So nennen wir die großen Gebäude, die zu Woh- nungen der Landesfürsten bestimmt sind; wiewol die Schmeicheley den Namen auch auf die Wohnungen andrer Personen von hohem Stand ausgedähnt hat. Der Name kommt von der Wohnung des Augu- stus in Rom her, die auf dem Palatinischen Berg stund, deswegen sie Palatium, auch überhaupt die Wohnungen der nachfolgenden Kayser Palatia ge- nennt wurden.
Die Paläste, als die Wohnsize der Landesfürsten, sollten sich, weil ihre Bewohner die einzigen ihrer Art in einem Lande sind, auch durch einen eigenen der Hoheit der Besizer angemessenen Charakter aus- zeichnen, und nicht blos erweiterte und sehr ver- größerte Wohnhäuser seyn. Sie sind nicht nur der Mittelpunkt des Sammelplazes einer Hauptstadt, sondern des ganzen Landes; nicht nur im Ganzen und im Aeußerlichen öffentliche Gebäude, sondern die meisten der innern Theile sind noch als öffent- liche Pläze anzusehen, auf denen Nationalver- sammlungen gehalten, große Feyerlichkeiten be- gangen, und besonders auch Gesandten fremder Fürsten und Nationen Audienz gegeben werden. Ein Theil der Paläste ist also zum öffentlichen Gebrauch bestimmt; ein andrer aber dienet zum Privatgebrauch der Fürsten.
Es ist aber leicht zu sehen, daß der Palast nicht nur wegen seiner Größe, sondern wegen der Man- nigfaltigkeit der Bedürfnisse, denen der Baumeister dabey Genüge leisten muß, das schweereste Werk der Baukunst sey. Schon der Umstand allein, daß er sowol für den Privatgebrauch einer sehr großen Anzahl Menschen, die ein Landesfürst um sich haben muß, als zu öffentlichen Geschäften dienen soll, macht die geschikte Vereinigung zweyer so sehr gegen einan- der streitender Dinge, schweer. Bey feyerlichen Ge- legenheiten könnte der Ernst und die Hoheit der Handlung gleichsam einen tödlichen Stoß bekommen, wenn durch Ungeschiklichkeit des Baumeisters gemeine, oder gar niedrige Vorstellungen aus dem Privat- [Spaltenumbruch]
leben, sich unter die feyerlichen Eindrüke mischten; wenn z. B. bey einer öffentlichen Audienz Dinge, die zur Küche gehören, in die Sinnen fielen. Gros- sen Herren, und sogar dem Staat überhaupt, ist viel daran gelegen, daß der Unterthan nie ohne Ehrfurcht an sie denke. Darum sollte, so viel immer möglich wäre, das ganze Privatleben der Beherrscher der Völ- ker dem Aug des gemeinen Mannes für immer ver- borgen seyn.
Aus dergleichen Betrachtungen muß der Baumei- ster die Grundsäze zu Erfindung, Anordnung und zur ganzen Einrichtung der Palläste hernehmen. Alles muß da groß seyn und den Charakter der Hoheit an sich haben; aber ohne Abbruch des Nothwendigen. Wer dieses bedenkt, wird leicht se- hen, was für Genie, Beurtheilungskraft und Ge- schmak dazu erfodert werde. Der Palast ist für den Baumeister, was das Heldengedicht für den Poeten ist; das Höchste der Kunst, und vielleicht ist es noch seltener einen vollkommenen Palast, als ein vollkommenes Heldengedicht zu sehen. Die meisten Paläste sind kaum etwas anderes, als sehr große Wohnhäuser. Nichts anders ist das Königliche Schloß in Berlin, ob es gleich in besonderen Thei- len sehr große architectonische Schönheiten hat. Wenn man es von einer der Außenseiten betrachtet, die einzige, daran das große Portal ist, ausgenom- men, so fällt wenig in die Augen, das nicht bald in jedem Bürgerhaus zu sehen wäre. Nur das große Portal, das den Triumphbogen des Kaysers Severus nachahmet, ist groß und in dem Geschmak eines wahren Palastes, und so wär auch die Seite gegen den kleinen Hof, an der die Haupttreppe liegt, wenn nur nicht so viel Fehler gegen den guten Ge- schmak der Säulenordnungen daran in die Augen sie- len. Denn Pracht und Größe hat sonst diese Seite, wobey keinem Menschen, wie bey den Außenseiten, einfallen könnte, daß etwa sehr reiche Privatfami- lien, da wohnten. Alles kündiget da den Landes- herren an. Sonst ist die Lage dieses Schloßes, so wie sie sich für einen Pallast schiket; mitten auf ei- nem erstaunlich großen Plaz, auf welchen sehr breite Straßen führen, so daß eine ganze Nation sich in
der
Zweyter Theil. Q q q q q
P.
