haben, und hat sie, und mit dieser Nachempfin- dung kann das Gewahrnehmen und die Reflexion ver- bunden werden.
Also haben wir Empfindungsvorstellungen von den einzelnen Thätigkeiten unsers Denkens, in eben dem Verstande, wie wir solche von den körperlichen Gegenständen haben, die auf unsere äußere Sinnglie- der wirken. Hier befindet sich das selbstthätige Prin- cip des Denkens, von dem die Seele modificiret wird, in der Seele selbst; bey den äußern Empfindungen kommt die Modifikation von einer äußern Ursache. Jn beiden Fällen aber wird die neue Veränderung aufgenommen, gefühlet und empfunden; in beiden bestehet sie, und dauert einen Augenblick in uns fort, und muß wenig- stens alsdenn fortdauren, wenn sie bemerkbar seyn soll. Dieß macht eine Nachempfindung, oder die erste Empfindungsvorstellung aus. Jn diesem Stande kann sie gewahrgenommen, mit Bewußtseyn empfunden, mit andern verglichen und von andern unterschieden werden.
Wird die Empfindungsvorstellung in der Folge von der Einbildungskraft reproduciret, so finden wir, daß jene erste Nachempfindung, obgleich auf eine unvoll- kommene und schwache Art, wieder erneuret wird, und daß zugleich ein Anfang oder ein Ansatz, die vorige Denkthätigkeit zu erneuern, damit verbunden sey. Laßt uns eine Reihe von Reflexionen und Schlüssen, die wir angestellet haben, ins Gedächtniß zurück rufen; sie nicht von neuen wiederholen, sondern wie schon angestellte und vergangene Raisonnements uns vorstellen; und wir wer- den bemerken, daß mit den Jdeen und deren Stellung allenthalben Anfänge der ehemaligen Thätigkeiten und Regungen sie zu wiederholen verbunden sind; welche man eben so füglich schwache Nachahmungen jener ersten Re- flexionen nennen kann, wie überhaupt die Einbildungen wiederzurückkehrende geschwächte Empfindungen sind.
4) Darf
I. Verſuch. Ueber die Natur
haben, und hat ſie, und mit dieſer Nachempfin- dung kann das Gewahrnehmen und die Reflexion ver- bunden werden.
Alſo haben wir Empfindungsvorſtellungen von den einzelnen Thaͤtigkeiten unſers Denkens, in eben dem Verſtande, wie wir ſolche von den koͤrperlichen Gegenſtaͤnden haben, die auf unſere aͤußere Sinnglie- der wirken. Hier befindet ſich das ſelbſtthaͤtige Prin- cip des Denkens, von dem die Seele modificiret wird, in der Seele ſelbſt; bey den aͤußern Empfindungen kommt die Modifikation von einer aͤußern Urſache. Jn beiden Faͤllen aber wird die neue Veraͤnderung aufgenommen, gefuͤhlet und empfunden; in beiden beſtehet ſie, und dauert einen Augenblick in uns fort, und muß wenig- ſtens alsdenn fortdauren, wenn ſie bemerkbar ſeyn ſoll. Dieß macht eine Nachempfindung, oder die erſte Empfindungsvorſtellung aus. Jn dieſem Stande kann ſie gewahrgenommen, mit Bewußtſeyn empfunden, mit andern verglichen und von andern unterſchieden werden.
Wird die Empfindungsvorſtellung in der Folge von der Einbildungskraft reproduciret, ſo finden wir, daß jene erſte Nachempfindung, obgleich auf eine unvoll- kommene und ſchwache Art, wieder erneuret wird, und daß zugleich ein Anfang oder ein Anſatz, die vorige Denkthaͤtigkeit zu erneuern, damit verbunden ſey. Laßt uns eine Reihe von Reflexionen und Schluͤſſen, die wir angeſtellet haben, ins Gedaͤchtniß zuruͤck rufen; ſie nicht von neuen wiederholen, ſondern wie ſchon angeſtellte und vergangene Raiſonnements uns vorſtellen; und wir wer- den bemerken, daß mit den Jdeen und deren Stellung allenthalben Anfaͤnge der ehemaligen Thaͤtigkeiten und Regungen ſie zu wiederholen verbunden ſind; welche man eben ſo fuͤglich ſchwache Nachahmungen jener erſten Re- flexionen nennen kann, wie uͤberhaupt die Einbildungen wiederzuruͤckkehrende geſchwaͤchte Empfindungen ſind.
