Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch] Har lich die Schönheit des Gemähldes, in so fern es nurdurch die Farben rühret, und noch keine bedeuten- den Formen zeiget. Die Harmonie der Farben hängt von zwey Ur- Hiebey kömmt das meiste auf die Feinheit seiner Har der geringsten Kleinigkeit gerührt werden, sind auf-gelegt, die größte Harmonie zu erreichen. Von Licht und Schatten hängt ein großer Theil Doch ist dieses nur von einzelen Massen zu ver- Der Mahler muß aber eben so gut wissen die Auch in der Zeichnung muß Harmonie seyn. den T t t 3
[Spaltenumbruch] Har lich die Schoͤnheit des Gemaͤhldes, in ſo fern es nurdurch die Farben ruͤhret, und noch keine bedeuten- den Formen zeiget. Die Harmonie der Farben haͤngt von zwey Ur- Hiebey koͤmmt das meiſte auf die Feinheit ſeiner Har der geringſten Kleinigkeit geruͤhrt werden, ſind auf-gelegt, die groͤßte Harmonie zu erreichen. Von Licht und Schatten haͤngt ein großer Theil Doch iſt dieſes nur von einzelen Maſſen zu ver- Der Mahler muß aber eben ſo gut wiſſen die Auch in der Zeichnung muß Harmonie ſeyn. den T t t 3
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Aber es muß dabey nicht<lb/> ſtehen bleiben; darum muͤſſen die andern Theile<lb/> in der Farbe nicht ſchnell abfallen, daß das Aug<lb/> gleichſam einen Sprung darauf zu thun haͤtte; ſon-<lb/> der allmaͤhlig durch ſanfte Abaͤnderungen in der Em-<lb/> pfindung, wo das Mittel zum Uebergang von der<lb/> einen zur andern noch empfindbar iſt. Man kann<lb/> in einer Maſſe ſehr widerſtreitende Farben anbrin-<lb/> gen; aber ſie muͤſſen nicht neben einander ſtehen,<lb/> ſondern nach dem Grad des Diſſonirens derſelben<lb/> muͤſſen mehr oder weniger Mittelfarben, als Verbin-<lb/> dungen dazwiſchen geſetzt ſeyn. Es wuͤrde unertraͤg-<lb/> lich ſeyn, wenn man uns in der Muſik von der<lb/> lebhafteſten Freude ploͤtzlich in finſtere Traurigkeit<lb/> fuͤhren wollte: wenn dieſe Abwechslung gefaͤllig<lb/> ſeyn ſoll, ſo muß die Freude allmaͤhlig in die ver-<lb/> miſchte Empfindung eines zaͤrtlichen Vergnuͤgens<lb/> heruͤbergelenkt werden, von welcher man wieder all-<lb/> maͤhlig in ſanfte, und endlich in ſtrengere Traurigkeit<lb/> geleitet werden kann, ohne irgendwo eine ſchnelle<lb/> Veraͤndrung zu empfinden. Auf eine aͤhnliche Weiſe<lb/> muß der Mahler Localfarben von ſehr ungleicharti-<lb/> ger Wuͤrkung durch alle ſich dazwiſchen ſchikende<lb/> Farben zu verbinden wiſſen, ohne die Harmonie<lb/> zu verletzen.</p><lb/> <p>Hiebey koͤmmt das meiſte auf die Feinheit ſeiner<lb/> Empfindung an. Sein Aug muß, wie das Aug ei-<lb/> nes Corregio, von ſybaritiſcher Zaͤrtlichkeit ſeyn,<lb/> das auch von dem geringſten Mißlaut der Farben<lb/> beleidiget wird. Aus der mehr oder weniger voll-<lb/> kommenen Harmonie in den Werken des Mahlers<lb/> laͤßt ſich beynahe ſein Gemuͤthscharakter beſtimmen.<lb/> Wer vorzuͤglich das Strenge, das ſtark Auffallende<lb/> liebt, der wird es in dieſem Theile der Kunſt nicht<lb/> hoch bringen; aber weiche zaͤrtliche Seelen, die von<lb/><cb/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Har</hi></fw><lb/> der geringſten Kleinigkeit geruͤhrt werden, ſind auf-<lb/> gelegt, die groͤßte Harmonie zu erreichen.