Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch] Far handlung der Farben. Dieses wird blos zur Er-klärung des Worts angemerkt. Farben. [Spaltenumbruch]
(Dichtkunst.) Poetische Farben nennet man alle die Hülfsmittel, Du Bos meint, daß die Farben der Dichtkunst Diese Ueppigkeit hat eine Armuth wichtigerer Der Dichter soll bedenken, daß aller dieser Der rechte Gebrauch der poetischen Farben giebt Far Faß Dichters und Redners den zuverläßigsten Begriff.Ein glänzendes Colorit, ohne Stärke der Zeichnung, ohne natürliche Schilderung solcher Gegenstände, die über die Einbildungskraft hineindringen, und wichtige Empfindungen zurük lassen, verräth einen an Kleinigkeiten hangenden Geschmak. Der gänz- liche Mangel poetischer Farben ist noch eher zu er- tragen, als ihr Ueberfluß. Die größten Dichter, Homer und die tragischen Verfasser der Grie- chen haben darin einen großen Geschmak gezei- get, daß sie die hellesten Farben auf die Stellen gesezt, die zwar des Zusammenhangs halber unum- gänglich nothwendig gewesen, aber einen geringen Eindruk ohne diese Erhöhung würden gemacht ha- ben. Wo man dem Verstand und dem Herzen Ru- hestellen sezt, da kann die Einbildungskraft gerührt werden. Faßung [Spaltenumbruch]
(Schöne Künste.) Jeder besondere Zustand des Gemüthes, der den Ein wolgesezt Gemüth kann Galle süße machen, so zeiget er die Würkung zweyer einander entgegen Es ist eine der wichtigsten, obgleich überall in Wir wollen diese merkwürdige psychologische Er- in A a a 3
[Spaltenumbruch] Far handlung der Farben. Dieſes wird blos zur Er-klaͤrung des Worts angemerkt. Farben. [Spaltenumbruch]
(Dichtkunſt.) Poetiſche Farben nennet man alle die Huͤlfsmittel, Du Bos meint, daß die Farben der Dichtkunſt Dieſe Ueppigkeit hat eine Armuth wichtigerer Der Dichter ſoll bedenken, daß aller dieſer Der rechte Gebrauch der poetiſchen Farben giebt Far Faß Dichters und Redners den zuverlaͤßigſten Begriff.Ein glaͤnzendes Colorit, ohne Staͤrke der Zeichnung, ohne natuͤrliche Schilderung ſolcher Gegenſtaͤnde, die uͤber die Einbildungskraft hineindringen, und wichtige Empfindungen zuruͤk laſſen, verraͤth einen an Kleinigkeiten hangenden Geſchmak. Der gaͤnz- liche Mangel poetiſcher Farben iſt noch eher zu er- tragen, als ihr Ueberfluß. Die groͤßten Dichter, Homer und die tragiſchen Verfaſſer der Grie- chen haben darin einen großen Geſchmak gezei- get, daß ſie die helleſten Farben auf die Stellen geſezt, die zwar des Zuſammenhangs halber unum- gaͤnglich nothwendig geweſen, aber einen geringen Eindruk ohne dieſe Erhoͤhung wuͤrden gemacht ha- ben. Wo man dem Verſtand und dem Herzen Ru- heſtellen ſezt, da kann die Einbildungskraft geruͤhrt werden. Faßung [Spaltenumbruch]
(Schoͤne Kuͤnſte.) Jeder beſondere Zuſtand des Gemuͤthes, der den Ein wolgeſezt Gemuͤth kann Galle ſuͤße machen, ſo zeiget er die Wuͤrkung zweyer einander entgegen Es iſt eine der wichtigſten, obgleich uͤberall in Wir wollen dieſe merkwuͤrdige pſychologiſche Er- in A a a 3
