Ganzes, welches, je nachdem das eine oder das andere von ihnen das meiste davon ausmachet, zu den Willens- äußerungen oder zu den Gemüthszuständen gerechnet wird.
Solche leidendliche Seelenveränderungen werden durch Empfindungen und Vorstellungen hervorgebracht oder veranlasset. Aber sie sind diese Vorstellungen und Empfindungen selbst nicht, sondern eine besondere Art von innern Veränderungen der Seele. Dieselbige Vor- stellung ist zu einer Zeit angenehm, zu einer andern gleichgültig, und noch zu einer andern widrig. Der Anblick und der Geruch der Speise bringet dem Hung- rigen Begierde bey, und verursachet bey dem Uebersat- ten Ekel.
Es ist nicht schwer, es gewahr zu werden, daß auch bey diesen passiven Seelenveränderungen -- die Em- pfindung und die Nachempfindung unterschieden sey, und daß der Augenblick, in welchem wir sie in uns gewahrnehmen, nicht der Zeitpunkt der ersten Empfin- dung, sondern der Nachempfindung, oder der Em- pfindungsvorstellung sey, in welchem das, was gegen- wärtig ist, sich auf eine vorhergegangene Modifikation beziehet. Was jetzo in mir gegenwärtig ist, in dem Moment, da ich in mich zurück sehe, und eine stille Heiterkeit des Geistes gewahrnehme, ist nicht mehr die erste Empfindung dieses Zustandes; es ist schon eine Fortsetzung, oder die Wiederkehr eines andern vorher- gegangenen, der in dem gegenwärtigen, als in seiner Abbildung fortdauert, und auf diesen letztern eben eine solche Beziehung hat, als die Nachempfindung von ei- nem gegenwärtigen sichtbaren Objekte zu der ersten Em- pfindung desselben. Die erste Empfindung ist schon ver- gangen, wenn man über sie reflektiret. Jn den lebhaf- ten Gemüthsbewegungen und Affekten ist dieser Unter- schied am deutlichsten. Begreist die Seele sich so weit,
daß
I. Verſuch. Ueber die Natur
Ganzes, welches, je nachdem das eine oder das andere von ihnen das meiſte davon ausmachet, zu den Willens- aͤußerungen oder zu den Gemuͤthszuſtaͤnden gerechnet wird.
Solche leidendliche Seelenveraͤnderungen werden durch Empfindungen und Vorſtellungen hervorgebracht oder veranlaſſet. Aber ſie ſind dieſe Vorſtellungen und Empfindungen ſelbſt nicht, ſondern eine beſondere Art von innern Veraͤnderungen der Seele. Dieſelbige Vor- ſtellung iſt zu einer Zeit angenehm, zu einer andern gleichguͤltig, und noch zu einer andern widrig. Der Anblick und der Geruch der Speiſe bringet dem Hung- rigen Begierde bey, und verurſachet bey dem Ueberſat- ten Ekel.
Es iſt nicht ſchwer, es gewahr zu werden, daß auch bey dieſen paſſiven Seelenveraͤnderungen — die Em- pfindung und die Nachempfindung unterſchieden ſey, und daß der Augenblick, in welchem wir ſie in uns gewahrnehmen, nicht der Zeitpunkt der erſten Empfin- dung, ſondern der Nachempfindung, oder der Em- pfindungsvorſtellung ſey, in welchem das, was gegen- waͤrtig iſt, ſich auf eine vorhergegangene Modifikation beziehet. Was jetzo in mir gegenwaͤrtig iſt, in dem Moment, da ich in mich zuruͤck ſehe, und eine ſtille Heiterkeit des Geiſtes gewahrnehme, iſt nicht mehr die erſte Empfindung dieſes Zuſtandes; es iſt ſchon eine Fortſetzung, oder die Wiederkehr eines andern vorher- gegangenen, der in dem gegenwaͤrtigen, als in ſeiner Abbildung fortdauert, und auf dieſen letztern eben eine ſolche Beziehung hat, als die Nachempfindung von ei- nem gegenwaͤrtigen ſichtbaren Objekte zu der erſten Em- pfindung deſſelben. Die erſte Empfindung iſt ſchon ver- gangen, wenn man uͤber ſie reflektiret. Jn den lebhaf- ten Gemuͤthsbewegungen und Affekten iſt dieſer Unter- ſchied am deutlichſten. Begreiſt die Seele ſich ſo weit,
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I. Verſuch. Ueber die Natur
Ganzes, welches, je nachdem das eine oder das andere
von ihnen das meiſte davon ausmachet, zu den Willens-
aͤußerungen oder zu den Gemuͤthszuſtaͤnden gerechnet
wird.
Solche leidendliche Seelenveraͤnderungen werden
durch Empfindungen und Vorſtellungen hervorgebracht
oder veranlaſſet. Aber ſie ſind dieſe Vorſtellungen und
Empfindungen ſelbſt nicht, ſondern eine beſondere Art
von innern Veraͤnderungen der Seele. Dieſelbige Vor-
ſtellung iſt zu einer Zeit angenehm, zu einer andern
gleichguͤltig, und noch zu einer andern widrig. Der
Anblick und der Geruch der Speiſe bringet dem Hung-
rigen Begierde bey, und verurſachet bey dem Ueberſat-
ten Ekel.
Es iſt nicht ſchwer, es gewahr zu werden, daß auch
bey dieſen paſſiven Seelenveraͤnderungen — die Em-
pfindung und die Nachempfindung unterſchieden
ſey, und daß der Augenblick, in welchem wir ſie in uns
gewahrnehmen, nicht der Zeitpunkt der erſten Empfin-
dung, ſondern der Nachempfindung, oder der Em-
pfindungsvorſtellung ſey, in welchem das, was gegen-
waͤrtig iſt, ſich auf eine vorhergegangene Modifikation
beziehet. Was jetzo in mir gegenwaͤrtig iſt, in dem
Moment, da ich in mich zuruͤck ſehe, und eine ſtille
Heiterkeit des Geiſtes gewahrnehme, iſt nicht mehr die
erſte Empfindung dieſes Zuſtandes; es iſt ſchon eine
Fortſetzung, oder die Wiederkehr eines andern vorher-
gegangenen, der in dem gegenwaͤrtigen, als in ſeiner
Abbildung fortdauert, und auf dieſen letztern eben eine
ſolche Beziehung hat, als die Nachempfindung von ei-
nem gegenwaͤrtigen ſichtbaren Objekte zu der erſten Em-
pfindung deſſelben. Die erſte Empfindung iſt ſchon ver-
gangen, wenn man uͤber ſie reflektiret. Jn den lebhaf-
ten Gemuͤthsbewegungen und Affekten iſt dieſer Unter-
ſchied am deutlichſten. Begreiſt die Seele ſich ſo weit,
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/114>, abgerufen am 22.12.2024.
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