</p><lb/> <p>Von Licht und Schatten haͤngt ein großer Theil<lb/> der Harmonie ab; denn ſchon dadurch allein kann<lb/> ein Gemaͤhld Harmonie bekommen. Die hoͤchſte<lb/> Einheit der Maſſe, oder die hoͤchſte Harmome fin-<lb/> det ſich nur auf der Kugel, die von einem einzigen<lb/> Lichte beleuchtet wird. Das hoͤchſte Licht faͤllt auf<lb/> einen Punkt, und von da aus, als dem Mittelpunkt,<lb/> nihmt es allmaͤhlig durch voͤllig zuſammenhangende<lb/> Grade bis zum ſtaͤrkſten Schatten ab. Dieſes iſt<lb/> das Muſter, an dem ſich der Mahler halten muß,<lb/> um die vollkommene Harmonie in Licht und Schat-<lb/> ten zu erreichen.</p><lb/> <p>Doch iſt dieſes nur von einzelen Maſſen zu ver-<lb/> ſtehen; denn wo das Gemaͤhld aus mehrern beſteht,<lb/> da kann die Harmonie den hoͤchſten Grad nicht ha-<lb/> ben, weil ſich die verſchiedenen Gruppen von einan-<lb/> der abſondern muͤſſen. Jn dieſem Falle hat der<lb/> Mahler groͤßere Arbeit. Er muß in jeder Gruppe<lb/> beſonders, nach dem Grad der Staͤrke des ihr zu-<lb/> kommenden Lichts, auf die hoͤchſte Einheit oder<lb/> Harmonie der Gruppe arbeiten, und noch uͤberdem<lb/> jeder Nebengruppe den Grad des Lichts geben, der<lb/> ſie mit der Hauptgruppe auf das richtigſte verbin-<lb/> det. Dieſes allein erfodert ſchon ein langes Stu-<lb/> dium. Der angehende Mahler kann ſich dieſes da-<lb/> durch erleichtern, daß er eine Zeitlang nur einfaͤr-<lb/> big oder grau in grau arbeitet. Allzulang aber muß<lb/> er ſich dabey auch nicht verweilen, weil er ſonſt in<lb/> Abſicht auf die Behandlung der Farben zuruͤke blei-<lb/> ben koͤnnte.</p><lb/> <p>Der Mahler muß aber eben ſo gut wiſſen die<lb/> Harmonie zu unterbrechen; denn dadurch erhaͤlt er<lb/> die vollkommene Haltung. Was ſich nothwendig<lb/> von dem Grund abloͤſen muß, kann nicht ganz mit ihm<lb/> harmoniren. Ein Baum auf dem Vorgrund einer<lb/> Landſchaft thut eben dadurch ſeine Wuͤrkung, daß<lb/> er gegen die Luft und gegen den hintern Grund ge-<lb/> hoͤrig abſticht. Alſo muß man nicht immer auf die<lb/> hoͤchſte Harmonie arbeiten; weil ſie ofte das Ganze<lb/> unkraͤftig machen wuͤrde.</p><lb/> <p>Auch in der Zeichnung muß Harmonie ſeyn.<lb/> Die Vermeidung des Ekichten und Spitzigen in den<lb/> Umriſſen, das Schlaͤngelnde und Wellenfoͤrmige darin,<lb/> macht eigentlich die Formen ſanft und harmoniſch.<lb/> Mengs ſagt von Corregio, daß er alle Eken vermie-<lb/> <fw place="bottom" type="sig">T t t 3</fw><fw place="bottom" type="catch">den</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [517/0529]
Har
Har
lich die Schoͤnheit des Gemaͤhldes, in ſo fern es nur
durch die Farben ruͤhret, und noch keine bedeuten-
den Formen zeiget.
Die Harmonie der Farben haͤngt von zwey Ur-
ſachen ab; von den Farben ſelbſt, und von Licht und
Schatten. An der guten Wahl der eigenthuͤmlichen
Farben, deren jede ſich fuͤr die Stelle ſchike, und
daſelbſt den Grad der Wuͤrkung oder der Ruͤhrung
des Auges habe, der ihr zukoͤmmt, iſt das meiſte
gelegen. Jn jedem Gemaͤhlde iſt etwas das We-
ſentliche; dahin muß das Aug gezogen werden.
