Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

Kenntn. v. d. objektiv. Existenz d. Dinge.
wenn sonsten alles einerley ist, schon hin. Die Abstrak-
tion von der Objektivität in Hinsicht dieses ersten Merk-
mals konnte also aus allen Arten von Empfindungen und
Vorstellungen, die einander so weit ähnlich wären, als
die Jdentität des Gegenstandes es mit sich brachte, er-
halten werden. Und dieser Theil des Begrifs konnte
vorhanden seyn, ehe der zweete entwickelt wurde, wie es
wahrscheinlich sich bey den Kindern wirklich verhält, bey
denen das Gefühl der Sache, und die gefühlte Sache
selbst, als die Ursache von jenem, lange ununterschieden
bleiben.

Was der Begrif von der Ursache und von der Ver-
ursachung
in sich enthalte, und bey welcher Art von
Empfindungen und Vorstellungen die Denkkraft zuerst
den Gedanken von der ursachlichen Verbindung hervor-
bringe, ist anderswo weitläuftig von mir aus einander
gesetzt. *) Hier bedarf es jenes völligen Begrifs nicht.
Es ist genug, daß unter Ursache der Empfindung
ein Ding gedacht wird, das von der Empfindung ver-
schieden ist, aber diese zur Folge hat. Der unentwickel-
teste Begrif von der Ursache war schon hinreichend, um
diejenige Jdee vom Objekt zu bewirken, von deren Ent-
stehungsart hier die Rede ist.

Und zu diesen Gedanken konnte und mußte jedwede
neue Modifikation, welche aus der Seele selbst entstand,
ihrer Natur nach, der Denkkraft die Veranlassung ge-
ben. Denn jedwede aus innerer Kraft entstehende Ver-
änderung führte auf Vorstellungen von den vorhergegan-
genen Umständen, Bestrebungen und Beschaffenheiten,
die mit ihr associiret sind. Da war also Gefühl eines
gegenwärtigen Subjekts mit einer Beschaffenheit; dann
Vorstellung eines vorigen Subjekts mit einer Beschaffen-
heit, und dann Gefühl der Folge, so wie diese gefühler
werden kann. Diese Gefühle und Vorstellungen zu Ge-

danken
*) Siehe den vierten Versuch IV.

Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge.
wenn ſonſten alles einerley iſt, ſchon hin. Die Abſtrak-
tion von der Objektivitaͤt in Hinſicht dieſes erſten Merk-
mals konnte alſo aus allen Arten von Empfindungen und
Vorſtellungen, die einander ſo weit aͤhnlich waͤren, als
die Jdentitaͤt des Gegenſtandes es mit ſich brachte, er-
halten werden. Und dieſer Theil des Begrifs konnte
vorhanden ſeyn, ehe der zweete entwickelt wurde, wie es
wahrſcheinlich ſich bey den Kindern wirklich verhaͤlt, bey
denen das Gefuͤhl der Sache, und die gefuͤhlte Sache
ſelbſt, als die Urſache von jenem, lange ununterſchieden
bleiben.

Was der Begrif von der Urſache und von der Ver-
urſachung
in ſich enthalte, und bey welcher Art von
Empfindungen und Vorſtellungen die Denkkraft zuerſt
den Gedanken von der urſachlichen Verbindung hervor-
bringe, iſt anderswo weitlaͤuftig von mir aus einander
geſetzt. *) Hier bedarf es jenes voͤlligen Begrifs nicht.
Es iſt genug, daß unter Urſache der Empfindung
ein Ding gedacht wird, das von der Empfindung ver-
ſchieden iſt, aber dieſe zur Folge hat. Der unentwickel-
teſte Begrif von der Urſache war ſchon hinreichend, um
diejenige Jdee vom Objekt zu bewirken, von deren Ent-
ſtehungsart hier die Rede iſt.

Und zu dieſen Gedanken konnte und mußte jedwede
neue Modifikation, welche aus der Seele ſelbſt entſtand,
ihrer Natur nach, der Denkkraft die Veranlaſſung ge-
ben. Denn jedwede aus innerer Kraft entſtehende Ver-
aͤnderung fuͤhrte auf Vorſtellungen von den vorhergegan-
genen Umſtaͤnden, Beſtrebungen und Beſchaffenheiten,
die mit ihr aſſociiret ſind. Da war alſo Gefuͤhl eines
gegenwaͤrtigen Subjekts mit einer Beſchaffenheit; dann
Vorſtellung eines vorigen Subjekts mit einer Beſchaffen-
heit, und dann Gefuͤhl der Folge, ſo wie dieſe gefuͤhler
werden kann. Dieſe Gefuͤhle und Vorſtellungen zu Ge-