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Selbſt in lyriſchen Stuͤ-<lb/> ken, die doch den poetiſchen Farben ihren eigentlichen<lb/> Ort leihen, ſchiket ſich dieſe Ueppigkeit ſo wenig, als<lb/> im Trauerſpiel und in dem heroiſchen Gedicht.</p><lb/> <p>Der Dichter ſoll bedenken, daß aller dieſer<lb/> Schmuk hoͤhern und wichtigern Eindruͤken nothwen-<lb/> dig muß untergeordnet ſeyn. Wozu dienete denn<lb/> endlich die wolausgezierteſte Auſſenſeite eines Ge-<lb/> baͤudes, wenn hinter derſelben keine Zimmer waͤren?<lb/> Jeder Dichter ſollte bedenken, daß ein mit aller<lb/> Einfalt vorgetragener, wichtiger, das Herz oder den<lb/> Verſtand intreßirender Gedanke eine groͤßere Wuͤr-<lb/> kung thut, als alle Bilder der Phantaſie.</p><lb/> <p>Der rechte Gebrauch der poetiſchen Farben giebt<lb/> uns von den Einſichten und dem Geſchmak eines<lb/><cb/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Far Faß</hi></fw><lb/> Dichters und Redners den zuverlaͤßigſten Begriff.<lb/> Ein glaͤnzendes Colorit, ohne Staͤrke der Zeichnung,<lb/> ohne natuͤrliche Schilderung ſolcher Gegenſtaͤnde,<lb/> die uͤber die Einbildungskraft hineindringen, und<lb/> wichtige Empfindungen zuruͤk laſſen, verraͤth einen<lb/> an Kleinigkeiten hangenden Geſchmak. Der gaͤnz-<lb/> liche Mangel poetiſcher Farben iſt noch eher zu er-<lb/> tragen, als ihr Ueberfluß. 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Far
Far Faß
handlung der Farben. Dieſes wird blos zur Er-
klaͤrung des Worts angemerkt.
Farben.
(Dichtkunſt.)
Poetiſche Farben nennet man alle die Huͤlfsmittel,
deren ſich der Dichter bedienet ſeinen Gegenſtand
der Einbildungskraft ſo deutlich darzuſtellen, als
wenn er vor unſern Augen gemahlt waͤre, Leben
oder Bewegung haͤtte. Dazu gehoͤren die Bilder,
und alle Tropen und Figuren, wodurch die Ein-
bildungskraft lebhafter geruͤhrt wird, als ſie durch
die eigentliche Beſchreibung, durch den natuͤrlichen
Ausdruk geworden waͤre.
Du Bos meint, daß die Farben der Dichtkunſt
das Schikſal der Gedichte beſtimmen. Vermuth-
lich denken einige Dichter eben ſo, die in der poe-
tiſchen Mahlerey weder Maaß, noch Ziel, noch
Grade beobachten. Jhre Reden ſind ein beſtaͤndi-
ges Gewebe von Bildern und Tropen von der
ſeltſamſten Art. Nicht nur Tugenden und Laſter,
ſondern auch die zufaͤlligſten Begriffe werden zu
Perſonen erhoͤhet, ſo daß den Perſonen ſelbſt wenig
zu thun uͤbrig bleibet. Die eigenthuͤmlichen Re-
densarten werden faſt uͤberall vermieden, als wenn
ſie ganz unbrauchbar waͤren.
Dieſe Ueppigkeit hat eine Armuth wichtigerer
Vorſtellungen zum Grund; das Herz bleibt dabey
kalt, und die Einbildungskraft wird ſo uͤberhaͤuft,
daß ſie ermuͤdet. Solcher Ueberfluß ſchadet, wie
die Verſchwendung der Zierrathen am Kopfputz und
der Kleidung, durch welche das Aug nicht hindurch
dringen kann, um das Schoͤne im Geſicht und der
ganzen Geſtalt zu ſehen. Selbſt in lyriſchen Stuͤ-
ken, die doch den poetiſchen Farben ihren eigentlichen
Ort leihen, ſchiket ſich dieſe Ueppigkeit ſo wenig, als
im Trauerſpiel und in dem heroiſchen Gedicht.