Alſo muͤſſen die weſentlichen Theile durch ihre Farbe
in dem Maaß hervorſtechen, daß das Aug zuerſt
darauf geleitet werde. Aber es muß dabey nicht
ſtehen bleiben; darum muͤſſen die andern Theile
in der Farbe nicht ſchnell abfallen, daß das Aug
gleichſam einen Sprung darauf zu thun haͤtte; ſon-
der allmaͤhlig durch ſanfte Abaͤnderungen in der Em-
pfindung, wo das Mittel zum Uebergang von der
einen zur andern noch empfindbar iſt. Man kann
in einer Maſſe ſehr widerſtreitende Farben anbrin-
gen; aber ſie muͤſſen nicht neben einander ſtehen,
ſondern nach dem Grad des Diſſonirens derſelben
muͤſſen mehr oder weniger Mittelfarben, als Verbin-
dungen dazwiſchen geſetzt ſeyn. Es wuͤrde unertraͤg-
lich ſeyn, wenn man uns in der Muſik von der
lebhafteſten Freude ploͤtzlich in finſtere Traurigkeit
fuͤhren wollte: wenn dieſe Abwechslung gefaͤllig
ſeyn ſoll, ſo muß die Freude allmaͤhlig in die ver-
miſchte Empfindung eines zaͤrtlichen Vergnuͤgens
heruͤbergelenkt werden, von welcher man wieder all-
maͤhlig in ſanfte, und endlich in ſtrengere Traurigkeit
geleitet werden kann, ohne irgendwo eine ſchnelle
Veraͤndrung zu empfinden. Auf eine aͤhnliche Weiſe
muß der Mahler Localfarben von ſehr ungleicharti-
ger Wuͤrkung durch alle ſich dazwiſchen ſchikende
Farben zu verbinden wiſſen, ohne die Harmonie
zu verletzen.
Hiebey koͤmmt das meiſte auf die Feinheit ſeiner
Empfindung an. Sein Aug muß, wie das Aug ei-
nes Corregio, von ſybaritiſcher Zaͤrtlichkeit ſeyn,
das auch von dem geringſten Mißlaut der Farben
beleidiget wird. Aus der mehr oder weniger voll-
kommenen Harmonie in den Werken des Mahlers
laͤßt ſich beynahe ſein Gemuͤthscharakter beſtimmen.
Wer vorzuͤglich das Strenge, das ſtark Auffallende
liebt, der wird es in dieſem Theile der Kunſt nicht
hoch bringen; aber weiche zaͤrtliche Seelen, die von
der geringſten Kleinigkeit geruͤhrt werden, ſind auf-
gelegt, die groͤßte Harmonie zu erreichen.
Von Licht und Schatten haͤngt ein großer Theil
der Harmonie ab; denn ſchon dadurch allein kann
ein Gemaͤhld Harmonie bekommen. Die hoͤchſte
Einheit der Maſſe, oder die hoͤchſte Harmome fin-
det ſich nur auf der Kugel, die von einem einzigen
Lichte beleuchtet wird. Das hoͤchſte Licht faͤllt auf
einen Punkt, und von da aus, als dem Mittelpunkt,
nihmt es allmaͤhlig durch voͤllig zuſammenhangende
Grade bis zum ſtaͤrkſten Schatten ab. Dieſes iſt
das Muſter, an dem ſich der Mahler halten muß,
um die vollkommene Harmonie in Licht und Schat-
ten zu erreichen.
Doch iſt dieſes nur von einzelen Maſſen zu ver-
ſtehen; denn wo das Gemaͤhld aus mehrern beſteht,
da kann die Harmonie den hoͤchſten Grad nicht ha-
ben, weil ſich die verſchiedenen Gruppen von einan-
der abſondern muͤſſen. Jn dieſem Falle hat der
Mahler groͤßere Arbeit. Er muß in jeder Gruppe
beſonders, nach dem Grad der Staͤrke des ihr zu-
kommenden Lichts, auf die hoͤchſte Einheit oder
Harmonie der Gruppe arbeiten, und noch uͤberdem
jeder Nebengruppe den Grad des Lichts geben, der
ſie mit der Hauptgruppe auf das richtigſte verbin-
det. Dieſes allein erfodert ſchon ein langes Stu-
dium. Der angehende Mahler kann ſich dieſes da-
durch erleichtern, daß er eine Zeitlang nur einfaͤr-
big oder grau in grau arbeitet. Allzulang aber muß
er ſich dabey auch nicht verweilen, weil er ſonſt in
Abſicht auf die Behandlung der Farben zuruͤke blei-
ben koͤnnte.
Der Mahler muß aber eben ſo gut wiſſen die
Harmonie zu unterbrechen; denn dadurch erhaͤlt er
die vollkommene Haltung. Was ſich nothwendig
von dem Grund abloͤſen muß, kann nicht ganz mit ihm
harmoniren. Ein Baum auf dem Vorgrund einer
Landſchaft thut eben dadurch ſeine Wuͤrkung, daß
er gegen die Luft und gegen den hintern Grund ge-
hoͤrig abſticht. Alſo muß man nicht immer auf die
hoͤchſte Harmonie arbeiten; weil ſie ofte das Ganze
unkraͤftig machen wuͤrde.
Auch in der Zeichnung muß Harmonie ſeyn.
Die Vermeidung des Ekichten und Spitzigen in den
Umriſſen, das Schlaͤngelnde und Wellenfoͤrmige darin,
macht eigentlich die Formen ſanft und harmoniſch.
Mengs ſagt von Corregio, daß er alle Eken vermie-
den
T t t 3
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