4) Darf
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0110"n="50"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">I.</hi> Verſuch. Ueber die Natur</hi></fw><lb/>
haben, und hat ſie, und mit dieſer <hirendition="#fr">Nachempfin-<lb/>
dung</hi> kann das Gewahrnehmen und die Reflexion ver-<lb/>
bunden werden.</p><lb/><p>Alſo haben wir <hirendition="#fr">Empfindungsvorſtellungen<lb/>
von</hi> den einzelnen <hirendition="#fr">Thaͤtigkeiten</hi> unſers Denkens, in<lb/>
eben dem Verſtande, wie wir ſolche von den koͤrperlichen<lb/>
Gegenſtaͤnden haben, die auf unſere aͤußere Sinnglie-<lb/>
der wirken. Hier befindet ſich das ſelbſtthaͤtige Prin-<lb/>
cip des Denkens, von dem die Seele modificiret wird, <hirendition="#fr">in<lb/>
der Seele</hi>ſelbſt; bey den aͤußern Empfindungen kommt<lb/>
die Modifikation von einer aͤußern Urſache. Jn beiden<lb/>
Faͤllen aber wird die neue Veraͤnderung aufgenommen,<lb/>
gefuͤhlet und empfunden; in beiden beſtehet ſie, und<lb/>
dauert einen Augenblick in uns fort, und muß wenig-<lb/>ſtens alsdenn fortdauren, wenn ſie bemerkbar ſeyn ſoll.<lb/>
Dieß macht eine <hirendition="#fr">Nachempfindung,</hi> oder die erſte<lb/>
Empfindungsvorſtellung aus. Jn dieſem Stande kann<lb/>ſie gewahrgenommen, mit Bewußtſeyn empfunden, mit<lb/>
andern verglichen und von andern unterſchieden werden.</p><lb/><p>Wird die Empfindungsvorſtellung in der Folge von<lb/>
der Einbildungskraft reproduciret, ſo finden wir, daß<lb/>
jene erſte Nachempfindung, obgleich auf eine unvoll-<lb/>
kommene und ſchwache Art, wieder erneuret wird, und<lb/>
daß zugleich ein Anfang oder ein <hirendition="#fr">Anſatz,</hi> die vorige<lb/>
Denkthaͤtigkeit zu erneuern, damit verbunden ſey. Laßt<lb/>
uns eine Reihe von Reflexionen und Schluͤſſen, die wir<lb/>
angeſtellet haben, ins Gedaͤchtniß zuruͤck rufen; ſie nicht<lb/>
von neuen wiederholen, ſondern wie ſchon angeſtellte und<lb/>
vergangene Raiſonnements uns vorſtellen; und wir wer-<lb/>
den bemerken, daß mit den Jdeen und deren Stellung<lb/>
allenthalben Anfaͤnge der ehemaligen Thaͤtigkeiten und<lb/>
Regungen ſie zu wiederholen verbunden ſind; welche man<lb/>
eben ſo fuͤglich ſchwache <hirendition="#fr">Nachahmungen</hi> jener erſten Re-<lb/>
flexionen nennen kann, wie uͤberhaupt die Einbildungen<lb/>
wiederzuruͤckkehrende geſchwaͤchte Empfindungen ſind.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">4) Darf</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[50/0110]
I. Verſuch. Ueber die Natur
haben, und hat ſie, und mit dieſer Nachempfin-
dung kann das Gewahrnehmen und die Reflexion ver-
bunden werden.
Alſo haben wir Empfindungsvorſtellungen
von den einzelnen Thaͤtigkeiten unſers Denkens, in
eben dem Verſtande, wie wir ſolche von den koͤrperlichen
Gegenſtaͤnden haben, die auf unſere aͤußere Sinnglie-
der wirken. Hier befindet ſich das ſelbſtthaͤtige Prin-
cip des Denkens, von dem die Seele modificiret wird, in
der Seele ſelbſt; bey den aͤußern Empfindungen kommt
die Modifikation von einer aͤußern Urſache. Jn beiden
Faͤllen aber wird die neue Veraͤnderung aufgenommen,
gefuͤhlet und empfunden; in beiden beſtehet ſie, und
dauert einen Augenblick in uns fort, und muß wenig-
ſtens alsdenn fortdauren, wenn ſie bemerkbar ſeyn ſoll.
Dieß macht eine Nachempfindung, oder die erſte
Empfindungsvorſtellung aus. Jn dieſem Stande kann
ſie gewahrgenommen, mit Bewußtſeyn empfunden, mit
andern verglichen und von andern unterſchieden werden.
Wird die Empfindungsvorſtellung in der Folge von
der Einbildungskraft reproduciret, ſo finden wir, daß
jene erſte Nachempfindung, obgleich auf eine unvoll-
kommene und ſchwache Art, wieder erneuret wird, und
daß zugleich ein Anfang oder ein Anſatz, die vorige
Denkthaͤtigkeit zu erneuern, damit verbunden ſey. Laßt
uns eine Reihe von Reflexionen und Schluͤſſen, die wir
angeſtellet haben, ins Gedaͤchtniß zuruͤck rufen; ſie nicht
von neuen wiederholen, ſondern wie ſchon angeſtellte und
vergangene Raiſonnements uns vorſtellen; und wir wer-
den bemerken, daß mit den Jdeen und deren Stellung
allenthalben Anfaͤnge der ehemaligen Thaͤtigkeiten und
Regungen ſie zu wiederholen verbunden ſind; welche man
eben ſo fuͤglich ſchwache Nachahmungen jener erſten Re-
flexionen nennen kann, wie uͤberhaupt die Einbildungen
wiederzuruͤckkehrende geſchwaͤchte Empfindungen ſind.
4) Darf
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/110>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.