danken
*) Siehe den vierten Verſuch IV.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0457" n="397"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Kenntn. v. d. objektiv. Exi&#x017F;tenz d. Dinge.</hi></fw><lb/>
wenn &#x017F;on&#x017F;ten alles einerley i&#x017F;t, &#x017F;chon hin. Die Ab&#x017F;trak-<lb/>
tion von der <hi rendition="#fr">Objektivita&#x0364;t</hi> in Hin&#x017F;icht die&#x017F;es er&#x017F;ten Merk-<lb/>
mals konnte al&#x017F;o aus allen Arten von Empfindungen und<lb/>
Vor&#x017F;tellungen, die einander &#x017F;o weit a&#x0364;hnlich wa&#x0364;ren, als<lb/>
die Jdentita&#x0364;t des Gegen&#x017F;tandes es mit &#x017F;ich brachte, er-<lb/>
halten werden. Und die&#x017F;er Theil des Begrifs konnte<lb/>
vorhanden &#x017F;eyn, ehe der zweete entwickelt wurde, wie es<lb/>
wahr&#x017F;cheinlich &#x017F;ich bey den Kindern wirklich verha&#x0364;lt, bey<lb/>
denen das Gefu&#x0364;hl der Sache, und die gefu&#x0364;hlte Sache<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t, als die Ur&#x017F;ache von jenem, lange ununter&#x017F;chieden<lb/>
bleiben.</p><lb/>
          <p>Was der Begrif von der <hi rendition="#fr">Ur&#x017F;ache</hi> und von der <hi rendition="#fr">Ver-<lb/>
ur&#x017F;achung</hi> in &#x017F;ich enthalte, und bey welcher Art von<lb/>
Empfindungen und Vor&#x017F;tellungen die Denkkraft zuer&#x017F;t<lb/>
den Gedanken von der ur&#x017F;achlichen Verbindung hervor-<lb/>
bringe, i&#x017F;t anderswo weitla&#x0364;uftig von mir aus einander<lb/>
ge&#x017F;etzt. <note place="foot" n="*)">Siehe den vierten Ver&#x017F;uch <hi rendition="#aq">IV.</hi></note> Hier bedarf es jenes vo&#x0364;lligen Begrifs nicht.<lb/>
Es i&#x017F;t genug, daß unter <hi rendition="#fr">Ur&#x017F;ache der Empfindung</hi><lb/>
ein Ding gedacht wird, das von der Empfindung ver-<lb/>
&#x017F;chieden i&#x017F;t, aber die&#x017F;e zur Folge hat. Der unentwickel-<lb/>
te&#x017F;te Begrif von der Ur&#x017F;ache war &#x017F;chon hinreichend, um<lb/>
diejenige <hi rendition="#fr">Jdee</hi> vom Objekt zu bewirken, von deren Ent-<lb/>
&#x017F;tehungsart hier die Rede i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Und zu die&#x017F;en Gedanken konnte und mußte jedwede<lb/>
neue Modifikation, welche aus der Seele &#x017F;elb&#x017F;t ent&#x017F;tand,<lb/>
ihrer Natur nach, der Denkkraft die Veranla&#x017F;&#x017F;ung ge-<lb/>
ben. Denn jedwede aus innerer Kraft ent&#x017F;tehende Ver-<lb/>
a&#x0364;nderung fu&#x0364;hrte auf Vor&#x017F;tellungen von den vorhergegan-<lb/>
genen Um&#x017F;ta&#x0364;nden, Be&#x017F;trebungen und Be&#x017F;chaffenheiten,<lb/>
die mit ihr a&#x017F;&#x017F;ociiret &#x017F;ind. Da war al&#x017F;o Gefu&#x0364;hl eines<lb/>
gegenwa&#x0364;rtigen Subjekts mit einer Be&#x017F;chaffenheit; dann<lb/>
Vor&#x017F;tellung eines vorigen Subjekts mit einer Be&#x017F;chaffen-<lb/>
heit, und dann Gefu&#x0364;hl der Folge, &#x017F;o wie die&#x017F;e gefu&#x0364;hler<lb/>
werden kann. Die&#x017F;e Gefu&#x0364;hle und Vor&#x017F;tellungen zu Ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">danken</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[397/0457] Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge. wenn ſonſten alles einerley iſt, ſchon hin. Die Abſtrak- tion von der Objektivitaͤt in Hinſicht dieſes erſten Merk- mals konnte alſo aus allen Arten von Empfindungen und Vorſtellungen, die einander ſo weit aͤhnlich waͤren, als die Jdentitaͤt des Gegenſtandes es mit ſich brachte, er- halten werden. Und dieſer Theil des Begrifs konnte vorhanden ſeyn, ehe der zweete entwickelt wurde, wie es wahrſcheinlich ſich bey den Kindern wirklich verhaͤlt, bey denen das Gefuͤhl der Sache, und die gefuͤhlte Sache ſelbſt, als die Urſache von jenem, lange ununterſchieden bleiben. Was der Begrif von der Urſache und von der Ver- urſachung in ſich enthalte, und bey welcher Art von Empfindungen und Vorſtellungen die Denkkraft zuerſt den Gedanken von der urſachlichen Verbindung hervor- bringe, iſt anderswo weitlaͤuftig von mir aus einander geſetzt. *) Hier bedarf es jenes voͤlligen Begrifs nicht. Es iſt genug, daß unter Urſache der Empfindung ein Ding gedacht wird, das von der Empfindung ver- ſchieden iſt, aber dieſe zur Folge hat. Der unentwickel- teſte Begrif von der Urſache war ſchon hinreichend, um diejenige Jdee vom Objekt zu bewirken, von deren Ent- ſtehungsart hier die Rede iſt. Und zu dieſen Gedanken konnte und mußte jedwede neue Modifikation, welche aus der Seele ſelbſt entſtand, ihrer Natur nach, der Denkkraft die Veranlaſſung ge- ben. Denn jedwede aus innerer Kraft entſtehende Ver- aͤnderung fuͤhrte auf Vorſtellungen von den vorhergegan- genen Umſtaͤnden, Beſtrebungen und Beſchaffenheiten, die mit ihr aſſociiret ſind. Da war alſo Gefuͤhl eines gegenwaͤrtigen Subjekts mit einer Beſchaffenheit; dann Vorſtellung eines vorigen Subjekts mit einer Beſchaffen- heit, und dann Gefuͤhl der Folge, ſo wie dieſe gefuͤhler werden kann. Dieſe Gefuͤhle und Vorſtellungen zu Ge- danken *) Siehe den vierten Verſuch IV.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/457
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/457>, abgerufen am 22.12.2024.