Subjekt, worinn es ist, von den Beziehungen der Din- ge, als koexistirend, zugleich oder in ihrer Folge auf einander, finden wir gewöhnlich erst alsdenn in uns, wenn schon das Gewahrnehmen der auf einander bezoge- nen Dinge vorhanden ist. Sollen wir zu dem Gedan- ken gebracht werden, daß der Ast eines Baums ein Theil des ganzen Baums sey, daß das Haus neben dem Thurm liege, daß die Sonne den Tag erleuchte, so müs- sen wir nicht bloße Vorstellungen oder Bilder von diesen Gegenständen, sondern unterschiedene gewahrgenom- mene Vorstellungen von ihnen haben; man muß den Ast und den ganzen Baum, jeden besonders sich vorstel- len, von einander unterscheiden, imgleichen das Haus und den Thurm, die Sonne und das Licht, ehe wir die übrigen Verhältnisse hineindenken. Dieß ist wenigstens bis dahin richtig, daß wir uns nie es einfallen lassen, uns selbst oder andere zu den letztern Verhältnißgedanken zu bringen, ehe nicht dafür gesorget ist, daß von den zube- ziehenden Objekten schon Jdeen vorhanden sind.
Aus diesen Erfahrungen sieht man, daß so ein Ver- hältnißgedanke der letztern Arten, von der ursachlichen Verbindung und der Koexistenz und dergleichen, ein Ge- wahrnehmen der Sachen voraussetze, zwischen denen eine solche Beziehung erkannt werden kann. Wenn wir die Denkäußerungen der letztern Art bemerken wollen, so kann das nicht geschehen, als dadurch, daß wir acht ge- ben, was in uns vorgehet, wenn wir schon gewahrge- nommene Gegenstände auf einander beziehen. Das Gewahrnehmen der Sachen ist also ein Gedanke, der vorhergegangen sey muß, ehe wir die Gegenstände beob- achten können, auf welche die übrigen Denkvermögen sich anwenden.
Aber daraus folget nicht, daß die übrigen Aktus des Denkens sich gar nicht äußerten, ehe das Gewahrneh- men der Sachen für sich schon geschehen wäre, vollstän-
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I.Band. U
und uͤber das Denken.
Subjekt, worinn es iſt, von den Beziehungen der Din- ge, als koexiſtirend, zugleich oder in ihrer Folge auf einander, finden wir gewoͤhnlich erſt alsdenn in uns, wenn ſchon das Gewahrnehmen der auf einander bezoge- nen Dinge vorhanden iſt. Sollen wir zu dem Gedan- ken gebracht werden, daß der Aſt eines Baums ein Theil des ganzen Baums ſey, daß das Haus neben dem Thurm liege, daß die Sonne den Tag erleuchte, ſo muͤſ- ſen wir nicht bloße Vorſtellungen oder Bilder von dieſen Gegenſtaͤnden, ſondern unterſchiedene gewahrgenom- mene Vorſtellungen von ihnen haben; man muß den Aſt und den ganzen Baum, jeden beſonders ſich vorſtel- len, von einander unterſcheiden, imgleichen das Haus und den Thurm, die Sonne und das Licht, ehe wir die uͤbrigen Verhaͤltniſſe hineindenken. Dieß iſt wenigſtens bis dahin richtig, daß wir uns nie es einfallen laſſen, uns ſelbſt oder andere zu den letztern Verhaͤltnißgedanken zu bringen, ehe nicht dafuͤr geſorget iſt, daß von den zube- ziehenden Objekten ſchon Jdeen vorhanden ſind.
Aus dieſen Erfahrungen ſieht man, daß ſo ein Ver- haͤltnißgedanke der letztern Arten, von der urſachlichen Verbindung und der Koexiſtenz und dergleichen, ein Ge- wahrnehmen der Sachen vorausſetze, zwiſchen denen eine ſolche Beziehung erkannt werden kann. Wenn wir die Denkaͤußerungen der letztern Art bemerken wollen, ſo kann das nicht geſchehen, als dadurch, daß wir acht ge- ben, was in uns vorgehet, wenn wir ſchon gewahrge- nommene Gegenſtaͤnde auf einander beziehen. Das Gewahrnehmen der Sachen iſt alſo ein Gedanke, der vorhergegangen ſey muß, ehe wir die Gegenſtaͤnde beob- achten koͤnnen, auf welche die uͤbrigen Denkvermoͤgen ſich anwenden.
Aber daraus folget nicht, daß die uͤbrigen Aktus des Denkens ſich gar nicht aͤußerten, ehe das Gewahrneh- men der Sachen fuͤr ſich ſchon geſchehen waͤre, vollſtaͤn-
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und uͤber das Denken.
Subjekt, worinn es iſt, von den Beziehungen der Din-
ge, als koexiſtirend, zugleich oder in ihrer Folge auf
einander, finden wir gewoͤhnlich erſt alsdenn in uns,
wenn ſchon das Gewahrnehmen der auf einander bezoge-
nen Dinge vorhanden iſt. Sollen wir zu dem Gedan-
ken gebracht werden, daß der Aſt eines Baums ein Theil
des ganzen Baums ſey, daß das Haus neben dem
Thurm liege, daß die Sonne den Tag erleuchte, ſo muͤſ-
ſen wir nicht bloße Vorſtellungen oder Bilder von dieſen
Gegenſtaͤnden, ſondern unterſchiedene gewahrgenom-
mene Vorſtellungen von ihnen haben; man muß den
Aſt und den ganzen Baum, jeden beſonders ſich vorſtel-
len, von einander unterſcheiden, imgleichen das Haus
und den Thurm, die Sonne und das Licht, ehe wir die
uͤbrigen Verhaͤltniſſe hineindenken. Dieß iſt wenigſtens
bis dahin richtig, daß wir uns nie es einfallen laſſen, uns
ſelbſt oder andere zu den letztern Verhaͤltnißgedanken zu
bringen, ehe nicht dafuͤr geſorget iſt, daß von den zube-
ziehenden Objekten ſchon Jdeen vorhanden ſind.
Aus dieſen Erfahrungen ſieht man, daß ſo ein Ver-
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Verbindung und der Koexiſtenz und dergleichen, ein Ge-
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eine ſolche Beziehung erkannt werden kann. Wenn wir
die Denkaͤußerungen der letztern Art bemerken wollen, ſo
kann das nicht geſchehen, als dadurch, daß wir acht ge-
ben, was in uns vorgehet, wenn wir ſchon gewahrge-
nommene Gegenſtaͤnde auf einander beziehen. Das
Gewahrnehmen der Sachen iſt alſo ein Gedanke, der
vorhergegangen ſey muß, ehe wir die Gegenſtaͤnde beob-
achten koͤnnen, auf welche die uͤbrigen Denkvermoͤgen
ſich anwenden.
Aber daraus folget nicht, daß die uͤbrigen Aktus des
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/365>, abgerufen am 22.12.2024.
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