Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

Kenntn. v. d. objektiv. Existenz d. Dinge.
Einer sich ausnehmenden Seite sie gefasset hätte, als
dieser feine Metaphysiker bey seiner Spekulation, da er
jeden Zug nach dem andern deutlich ablösen wollte.

VI.
Fortsetzung des Vorhergehenden. Gemeinbe-
griffe, von einem Objekt, von der Wirklich-
keit, von der Substanz.

Dieser Begrif von einem Subjekt und von einer Be-
schaffenheit, ist noch nicht der völlige Begriff von
einem Dinge, als Objekt oder Gegenstand betrach-
tet, und noch weniger der Begriff von einer Substanz.
Die Begriffe vom Seyn oder Wirklichkeit, und vom
Bestehen oder Fortdauern, und von dem Für sich
bestehen
müssen noch hinzu kommen; und die Denk-
kraft muß den Verhältnißgedanken von der ursachli-
chen
Verbindung hervorbringen, und ihn mit jenen
Abstraktionen vereinigen. Wir halten die Empfindun-
gen und Vorstellungen nicht selbst für ihre Objekte, son-
dern setzen noch etwas anders außer der Vorstellung vor-
aus, das die Quelle der Empfindung ist, und diese letz-
tere auch wohl in den Zeitpunkten hervorbringen könnte,
in welchen wir sie nicht haben.

Die Abstraktion, welche wir durch das Wort Seyn
oder Wirklichseyn ausdrücken, war der ersten Anlage
nach so viel, als gefühlet und empfunden werden,
und ein Subjekt oder Ding seyn. Aber es kam noch
hinzu, daß das gefühlte Subjekt auch ohne Rücksicht
darauf, daß es wirklich gefühlet ward, doch fühlbar
sey, und gefühlet werden konnte. Das Wirkliche
ist etwas Objektivisches, ein Gegenstand, etwas, das
von der Empfindung und Vorstellung unterschieden ist.
Dieß sind die ersten ursprünglichen Bestandtheile des
Begrifs von der Existenz, vor seiner vollständigen Ent-

wickelung

Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge.
Einer ſich ausnehmenden Seite ſie gefaſſet haͤtte, als
dieſer feine Metaphyſiker bey ſeiner Spekulation, da er
jeden Zug nach dem andern deutlich abloͤſen wollte.

VI.
Fortſetzung des Vorhergehenden. Gemeinbe-
griffe, von einem Objekt, von der Wirklich-
keit, von der Subſtanz.

Dieſer Begrif von einem Subjekt und von einer Be-
ſchaffenheit, iſt noch nicht der voͤllige Begriff von
einem Dinge, als Objekt oder Gegenſtand betrach-
tet, und noch weniger der Begriff von einer Subſtanz.
Die Begriffe vom Seyn oder Wirklichkeit, und vom
Beſtehen oder Fortdauern, und von dem Fuͤr ſich
beſtehen
muͤſſen noch hinzu kommen; und die Denk-
kraft muß den Verhaͤltnißgedanken von der urſachli-
chen
Verbindung hervorbringen, und ihn mit jenen
Abſtraktionen vereinigen. Wir halten die Empfindun-
gen und Vorſtellungen nicht ſelbſt fuͤr ihre Objekte, ſon-
dern ſetzen noch etwas anders außer der Vorſtellung vor-
aus, das die Quelle der Empfindung iſt, und dieſe letz-
tere auch wohl in den Zeitpunkten hervorbringen koͤnnte,
in welchen wir ſie nicht haben.

Die Abſtraktion, welche wir durch das Wort Seyn
oder Wirklichſeyn ausdruͤcken, war der erſten Anlage
nach ſo viel, als gefuͤhlet und empfunden werden,
und ein Subjekt oder Ding ſeyn. Aber es kam noch
hinzu, daß das gefuͤhlte Subjekt auch ohne Ruͤckſicht
darauf, daß es wirklich gefuͤhlet ward, doch fuͤhlbar
ſey, und gefuͤhlet werden konnte. Das Wirkliche
iſt etwas Objektiviſches, ein Gegenſtand, etwas, das
von der Empfindung und Vorſtellung unterſchieden iſt.
Dieß ſind die erſten urſpruͤnglichen Beſtandtheile des
Begrifs von der Exiſtenz, vor ſeiner vollſtaͤndigen Ent-