[Spaltenumbruch]
Palaſt. (Baukunſt.)
So nennen wir die großen Gebaͤude, die zu Woh- nungen der Landesfuͤrſten beſtimmt ſind; wiewol die Schmeicheley den Namen auch auf die Wohnungen andrer Perſonen von hohem Stand ausgedaͤhnt hat. Der Name kommt von der Wohnung des Augu- ſtus in Rom her, die auf dem Palatiniſchen Berg ſtund, deswegen ſie Palatium, auch uͤberhaupt die Wohnungen der nachfolgenden Kayſer Palatia ge- nennt wurden.
Die Palaͤſte, als die Wohnſize der Landesfuͤrſten, ſollten ſich, weil ihre Bewohner die einzigen ihrer Art in einem Lande ſind, auch durch einen eigenen der Hoheit der Beſizer angemeſſenen Charakter aus- zeichnen, und nicht blos erweiterte und ſehr ver- groͤßerte Wohnhaͤuſer ſeyn. Sie ſind nicht nur der Mittelpunkt des Sammelplazes einer Hauptſtadt, ſondern des ganzen Landes; nicht nur im Ganzen und im Aeußerlichen oͤffentliche Gebaͤude, ſondern die meiſten der innern Theile ſind noch als oͤffent- liche Plaͤze anzuſehen, auf denen Nationalver- ſammlungen gehalten, große Feyerlichkeiten be- gangen, und beſonders auch Geſandten fremder Fuͤrſten und Nationen Audienz gegeben werden. Ein Theil der Palaͤſte iſt alſo zum oͤffentlichen Gebrauch beſtimmt; ein andrer aber dienet zum Privatgebrauch der Fuͤrſten.
Es iſt aber leicht zu ſehen, daß der Palaſt nicht nur wegen ſeiner Groͤße, ſondern wegen der Man- nigfaltigkeit der Beduͤrfniſſe, denen der Baumeiſter dabey Genuͤge leiſten muß, das ſchweereſte Werk der Baukunſt ſey. Schon der Umſtand allein, daß er ſowol fuͤr den Privatgebrauch einer ſehr großen Anzahl Menſchen, die ein Landesfuͤrſt um ſich haben muß, als zu oͤffentlichen Geſchaͤften dienen ſoll, macht die geſchikte Vereinigung zweyer ſo ſehr gegen einan- der ſtreitender Dinge, ſchweer. Bey feyerlichen Ge- legenheiten koͤnnte der Ernſt und die Hoheit der Handlung gleichſam einen toͤdlichen Stoß bekommen, wenn durch Ungeſchiklichkeit des Baumeiſters gemeine, oder gar niedrige Vorſtellungen aus dem Privat- [Spaltenumbruch]
leben, ſich unter die feyerlichen Eindruͤke miſchten; wenn z. B. bey einer oͤffentlichen Audienz Dinge, die zur Kuͤche gehoͤren, in die Sinnen fielen. Groſ- ſen Herren, und ſogar dem Staat uͤberhaupt, iſt viel daran gelegen, daß der Unterthan nie ohne Ehrfurcht an ſie denke. Darum ſollte, ſo viel immer moͤglich waͤre, das ganze Privatleben der Beherrſcher der Voͤl- ker dem Aug des gemeinen Mannes fuͤr immer ver- borgen ſeyn.
