Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

V. Versuch. Ueber den Urspr. unserer
es denn unmöglich, daß das Gesicht allein ohne Beyhül-
fe des Gefühls etwas ähnliches thun könne? Wir legen
nun zwar jedem sichtbaren Dinge auch eine Solidität,
und einen Umfang bey, der gefühlt werden kann, weil
wir die Jdee von dem Raum aus der Vereinigung der
Gesichts- und Gefühlsempfindungen genommen haben,
und diese mit jeder Jdee von einem äußern existirenden
Objekte
verbinden, aber der gemeine Mann stellt sich
doch die Gespenster als eine Art von blos sichtbaren
Wesen vor, die nichts an sich haben, was sich fühlen
und greifen lasse. Das Gefühl ist der allgemeinste
und ein unterbrochen wirksamer Sinn, da einer und meh-
rere von den übrigen fehlen, oder unwirksam seyn kön-
nen. "Daher kann kein Ganzes von Empfindungen
"seyn, wozu das Gefühl nicht seinen Beytrag liefere."
Dieß verursacht die Verbindung der Vorstellungen aus
dem Gefühl mit den Vorstellungen aus dem Gesicht, auch
da, wo sonst die Sache nur allein gesehen wird. Allein
ich meine, es lasse sich doch begreifen, daß wohl eine
Vorstellung eines blos sichtlichen Gegenstandes, der
wirklich außer uns vorhanden ist, möglich ist, ohne daß
einem solchen Objekt fühlbare Solidität und ein fühlbarer
Raum zugeschrieben werden dürfe.

Wie weit darf also nun wohl die natürliche Verbin-
dung der Empfindungen verändert werden, um auch Ge-
rüche, Töne und Geschmacksarten zu substantificiren,
oder sich wirkliche Objekte vorzustellen, die nur allein
riechbar, oder allein hörbar, oder allein schmeckbar sind,
ohne zugleich auch sichtbar und fühlbar zu seyn, so wie
wir uns blos fühlbare Objekte gedenken? Natürlich ist
eine solche Vorstellungsart nicht; aber man sieht, daß
dieß von der Einrichtung der Natur, in der Verbindung
der Sinne, nicht aber von der Natur der Sinne selbst
für sich allein betrachtet, abhange.

VIII. Jn

V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſerer
es denn unmoͤglich, daß das Geſicht allein ohne Beyhuͤl-
fe des Gefuͤhls etwas aͤhnliches thun koͤnne? Wir legen
nun zwar jedem ſichtbaren Dinge auch eine Soliditaͤt,
und einen Umfang bey, der gefuͤhlt werden kann, weil
wir die Jdee von dem Raum aus der Vereinigung der
Geſichts- und Gefuͤhlsempfindungen genommen haben,
und dieſe mit jeder Jdee von einem aͤußern exiſtirenden
Objekte
verbinden, aber der gemeine Mann ſtellt ſich
doch die Geſpenſter als eine Art von blos ſichtbaren
Weſen vor, die nichts an ſich haben, was ſich fuͤhlen
und greifen laſſe. Das Gefuͤhl iſt der allgemeinſte
und ein unterbrochen wirkſamer Sinn, da einer und meh-
rere von den uͤbrigen fehlen, oder unwirkſam ſeyn koͤn-
nen. „Daher kann kein Ganzes von Empfindungen
„ſeyn, wozu das Gefuͤhl nicht ſeinen Beytrag liefere.“
Dieß verurſacht die Verbindung der Vorſtellungen aus
dem Gefuͤhl mit den Vorſtellungen aus dem Geſicht, auch
da, wo ſonſt die Sache nur allein geſehen wird. Allein
ich meine, es laſſe ſich doch begreifen, daß wohl eine
Vorſtellung eines blos ſichtlichen Gegenſtandes, der
wirklich außer uns vorhanden iſt, moͤglich iſt, ohne daß
einem ſolchen Objekt fuͤhlbare Soliditaͤt und ein fuͤhlbarer
Raum zugeſchrieben werden duͤrfe.