wickelung
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0455" n="395"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Kenntn. v. d. objektiv. Exi&#x017F;tenz d. Dinge.</hi></fw><lb/>
Einer &#x017F;ich ausnehmenden Seite &#x017F;ie gefa&#x017F;&#x017F;et ha&#x0364;tte, als<lb/>
die&#x017F;er feine Metaphy&#x017F;iker bey &#x017F;einer Spekulation, da er<lb/>
jeden Zug nach dem andern deutlich ablo&#x0364;&#x017F;en wollte.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#aq">VI.</hi><lb/>
Fort&#x017F;etzung des Vorhergehenden. Gemeinbe-<lb/>
griffe, von einem Objekt, von der Wirklich-<lb/>
keit, von der Sub&#x017F;tanz.</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">D</hi>ie&#x017F;er Begrif von einem Subjekt und von einer Be-<lb/>
&#x017F;chaffenheit, i&#x017F;t noch nicht der vo&#x0364;llige Begriff von<lb/>
einem Dinge, als <hi rendition="#fr">Objekt</hi> oder <hi rendition="#fr">Gegen&#x017F;tand</hi> betrach-<lb/>
tet, und noch weniger der Begriff von einer <hi rendition="#fr">Sub&#x017F;tanz.</hi><lb/>
Die Begriffe vom <hi rendition="#fr">Seyn</hi> oder Wirklichkeit, und vom<lb/><hi rendition="#fr">Be&#x017F;tehen</hi> oder Fortdauern, und von dem <hi rendition="#fr">Fu&#x0364;r &#x017F;ich<lb/>
be&#x017F;tehen</hi> mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en noch hinzu kommen; und die Denk-<lb/>
kraft muß den Verha&#x0364;ltnißgedanken von der <hi rendition="#fr">ur&#x017F;achli-<lb/>
chen</hi> Verbindung hervorbringen, und ihn mit jenen<lb/>
Ab&#x017F;traktionen vereinigen. Wir halten die Empfindun-<lb/>
gen und Vor&#x017F;tellungen nicht &#x017F;elb&#x017F;t fu&#x0364;r ihre <hi rendition="#fr">Objekte,</hi> &#x017F;on-<lb/>
dern &#x017F;etzen noch etwas anders außer der Vor&#x017F;tellung vor-<lb/>
aus, das die Quelle der Empfindung i&#x017F;t, und die&#x017F;e letz-<lb/>
tere auch wohl in den Zeitpunkten hervorbringen ko&#x0364;nnte,<lb/>
in welchen wir &#x017F;ie nicht haben.</p><lb/>
          <p>Die Ab&#x017F;traktion, welche wir durch das Wort <hi rendition="#fr">Seyn</hi><lb/>
oder <hi rendition="#fr">Wirklich&#x017F;eyn</hi> ausdru&#x0364;cken, war der er&#x017F;ten Anlage<lb/>
nach &#x017F;o viel, als <hi rendition="#fr">gefu&#x0364;hlet</hi> und <hi rendition="#fr">empfunden</hi> werden,<lb/>
und ein <hi rendition="#fr">Subjekt</hi> oder <hi rendition="#fr">Ding</hi> &#x017F;eyn. Aber es kam noch<lb/>
hinzu, daß das gefu&#x0364;hlte Subjekt auch ohne Ru&#x0364;ck&#x017F;icht<lb/>
darauf, daß es wirklich gefu&#x0364;hlet ward, doch <hi rendition="#fr">fu&#x0364;hlbar</hi><lb/>
&#x017F;ey, und gefu&#x0364;hlet werden <hi rendition="#fr">konnte.</hi> Das <hi rendition="#fr">Wirkliche</hi><lb/>
i&#x017F;t etwas Objektivi&#x017F;ches, ein Gegen&#x017F;tand, etwas, das<lb/>
von der Empfindung und Vor&#x017F;tellung unter&#x017F;chieden i&#x017F;t.<lb/>
Dieß &#x017F;ind die er&#x017F;ten ur&#x017F;pru&#x0364;nglichen Be&#x017F;tandtheile des<lb/>
Begrifs von der <hi rendition="#fr">Exi&#x017F;tenz,</hi> vor &#x017F;einer voll&#x017F;ta&#x0364;ndigen Ent-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wickelung</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[395/0455] Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge. Einer ſich ausnehmenden Seite ſie gefaſſet haͤtte, als dieſer feine Metaphyſiker bey ſeiner Spekulation, da er jeden Zug nach dem andern deutlich abloͤſen wollte. VI. Fortſetzung des Vorhergehenden. Gemeinbe- griffe, von einem Objekt, von der Wirklich- keit, von der Subſtanz. Dieſer Begrif von einem Subjekt und von einer Be- ſchaffenheit, iſt noch nicht der voͤllige Begriff von einem Dinge, als Objekt oder Gegenſtand betrach- tet, und noch weniger der Begriff von einer Subſtanz. Die Begriffe vom Seyn oder Wirklichkeit, und vom Beſtehen oder Fortdauern, und von dem Fuͤr ſich beſtehen muͤſſen noch hinzu kommen; und die Denk- kraft muß den Verhaͤltnißgedanken von der urſachli- chen Verbindung hervorbringen, und ihn mit jenen Abſtraktionen vereinigen. Wir halten die Empfindun- gen und Vorſtellungen nicht ſelbſt fuͤr ihre Objekte, ſon- dern ſetzen noch etwas anders außer der Vorſtellung vor- aus, das die Quelle der Empfindung iſt, und dieſe letz- tere auch wohl in den Zeitpunkten hervorbringen koͤnnte, in welchen wir ſie nicht haben. Die Abſtraktion, welche wir durch das Wort Seyn oder Wirklichſeyn ausdruͤcken, war der erſten Anlage nach ſo viel, als gefuͤhlet und empfunden werden, und ein Subjekt oder Ding ſeyn. Aber es kam noch hinzu, daß das gefuͤhlte Subjekt auch ohne Ruͤckſicht darauf, daß es wirklich gefuͤhlet ward, doch fuͤhlbar ſey, und gefuͤhlet werden konnte. Das Wirkliche iſt etwas Objektiviſches, ein Gegenſtand, etwas, das von der Empfindung und Vorſtellung unterſchieden iſt. Dieß ſind die erſten urſpruͤnglichen Beſtandtheile des Begrifs von der Exiſtenz, vor ſeiner vollſtaͤndigen Ent- wickelung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/455
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/455>, abgerufen am 22.12.2024.