Daraus folget -- denn was von der allgemeinen Vorstellung der grünen Farbe wahr ist, das gilt, wie man leicht siehet, von einer jeden andern Empfindungs- vorstellung -- daß die allgemeinen Bilder ur- sprünglich wahre Geschöpfe der Dichtkraft sind, und aus einer Vereinigung mehrerer Eindrücke bestehen, die einzeln genommen nicht vollkommen das sind, was das allgemeine Bild ist. Sie sind also selbst gemachte einfache Vorstellungen, in die eine Verwir- rung anderer ähnlichen Elementareindrücke hineinge- bracht ist, und diese Verwirrung giebt der ganzen Vor- stellung eine Gestalt, dergleichen keines ihrer Elemente einzeln genommen, wenn sie so einzeln empfunden wür- den, an sich haben kann. Man hat es erkannt, daß es sich mit den allgemeinen geometrischen Vorstellun- gen also verhalte. Jn der That aber haben alle übrige dieselbige Beschaffenheit an sich.
Jst die Phantasie nun schon mit solchen allgemei- nen Vorstellungen versehen, so sind diese für uns Bilder, durch welche wir bey den neuen hinzukommenden Em- pfindungen, die Beschaffenheiten der Dinge ansehen und kennen. Sobald eine Farbe der grünen ähnlich em- pfunden wird, so vereiniget sich mit diesem Eindruck un- ser allgemeines Bild von dem Grünen. Wir sehen sie nach diesem allgemeinen Bilde, und da erscheint der Eindruck anders, als er ohne dieses Bild würde erschie- nen seyn. Jndessen nehmen doch auch diese allgemei- nen Vorstellungen mit der Zeit eine Veränderung an, wenn noch viele neue Eindrücke hinzukommen, die mit jenen zwar ihrer Aehnlichkeit wegen zusammenfallen, aber doch wegen ihrer Verschiedenheit auch eine andere Art von Schattirung auf das Bild bringen.
Diese sinnlichen Abstrakta werden sinnliche Scheine, die den ursprünglichen Empfindungsvorstellungen nichts nachgeben. Der Schein, der eine Figur vorstellet,
wird
I. Verſuch. Ueber die Natur
Daraus folget — denn was von der allgemeinen Vorſtellung der gruͤnen Farbe wahr iſt, das gilt, wie man leicht ſiehet, von einer jeden andern Empfindungs- vorſtellung — daß die allgemeinen Bilder ur- ſpruͤnglich wahre Geſchoͤpfe der Dichtkraft ſind, und aus einer Vereinigung mehrerer Eindruͤcke beſtehen, die einzeln genommen nicht vollkommen das ſind, was das allgemeine Bild iſt. Sie ſind alſo ſelbſt gemachte einfache Vorſtellungen, in die eine Verwir- rung anderer aͤhnlichen Elementareindruͤcke hineinge- bracht iſt, und dieſe Verwirrung giebt der ganzen Vor- ſtellung eine Geſtalt, dergleichen keines ihrer Elemente einzeln genommen, wenn ſie ſo einzeln empfunden wuͤr- den, an ſich haben kann. Man hat es erkannt, daß es ſich mit den allgemeinen geometriſchen Vorſtellun- gen alſo verhalte. Jn der That aber haben alle uͤbrige dieſelbige Beſchaffenheit an ſich.
Jſt die Phantaſie nun ſchon mit ſolchen allgemei- nen Vorſtellungen verſehen, ſo ſind dieſe fuͤr uns Bilder, durch welche wir bey den neuen hinzukommenden Em- pfindungen, die Beſchaffenheiten der Dinge anſehen und kennen. Sobald eine Farbe der gruͤnen aͤhnlich em- pfunden wird, ſo vereiniget ſich mit dieſem Eindruck un- ſer allgemeines Bild von dem Gruͤnen. Wir ſehen ſie nach dieſem allgemeinen Bilde, und da erſcheint der Eindruck anders, als er ohne dieſes Bild wuͤrde erſchie- nen ſeyn. Jndeſſen nehmen doch auch dieſe allgemei- nen Vorſtellungen mit der Zeit eine Veraͤnderung an, wenn noch viele neue Eindruͤcke hinzukommen, die mit jenen zwar ihrer Aehnlichkeit wegen zuſammenfallen, aber doch wegen ihrer Verſchiedenheit auch eine andere Art von Schattirung auf das Bild bringen.
Dieſe ſinnlichen Abſtrakta werden ſinnliche Scheine, die den urſpruͤnglichen Empfindungsvorſtellungen nichts nachgeben. Der Schein, der eine Figur vorſtellet,
wird
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I. Verſuch. Ueber die Natur
Daraus folget — denn was von der allgemeinen
Vorſtellung der gruͤnen Farbe wahr iſt, das gilt, wie
man leicht ſiehet, von einer jeden andern Empfindungs-
vorſtellung — daß die allgemeinen Bilder ur-
ſpruͤnglich wahre Geſchoͤpfe der Dichtkraft
ſind, und aus einer Vereinigung mehrerer Eindruͤcke
beſtehen, die einzeln genommen nicht vollkommen das
ſind, was das allgemeine Bild iſt. Sie ſind alſo ſelbſt
gemachte einfache Vorſtellungen, in die eine Verwir-
rung anderer aͤhnlichen Elementareindruͤcke hineinge-
bracht iſt, und dieſe Verwirrung giebt der ganzen Vor-
ſtellung eine Geſtalt, dergleichen keines ihrer Elemente
einzeln genommen, wenn ſie ſo einzeln empfunden wuͤr-
den, an ſich haben kann. Man hat es erkannt, daß
es ſich mit den allgemeinen geometriſchen Vorſtellun-
gen alſo verhalte. Jn der That aber haben alle uͤbrige
dieſelbige Beſchaffenheit an ſich.
Jſt die Phantaſie nun ſchon mit ſolchen allgemei-
nen Vorſtellungen verſehen, ſo ſind dieſe fuͤr uns Bilder,
durch welche wir bey den neuen hinzukommenden Em-
pfindungen, die Beſchaffenheiten der Dinge anſehen und
kennen. Sobald eine Farbe der gruͤnen aͤhnlich em-
pfunden wird, ſo vereiniget ſich mit dieſem Eindruck un-
ſer allgemeines Bild von dem Gruͤnen. Wir ſehen ſie
nach dieſem allgemeinen Bilde, und da erſcheint der
Eindruck anders, als er ohne dieſes Bild wuͤrde erſchie-
nen ſeyn. Jndeſſen nehmen doch auch dieſe allgemei-
nen Vorſtellungen mit der Zeit eine Veraͤnderung an,
wenn noch viele neue Eindruͤcke hinzukommen, die mit
jenen zwar ihrer Aehnlichkeit wegen zuſammenfallen, aber
doch wegen ihrer Verſchiedenheit auch eine andere Art
von Schattirung auf das Bild bringen.
Dieſe ſinnlichen Abſtrakta werden ſinnliche Scheine,
die den urſpruͤnglichen Empfindungsvorſtellungen nichts
nachgeben. Der Schein, der eine Figur vorſtellet,
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/192>, abgerufen am 22.12.2024.
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