Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

IV. Versuch. Ueber die Denkkraft
gende Jdeen legen sich in der Vorstellungskraft so dichte
an einander, und verbinden sich so innig, daß, so oft
die Eine in uns wiederum gegenwärtig wird, auch die
zwote als ihre Folge, oder als ihre Begleiterinn mit
hervortritt. Gerathen wir durch irgend eine Veranlas-
sung zuerst auf die nachfolgende Jdee von der Wirkung,
so setzet doch die Einbildungskraft die vorhergehende Jdee
von der Ursache wiederum in ihre Stellung, die sie so
vielmal in den Empfindungen, in Hinsicht auf jene, ge-
habt hat. Diese Verbindung der Jdeen wird uns end-
lich durch die Gewohnheit so nothwendig, daß wir diese
nicht mehr trennen können, und gezwungen sind, von
der Einen zu der andern überzugehen. Jndem wir
nun diese Folge der Jdeen außer uns in die Objekte über-
tragen, so entspringet der Gedanke, "wenn Eins von
"jenen Gegenständen wirklich vorhanden ist, so werde
"auch das zweyte vergesellschaftet daseyn," das heißt, wir
stellen uns Eins wie die Ursache, und das andre, wie
die Wirkung vor, und denken eine verursachende
Verbindung zwischen ihnen.

Es war so schwer nicht, einen ganzen Haufen von
Beyspielen aufzufinden, wo der Gedanke von dieser ur-
sachlichen Beziehung der Dinge, zumal wenn die zusam-
mengesetztern Ursachen in einfache ausgelöset werden, am
Ende auf nichts anders, als auf einer solchen Verbin-
dung der Vorstellungen, die sich aus den Empfindungen
herschreibet, gegründet ist. Wir sind in den meisten
Fällen keiner andern Erkenntniß von dieser Gattung von
Verbindung unter den wirklichen Dingen fähig. Die
einfachen Grundsätze der Naturlehre, aus welchen die
wirkende Verbindung der Körper begriffen wird, sind
Sammlungen von einer Menge übereinstimmender und
ähnlicher Erfahrungen. Z. B. die Sätze: die Körper
ziehen sich einander an; die Wärme dehnet die Körper
aus; der Stoß eines fremden Körpers auf einen andern

ändert

IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft
gende Jdeen legen ſich in der Vorſtellungskraft ſo dichte
an einander, und verbinden ſich ſo innig, daß, ſo oft
die Eine in uns wiederum gegenwaͤrtig wird, auch die
zwote als ihre Folge, oder als ihre Begleiterinn mit
hervortritt. Gerathen wir durch irgend eine Veranlaſ-
ſung zuerſt auf die nachfolgende Jdee von der Wirkung,
ſo ſetzet doch die Einbildungskraft die vorhergehende Jdee
von der Urſache wiederum in ihre Stellung, die ſie ſo
vielmal in den Empfindungen, in Hinſicht auf jene, ge-
habt hat. Dieſe Verbindung der Jdeen wird uns end-
lich durch die Gewohnheit ſo nothwendig, daß wir dieſe
nicht mehr trennen koͤnnen, und gezwungen ſind, von
der Einen zu der andern uͤberzugehen. Jndem wir
nun dieſe Folge der Jdeen außer uns in die Objekte uͤber-
tragen, ſo entſpringet der Gedanke, „wenn Eins von
„jenen Gegenſtaͤnden wirklich vorhanden iſt, ſo werde
„auch das zweyte vergeſellſchaftet daſeyn,‟ das heißt, wir
ſtellen uns Eins wie die Urſache, und das andre, wie
die Wirkung vor, und denken eine verurſachende
Verbindung zwiſchen ihnen.

Es war ſo ſchwer nicht, einen ganzen Haufen von
Beyſpielen aufzufinden, wo der Gedanke von dieſer ur-
ſachlichen Beziehung der Dinge, zumal wenn die zuſam-
mengeſetztern Urſachen in einfache auſgeloͤſet werden, am
Ende auf nichts anders, als auf einer ſolchen Verbin-
dung der Vorſtellungen, die ſich aus den Empfindungen
herſchreibet, gegruͤndet iſt. Wir ſind in den meiſten
Faͤllen keiner andern Erkenntniß von dieſer Gattung von
Verbindung unter den wirklichen Dingen faͤhig. Die
einfachen Grundſaͤtze der Naturlehre, aus welchen die
wirkende Verbindung der Koͤrper begriffen wird, ſind
Sammlungen von einer Menge uͤbereinſtimmender und
aͤhnlicher Erfahrungen. Z. B. die Saͤtze: die Koͤrper
ziehen ſich einander an; die Waͤrme dehnet die Koͤrper
aus; der Stoß eines fremden Koͤrpers auf einen andern

