielſtimmigen Geſanges und unſrer heutigen Har-
monie zu ſeyn.
Ohne Zweifel hat etwa ein Tonſetzer, dem die
verſchiedenen von ohngefehr ſich ereignenden Abwei-
chungen vom Einklang moͤgen gefallen haben, her-
nach verſucht, anſtatt einer Melodie zwey oder drey
verſchiedene in conſonirenden Jntervallen zu ſetzen,
und dadurch die Gelegenheit zum harmoniſchen viel-
ſtimmigen Satz gegeben. (*)
Jener einfache Geſang, der mit ſehr viel Stim-
men im Einklang geht, wird von dem beruͤhmten
Roußeau fuͤr den natuͤrlichſten und vollkommenſten
Geſang gehalten, und er geht ſo weit, daß er den
vielſtimmigen harmoniſchen Geſang fuͤr eine barba-
riſche und gothiſche Erfindung haͤlt. (*) Er laͤßt ſich
hieruͤber ſehr lebhaft, aber mit etwas verdrießlicher
Laune heraus; inzwiſchen verdienen ſeine Gedan-
ken hieruͤber von den Meiſtern der Kunſt in Erwaͤ-
gung gezogen zu werden.
(*) S.
Diction. de
Muſ. im
Art. Har-
monie.
„Wenn man bedenkt, (ſagt er) daß von allen
Voͤlkern der Erde, deren jedes ſeine Muſik und ſei-
nen
Q q
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