sern eigenen Gemüthszuständen, und überhaupt von allen passiven Seelenveränderungen haben.
5) Es ist Erfahrung, daß wir die Gemüthszustän- de und Affekten, die Zufriedenheit, das Vergnügen, die Begierde, den Unmuth, die Abneigung, den Zorn, die Liebe und dergleichen, alsdenn, wenn sie in uns vorhanden sind, in ihrer Gegenwart gewahrnehmen können, zum wenigsten sie etwas leichter gewahrnehmen können, als es bey den Denkthätigkeiten angehet, die sich dem Be- wußtseyn in demselbigen Augenblicke entziehen, wenn es sie fassen will. Wir fühlen z. B. daß wir zornig sind, indem wir es sind. Diese Zustände der Seele bestehen, wenn sie einmal hervorgebracht sind, eine Weile in der Seele ohne ihr selbstthätiges Zuthun, wie die Wallungen im Wasser, welche noch fortdauern, wenn sich der Wind schon geleget hat. Alsdenn hat die Ue- berlegungskraft Zeit, sich mit den Nachwallungen des Herzens zu beschäftigen. Die leidenden Gemüthszu- stände stehen also in einer andern Beziehung auf das Bewußtseyn, als die Selbstthätigkeiten. Die letztern sind nicht sowohl selbst unmittelbare Gegenstände des Ge- fühls, als vielmehr in ihren nächsten Folgen und Wir- kungen, die etwas passives in der Seele sind. Jene hingegen werden unmittelbar gefühlet.
Was wir Begierden und Affekten nennen, sollte von den Gemüthszuständen, vom Vergnügen und Verdruß, und von dem, was der | Seele, in so ferne sie empfindsam ist, zukommt, unterschieden werden. Die Begierden und Affekten enthalten thätige Bestrebungen, wirksame Triebe, Aktiones, und also Aeußerungen der thätigen Kraft der Seele, wozu diese durch Empfind- nisse gereizet wird. So würde auch die lebhafte Freude, selbst das Entzücken kein Affekt seyn. Jndessen sind die Thätigkeiten und die leidendlichen Gemüthszustände genau mit einander verbunden. Aus beiden wird ein
Ganzes,
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der Vorſtellungen.
ſern eigenen Gemuͤthszuſtaͤnden, und uͤberhaupt von allen paſſiven Seelenveraͤnderungen haben.
5) Es iſt Erfahrung, daß wir die Gemuͤthszuſtaͤn- de und Affekten, die Zufriedenheit, das Vergnuͤgen, die Begierde, den Unmuth, die Abneigung, den Zorn, die Liebe und dergleichen, alsdenn, wenn ſie in uns vorhanden ſind, in ihrer Gegenwart gewahrnehmen koͤnnen, zum wenigſten ſie etwas leichter gewahrnehmen koͤnnen, als es bey den Denkthaͤtigkeiten angehet, die ſich dem Be- wußtſeyn in demſelbigen Augenblicke entziehen, wenn es ſie faſſen will. Wir fuͤhlen z. B. daß wir zornig ſind, indem wir es ſind. Dieſe Zuſtaͤnde der Seele beſtehen, wenn ſie einmal hervorgebracht ſind, eine Weile in der Seele ohne ihr ſelbſtthaͤtiges Zuthun, wie die Wallungen im Waſſer, welche noch fortdauern, wenn ſich der Wind ſchon geleget hat. Alsdenn hat die Ue- berlegungskraft Zeit, ſich mit den Nachwallungen des Herzens zu beſchaͤftigen. Die leidenden Gemuͤthszu- ſtaͤnde ſtehen alſo in einer andern Beziehung auf das Bewußtſeyn, als die Selbſtthaͤtigkeiten. Die letztern ſind nicht ſowohl ſelbſt unmittelbare Gegenſtaͤnde des Ge- fuͤhls, als vielmehr in ihren naͤchſten Folgen und Wir- kungen, die etwas paſſives in der Seele ſind. Jene hingegen werden unmittelbar gefuͤhlet.
Was wir Begierden und Affekten nennen, ſollte von den Gemuͤthszuſtaͤnden, vom Vergnuͤgen und Verdruß, und von dem, was der | Seele, in ſo ferne ſie empfindſam iſt, zukommt, unterſchieden werden. Die Begierden und Affekten enthalten thaͤtige Beſtrebungen, wirkſame Triebe, Aktiones, und alſo Aeußerungen der thaͤtigen Kraft der Seele, wozu dieſe durch Empfind- niſſe gereizet wird. So wuͤrde auch die lebhafte Freude, ſelbſt das Entzuͤcken kein Affekt ſeyn. Jndeſſen ſind die Thaͤtigkeiten und die leidendlichen Gemuͤthszuſtaͤnde genau mit einander verbunden. Aus beiden wird ein
Ganzes,
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der Vorſtellungen.
ſern eigenen Gemuͤthszuſtaͤnden, und uͤberhaupt von allen
paſſiven Seelenveraͤnderungen haben.
5) Es iſt Erfahrung, daß wir die Gemuͤthszuſtaͤn-
de und Affekten, die Zufriedenheit, das Vergnuͤgen, die
Begierde, den Unmuth, die Abneigung, den Zorn, die
Liebe und dergleichen, alsdenn, wenn ſie in uns vorhanden
ſind, in ihrer Gegenwart gewahrnehmen koͤnnen, zum
wenigſten ſie etwas leichter gewahrnehmen koͤnnen, als
es bey den Denkthaͤtigkeiten angehet, die ſich dem Be-
wußtſeyn in demſelbigen Augenblicke entziehen, wenn
es ſie faſſen will. Wir fuͤhlen z. B. daß wir zornig
ſind, indem wir es ſind. Dieſe Zuſtaͤnde der Seele
beſtehen, wenn ſie einmal hervorgebracht ſind, eine
Weile in der Seele ohne ihr ſelbſtthaͤtiges Zuthun, wie
die Wallungen im Waſſer, welche noch fortdauern, wenn
ſich der Wind ſchon geleget hat. Alsdenn hat die Ue-
berlegungskraft Zeit, ſich mit den Nachwallungen des
Herzens zu beſchaͤftigen. Die leidenden Gemuͤthszu-
ſtaͤnde ſtehen alſo in einer andern Beziehung auf das
Bewußtſeyn, als die Selbſtthaͤtigkeiten. Die letztern
ſind nicht ſowohl ſelbſt unmittelbare Gegenſtaͤnde des Ge-
fuͤhls, als vielmehr in ihren naͤchſten Folgen und Wir-
kungen, die etwas paſſives in der Seele ſind. Jene
hingegen werden unmittelbar gefuͤhlet.
Was wir Begierden und Affekten nennen, ſollte
von den Gemuͤthszuſtaͤnden, vom Vergnuͤgen und
Verdruß, und von dem, was der | Seele, in ſo ferne ſie
empfindſam iſt, zukommt, unterſchieden werden. Die
Begierden und Affekten enthalten thaͤtige Beſtrebungen,
wirkſame Triebe, Aktiones, und alſo Aeußerungen der
thaͤtigen Kraft der Seele, wozu dieſe durch Empfind-
niſſe gereizet wird. So wuͤrde auch die lebhafte Freude,
ſelbſt das Entzuͤcken kein Affekt ſeyn. Jndeſſen ſind die
Thaͤtigkeiten und die leidendlichen Gemuͤthszuſtaͤnde
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/113>, abgerufen am 22.12.2024.
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