aͤndert
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0374" n="314"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">IV.</hi> Ver&#x017F;uch. Ueber die Denkkraft</hi></fw><lb/>
gende Jdeen legen &#x017F;ich in der Vor&#x017F;tellungskraft &#x017F;o dichte<lb/>
an einander, und verbinden &#x017F;ich &#x017F;o innig, daß, &#x017F;o oft<lb/>
die Eine in uns wiederum gegenwa&#x0364;rtig wird, auch die<lb/>
zwote als ihre Folge, oder als ihre Begleiterinn mit<lb/>
hervortritt. Gerathen wir durch irgend eine Veranla&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ung zuer&#x017F;t auf die nachfolgende Jdee von der Wirkung,<lb/>
&#x017F;o &#x017F;etzet doch die Einbildungskraft die vorhergehende Jdee<lb/>
von der Ur&#x017F;ache wiederum in ihre Stellung, die &#x017F;ie &#x017F;o<lb/>
vielmal in den Empfindungen, in Hin&#x017F;icht auf jene, ge-<lb/>
habt hat. Die&#x017F;e Verbindung der Jdeen wird uns end-<lb/>
lich durch die Gewohnheit &#x017F;o nothwendig, daß wir die&#x017F;e<lb/>
nicht mehr trennen ko&#x0364;nnen, und gezwungen &#x017F;ind, von<lb/>
der Einen zu der andern u&#x0364;berzugehen. Jndem wir<lb/>
nun die&#x017F;e Folge der Jdeen außer uns in die Objekte u&#x0364;ber-<lb/>
tragen, &#x017F;o ent&#x017F;pringet der Gedanke, &#x201E;wenn Eins von<lb/>
&#x201E;jenen Gegen&#x017F;ta&#x0364;nden wirklich vorhanden i&#x017F;t, &#x017F;o werde<lb/>
&#x201E;auch das zweyte verge&#x017F;ell&#x017F;chaftet da&#x017F;eyn,&#x201F; das heißt, wir<lb/>
&#x017F;tellen uns Eins wie die Ur&#x017F;ache, und das andre, wie<lb/>
die Wirkung vor, und denken eine <hi rendition="#fr">verur&#x017F;achende</hi><lb/>
Verbindung zwi&#x017F;chen ihnen.</p><lb/>
            <p>Es war &#x017F;o &#x017F;chwer nicht, einen ganzen Haufen von<lb/>
Bey&#x017F;pielen aufzufinden, wo der Gedanke von die&#x017F;er ur-<lb/>
&#x017F;achlichen Beziehung der Dinge, zumal wenn die zu&#x017F;am-<lb/>
menge&#x017F;etztern Ur&#x017F;achen in einfache au&#x017F;gelo&#x0364;&#x017F;et werden, am<lb/>
Ende auf nichts anders, als auf einer &#x017F;olchen Verbin-<lb/>
dung der Vor&#x017F;tellungen, die &#x017F;ich aus den Empfindungen<lb/>
her&#x017F;chreibet, gegru&#x0364;ndet i&#x017F;t. Wir &#x017F;ind in den mei&#x017F;ten<lb/>
Fa&#x0364;llen keiner andern Erkenntniß von die&#x017F;er Gattung von<lb/>
Verbindung unter den wirklichen Dingen fa&#x0364;hig. Die<lb/>
einfachen Grund&#x017F;a&#x0364;tze der Naturlehre, aus welchen die<lb/>
wirkende Verbindung der Ko&#x0364;rper begriffen wird, &#x017F;ind<lb/>
Sammlungen von einer Menge u&#x0364;berein&#x017F;timmender und<lb/>
a&#x0364;hnlicher Erfahrungen. Z. B. die Sa&#x0364;tze: die Ko&#x0364;rper<lb/>
ziehen &#x017F;ich einander an; die Wa&#x0364;rme dehnet die Ko&#x0364;rper<lb/>
aus; der Stoß eines fremden Ko&#x0364;rpers auf einen andern<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">a&#x0364;ndert</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[314/0374] IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft gende Jdeen legen ſich in der Vorſtellungskraft ſo dichte an einander, und verbinden ſich ſo innig, daß, ſo oft die Eine in uns wiederum gegenwaͤrtig wird, auch die zwote als ihre Folge, oder als ihre Begleiterinn mit hervortritt. Gerathen wir durch irgend eine Veranlaſ- ſung zuerſt auf die nachfolgende Jdee von der Wirkung, ſo ſetzet doch die Einbildungskraft die vorhergehende Jdee von der Urſache wiederum in ihre Stellung, die ſie ſo vielmal in den Empfindungen, in Hinſicht auf jene, ge- habt hat. Dieſe Verbindung der Jdeen wird uns end- lich durch die Gewohnheit ſo nothwendig, daß wir dieſe nicht mehr trennen koͤnnen, und gezwungen ſind, von der Einen zu der andern uͤberzugehen. Jndem wir nun dieſe Folge der Jdeen außer uns in die Objekte uͤber- tragen, ſo entſpringet der Gedanke, „wenn Eins von „jenen Gegenſtaͤnden wirklich vorhanden iſt, ſo werde „auch das zweyte vergeſellſchaftet daſeyn,‟ das heißt, wir ſtellen uns Eins wie die Urſache, und das andre, wie die Wirkung vor, und denken eine verurſachende Verbindung zwiſchen ihnen. Es war ſo ſchwer nicht, einen ganzen Haufen von Beyſpielen aufzufinden, wo der Gedanke von dieſer ur- ſachlichen Beziehung der Dinge, zumal wenn die zuſam- mengeſetztern Urſachen in einfache auſgeloͤſet werden, am Ende auf nichts anders, als auf einer ſolchen Verbin- dung der Vorſtellungen, die ſich aus den Empfindungen herſchreibet, gegruͤndet iſt. Wir ſind in den meiſten Faͤllen keiner andern Erkenntniß von dieſer Gattung von Verbindung unter den wirklichen Dingen faͤhig. Die einfachen Grundſaͤtze der Naturlehre, aus welchen die wirkende Verbindung der Koͤrper begriffen wird, ſind Sammlungen von einer Menge uͤbereinſtimmender und aͤhnlicher Erfahrungen. Z. B. die Saͤtze: die Koͤrper ziehen ſich einander an; die Waͤrme dehnet die Koͤrper aus; der Stoß eines fremden Koͤrpers auf einen andern aͤndert

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/374
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/374>, abgerufen am 22.12.2024.