Der Dichter ſoll bedenken, daß aller dieſer
Schmuk hoͤhern und wichtigern Eindruͤken nothwen-
dig muß untergeordnet ſeyn. Wozu dienete denn
endlich die wolausgezierteſte Auſſenſeite eines Ge-
baͤudes, wenn hinter derſelben keine Zimmer waͤren?
Jeder Dichter ſollte bedenken, daß ein mit aller
Einfalt vorgetragener, wichtiger, das Herz oder den
Verſtand intreßirender Gedanke eine groͤßere Wuͤr-
kung thut, als alle Bilder der Phantaſie.
Der rechte Gebrauch der poetiſchen Farben giebt
uns von den Einſichten und dem Geſchmak eines
Dichters und Redners den zuverlaͤßigſten Begriff.
Ein glaͤnzendes Colorit, ohne Staͤrke der Zeichnung,
ohne natuͤrliche Schilderung ſolcher Gegenſtaͤnde,
die uͤber die Einbildungskraft hineindringen, und
wichtige Empfindungen zuruͤk laſſen, verraͤth einen
an Kleinigkeiten hangenden Geſchmak. Der gaͤnz-
liche Mangel poetiſcher Farben iſt noch eher zu er-
tragen, als ihr Ueberfluß. Die groͤßten Dichter,
Homer und die tragiſchen Verfaſſer der Grie-
chen haben darin einen großen Geſchmak gezei-
get, daß ſie die helleſten Farben auf die Stellen
geſezt, die zwar des Zuſammenhangs halber unum-
gaͤnglich nothwendig geweſen, aber einen geringen
Eindruk ohne dieſe Erhoͤhung wuͤrden gemacht ha-
ben. Wo man dem Verſtand und dem Herzen Ru-
heſtellen ſezt, da kann die Einbildungskraft geruͤhrt
werden.
Faßung
(Schoͤne Kuͤnſte.)
Jeder beſondere Zuſtand des Gemuͤthes, der den
Vorſtellungen und Handlungen einen beſondern Ton
giebt. Wenn Haller ſagt:
Ein wolgeſezt Gemuͤth kann Galle ſuͤße machen,
Da ein verwoͤhnter Sinn auf alles Wermuth ſtreut;
ſo zeiget er die Wuͤrkung zweyer einander entgegen
geſetzter Faßungen an; der ruhigen, die ſich mehr
zu angenehmen als unangenehmen Vorſtellungen
lenkt; und der verdrießlichen, die geneigt iſt, alles
von der widrigen Seite zu betrachten.
Es iſt eine der wichtigſten, obgleich uͤberall in
die Augen fallenden Beobachtungen, daß die Urtheile
der Menſchen und die Eindruͤke, welche die Sachen
auf ſie machen, alſo ihr Thun und Leiden vornehm-
lich durch die Faßung beſtimmt werden. So wie der-
ſelbe Menſch von dem Geſchmak der Speiſen ganz
anders urtheilet, wenn er hungrig, als wenn er
ſatt iſt, ſo beurtheilet und empfindet man insgemein
jede Sache nach Beſchaffenheit der Faßung, darin
man iſt. Dieſes hat nicht nur bey den gemeinen
Seelen ſtatt, die nie nach wol uͤberlegten Begriffen,
ſondern blos nach Eindruͤken handeln; auch der ver-
ſtaͤndigſte Menſch, der welcher die Stimme der Ver-
nunft laut und vernehmlich hoͤret, laͤßt ſich ofte
durch die Faßung hinreißen.
Wir wollen dieſe merkwuͤrdige pſychologiſche Er-
ſcheinung hier nur in Ruͤkſicht auf ihre Wichtigkeit
in
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