Aus dergleichen Betrachtungen muß der Baumei- ſter die Grundſaͤze zu Erfindung, Anordnung und zur ganzen Einrichtung der Pallaͤſte hernehmen. Alles muß da groß ſeyn und den Charakter der Hoheit an ſich haben; aber ohne Abbruch des Nothwendigen. Wer dieſes bedenkt, wird leicht ſe- hen, was fuͤr Genie, Beurtheilungskraft und Ge- ſchmak dazu erfodert werde. Der Palaſt iſt fuͤr den Baumeiſter, was das Heldengedicht fuͤr den Poeten iſt; das Hoͤchſte der Kunſt, und vielleicht iſt es noch ſeltener einen vollkommenen Palaſt, als ein vollkommenes Heldengedicht zu ſehen. Die meiſten Palaͤſte ſind kaum etwas anderes, als ſehr große Wohnhaͤuſer. Nichts anders iſt das Koͤnigliche Schloß in Berlin, ob es gleich in beſonderen Thei- len ſehr große architectoniſche Schoͤnheiten hat. Wenn man es von einer der Außenſeiten betrachtet, die einzige, daran das große Portal iſt, ausgenom- men, ſo faͤllt wenig in die Augen, das nicht bald in jedem Buͤrgerhaus zu ſehen waͤre. Nur das große Portal, das den Triumphbogen des Kayſers Severus nachahmet, iſt groß und in dem Geſchmak eines wahren Palaſtes, und ſo waͤr auch die Seite gegen den kleinen Hof, an der die Haupttreppe liegt, wenn nur nicht ſo viel Fehler gegen den guten Ge- ſchmak der Saͤulenordnungen daran in die Augen ſie- len. Denn Pracht und Groͤße hat ſonſt dieſe Seite, wobey keinem Menſchen, wie bey den Außenſeiten, einfallen koͤnnte, daß etwa ſehr reiche Privatfami- lien, da wohnten. Alles kuͤndiget da den Landes- herren an. Sonſt iſt die Lage dieſes Schloßes, ſo wie ſie ſich fuͤr einen Pallaſt ſchiket; mitten auf ei- nem erſtaunlich großen Plaz, auf welchen ſehr breite Straßen fuͤhren, ſo daß eine ganze Nation ſich in
der
Zweyter Theil. Q q q q q
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[875[857]/0292]
P.
Palaſt.
(Baukunſt.)
So nennen wir die großen Gebaͤude, die zu Woh-
nungen der Landesfuͤrſten beſtimmt ſind; wiewol die
Schmeicheley den Namen auch auf die Wohnungen
andrer Perſonen von hohem Stand ausgedaͤhnt hat.
Der Name kommt von der Wohnung des Augu-
ſtus in Rom her, die auf dem Palatiniſchen Berg
ſtund, deswegen ſie Palatium, auch uͤberhaupt die
Wohnungen der nachfolgenden Kayſer Palatia ge-
nennt wurden.
Die Palaͤſte, als die Wohnſize der Landesfuͤrſten,
ſollten ſich, weil ihre Bewohner die einzigen ihrer
Art in einem Lande ſind, auch durch einen eigenen
der Hoheit der Beſizer angemeſſenen Charakter aus-
zeichnen, und nicht blos erweiterte und ſehr ver-
groͤßerte Wohnhaͤuſer ſeyn. Sie ſind nicht nur der
Mittelpunkt des Sammelplazes einer Hauptſtadt,
ſondern des ganzen Landes; nicht nur im Ganzen
und im Aeußerlichen oͤffentliche Gebaͤude, ſondern
die meiſten der innern Theile ſind noch als oͤffent-
liche Plaͤze anzuſehen, auf denen Nationalver-
ſammlungen gehalten, große Feyerlichkeiten be-
gangen, und beſonders auch Geſandten fremder
Fuͤrſten und Nationen Audienz gegeben werden. Ein
Theil der Palaͤſte iſt alſo zum oͤffentlichen Gebrauch
beſtimmt; ein andrer aber dienet zum Privatgebrauch
der Fuͤrſten.