Wie weit darf alſo nun wohl die natuͤrliche Verbin-
dung der Empfindungen veraͤndert werden, um auch Ge-
ruͤche, Toͤne und Geſchmacksarten zu ſubſtantificiren,
oder ſich wirkliche Objekte vorzuſtellen, die nur allein
riechbar, oder allein hoͤrbar, oder allein ſchmeckbar ſind,
ohne zugleich auch ſichtbar und fuͤhlbar zu ſeyn, ſo wie
wir uns blos fuͤhlbare Objekte gedenken? Natuͤrlich iſt
eine ſolche Vorſtellungsart nicht; aber man ſieht, daß
dieß von der Einrichtung der Natur, in der Verbindung
der Sinne, nicht aber von der Natur der Sinne ſelbſt
fuͤr ſich allein betrachtet, abhange.

VIII. Jn
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0470" n="410"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">V.</hi> Ver&#x017F;uch. Ueber den Ur&#x017F;pr. un&#x017F;erer</hi></fw><lb/>
es denn unmo&#x0364;glich, daß das Ge&#x017F;icht allein ohne Beyhu&#x0364;l-<lb/>
fe des Gefu&#x0364;hls etwas a&#x0364;hnliches thun ko&#x0364;nne? Wir legen<lb/>
nun zwar jedem &#x017F;ichtbaren Dinge auch eine Solidita&#x0364;t,<lb/>
und einen Umfang bey, der gefu&#x0364;hlt werden kann, weil<lb/>
wir die Jdee von dem <hi rendition="#fr">Raum</hi> aus der Vereinigung der<lb/>
Ge&#x017F;ichts- und Gefu&#x0364;hlsempfindungen genommen haben,<lb/>
und die&#x017F;e mit jeder Jdee von einem a&#x0364;ußern <hi rendition="#fr">exi&#x017F;tirenden<lb/>
Objekte</hi> verbinden, aber der gemeine Mann &#x017F;tellt &#x017F;ich<lb/>
doch die Ge&#x017F;pen&#x017F;ter als eine Art von <hi rendition="#fr">blos &#x017F;ichtbaren</hi><lb/>
We&#x017F;en vor, die nichts an &#x017F;ich haben, was &#x017F;ich fu&#x0364;hlen<lb/>
und greifen la&#x017F;&#x017F;e. Das <hi rendition="#fr">Gefu&#x0364;hl</hi> i&#x017F;t der allgemein&#x017F;te<lb/>
und ein unterbrochen wirk&#x017F;amer Sinn, da einer und meh-<lb/>
rere von den u&#x0364;brigen fehlen, oder unwirk&#x017F;am &#x017F;eyn ko&#x0364;n-<lb/>
nen. &#x201E;Daher kann kein Ganzes von Empfindungen<lb/>
&#x201E;&#x017F;eyn, wozu das Gefu&#x0364;hl nicht &#x017F;einen Beytrag liefere.&#x201C;<lb/>
Dieß verur&#x017F;acht die Verbindung der Vor&#x017F;tellungen aus<lb/>
dem Gefu&#x0364;hl mit den Vor&#x017F;tellungen aus dem Ge&#x017F;icht, auch<lb/>
da, wo &#x017F;on&#x017F;t die Sache nur allein ge&#x017F;ehen wird. Allein<lb/>
ich meine, es la&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ich doch begreifen, daß wohl eine<lb/>
Vor&#x017F;tellung eines blos &#x017F;ichtlichen Gegen&#x017F;tandes, der<lb/>
wirklich außer uns vorhanden i&#x017F;t, mo&#x0364;glich i&#x017F;t, ohne daß<lb/>
einem &#x017F;olchen Objekt fu&#x0364;hlbare Solidita&#x0364;t und ein fu&#x0364;hlbarer<lb/>
Raum zuge&#x017F;chrieben werden du&#x0364;rfe.</p><lb/>
          <p>Wie weit darf al&#x017F;o nun wohl die natu&#x0364;rliche Verbin-<lb/>
dung der Empfindungen vera&#x0364;ndert werden, um auch Ge-<lb/>