Es iſt aber leicht zu ſehen, daß der Palaſt nicht
nur wegen ſeiner Groͤße, ſondern wegen der Man-
nigfaltigkeit der Beduͤrfniſſe, denen der Baumeiſter
dabey Genuͤge leiſten muß, das ſchweereſte Werk
der Baukunſt ſey. Schon der Umſtand allein, daß
er ſowol fuͤr den Privatgebrauch einer ſehr großen
Anzahl Menſchen, die ein Landesfuͤrſt um ſich haben
muß, als zu oͤffentlichen Geſchaͤften dienen ſoll, macht
die geſchikte Vereinigung zweyer ſo ſehr gegen einan-
der ſtreitender Dinge, ſchweer. Bey feyerlichen Ge-
legenheiten koͤnnte der Ernſt und die Hoheit der
Handlung gleichſam einen toͤdlichen Stoß bekommen,
wenn durch Ungeſchiklichkeit des Baumeiſters gemeine,
oder gar niedrige Vorſtellungen aus dem Privat-
leben, ſich unter die feyerlichen Eindruͤke miſchten;
wenn z. B. bey einer oͤffentlichen Audienz Dinge,
die zur Kuͤche gehoͤren, in die Sinnen fielen. Groſ-
ſen Herren, und ſogar dem Staat uͤberhaupt, iſt viel
daran gelegen, daß der Unterthan nie ohne Ehrfurcht
an ſie denke. Darum ſollte, ſo viel immer moͤglich
waͤre, das ganze Privatleben der Beherrſcher der Voͤl-
ker dem Aug des gemeinen Mannes fuͤr immer ver-
borgen ſeyn.
Aus dergleichen Betrachtungen muß der Baumei-
ſter die Grundſaͤze zu Erfindung, Anordnung und
zur ganzen Einrichtung der Pallaͤſte hernehmen.
Alles muß da groß ſeyn und den Charakter der
Hoheit an ſich haben; aber ohne Abbruch des
Nothwendigen. Wer dieſes bedenkt, wird leicht ſe-
hen, was fuͤr Genie, Beurtheilungskraft und Ge-
ſchmak dazu erfodert werde. Der Palaſt iſt fuͤr den
Baumeiſter, was das Heldengedicht fuͤr den Poeten
iſt; das Hoͤchſte der Kunſt, und vielleicht iſt es
noch ſeltener einen vollkommenen Palaſt, als ein
vollkommenes Heldengedicht zu ſehen. Die meiſten
Palaͤſte ſind kaum etwas anderes, als ſehr große
Wohnhaͤuſer. Nichts anders iſt das Koͤnigliche
Schloß in Berlin, ob es gleich in beſonderen Thei-
len ſehr große architectoniſche Schoͤnheiten hat.
Wenn man es von einer der Außenſeiten betrachtet,
die einzige, daran das große Portal iſt, ausgenom-
men, ſo faͤllt wenig in die Augen, das nicht bald
in jedem Buͤrgerhaus zu ſehen waͤre. Nur das
große Portal, das den Triumphbogen des Kayſers
Severus nachahmet, iſt groß und in dem Geſchmak
eines wahren Palaſtes, und ſo waͤr auch die Seite
gegen den kleinen Hof, an der die Haupttreppe liegt,
wenn nur nicht ſo viel Fehler gegen den guten Ge-
ſchmak der Saͤulenordnungen daran in die Augen ſie-
len. Denn Pracht und Groͤße hat ſonſt dieſe Seite,
wobey keinem Menſchen, wie bey den Außenſeiten,
einfallen koͤnnte, daß etwa ſehr reiche Privatfami-
lien, da wohnten. Alles kuͤndiget da den Landes-
herren an. Sonſt iſt die Lage dieſes Schloßes, ſo
wie ſie ſich fuͤr einen Pallaſt ſchiket; mitten auf ei-
nem erſtaunlich großen Plaz, auf welchen ſehr breite
Straßen fuͤhren, ſo daß eine ganze Nation ſich in
der
Zweyter Theil. Q q q q q
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 875[857]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/292>, abgerufen am 29.11.2024.
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