ru&#x0364;che, To&#x0364;ne und Ge&#x017F;chmacksarten zu &#x017F;ub&#x017F;tantificiren,<lb/>
oder &#x017F;ich wirkliche Objekte vorzu&#x017F;tellen, die nur allein<lb/>
riechbar, oder allein ho&#x0364;rbar, oder allein &#x017F;chmeckbar &#x017F;ind,<lb/>
ohne zugleich auch &#x017F;ichtbar und fu&#x0364;hlbar zu &#x017F;eyn, &#x017F;o wie<lb/>
wir uns blos fu&#x0364;hlbare Objekte gedenken? Natu&#x0364;rlich i&#x017F;t<lb/>
eine &#x017F;olche Vor&#x017F;tellungsart nicht; aber man &#x017F;ieht, daß<lb/>
dieß von der Einrichtung der Natur, in der Verbindung<lb/>
der Sinne, nicht aber von der Natur der Sinne &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
fu&#x0364;r &#x017F;ich allein betrachtet, abhange.</p>
        </div><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">VIII.</hi> Jn</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[410/0470] V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſerer es denn unmoͤglich, daß das Geſicht allein ohne Beyhuͤl- fe des Gefuͤhls etwas aͤhnliches thun koͤnne? Wir legen nun zwar jedem ſichtbaren Dinge auch eine Soliditaͤt, und einen Umfang bey, der gefuͤhlt werden kann, weil wir die Jdee von dem Raum aus der Vereinigung der Geſichts- und Gefuͤhlsempfindungen genommen haben, und dieſe mit jeder Jdee von einem aͤußern exiſtirenden Objekte verbinden, aber der gemeine Mann ſtellt ſich doch die Geſpenſter als eine Art von blos ſichtbaren Weſen vor, die nichts an ſich haben, was ſich fuͤhlen und greifen laſſe. Das Gefuͤhl iſt der allgemeinſte und ein unterbrochen wirkſamer Sinn, da einer und meh- rere von den uͤbrigen fehlen, oder unwirkſam ſeyn koͤn- nen. „Daher kann kein Ganzes von Empfindungen „ſeyn, wozu das Gefuͤhl nicht ſeinen Beytrag liefere.“ Dieß verurſacht die Verbindung der Vorſtellungen aus dem Gefuͤhl mit den Vorſtellungen aus dem Geſicht, auch da, wo ſonſt die Sache nur allein geſehen wird. Allein ich meine, es laſſe ſich doch begreifen, daß wohl eine Vorſtellung eines blos ſichtlichen Gegenſtandes, der wirklich außer uns vorhanden iſt, moͤglich iſt, ohne daß einem ſolchen Objekt fuͤhlbare Soliditaͤt und ein fuͤhlbarer Raum zugeſchrieben werden duͤrfe. Wie weit darf alſo nun wohl die natuͤrliche Verbin- dung der Empfindungen veraͤndert werden, um auch Ge- ruͤche, Toͤne und Geſchmacksarten zu ſubſtantificiren, oder ſich wirkliche Objekte vorzuſtellen, die nur allein riechbar, oder allein hoͤrbar, oder allein ſchmeckbar ſind, ohne zugleich auch ſichtbar und fuͤhlbar zu ſeyn, ſo wie wir uns blos fuͤhlbare Objekte gedenken? Natuͤrlich iſt eine ſolche Vorſtellungsart nicht; aber man ſieht, daß dieß von der Einrichtung der Natur, in der Verbindung der Sinne, nicht aber von der Natur der Sinne ſelbſt fuͤr ſich allein betrachtet, abhange. VIII. Jn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/470
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/470>, abgerufen am 22.12.2024.