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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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wisses Zeitmoment, ohne Einwirkung der äußern
Ursache in uns fortdauert. Man kann sogar die Län-
ge dieser Dauer in den Nachempfindungen
be-
stimmen. Wenn man solche nimmt, die am geschwinde-
sten wieder vergehen, aber auch stark genug gewesen sind,
um gewahrgenommen zu werden; so ist die kleinste
Dauer
in den Gesichtsempfindungen 6 bis 7 Terzen,
bey den Nachempfindungen des Gehörs nur 5 Terzen
und noch kürzer bey den Nachempfindungen des Ge-
fühls. *)

Der Augenblick, in welchem der Gedanke in uns
entsteht: ich sehe den Mond; oder der Mond sieht so
aus; kurz der Augenblick der Reflexion fällt in
das Moment der Nachempfindung.
Nicht wäh-
rend des ersten von außen entstehenden Eindruckes, wenn
wir noch damit beschäftiget sind, die Modifikation von
außen anzunehmen und zu fühlen, geschieht es, daß wir
gewahrnehmen und mit Bewußtseyn empfinden, son-
dern in dem Moment, wenn die Nachempfindung in
uns vorhanden ist. Die Ueberlegung verbindet sich mit
der Empfindungsvorstellung, aber nicht unmittel-
bar mit der Empfindung selbst.

Man kann sich auch gerade zu aus Beobachtungen
hievon versichern. Wenn wir z. B. die Augen starr
auf einen Gegenstand hinrichten, um sein Bild in uns
aufzufassen; so denken wir in diesem Augenblick nicht,
daß wir ihn sehen. Sobald wir über den Gegenstand
reflektiren; so finden wir ihn zwar vor uns gegenwär-
tig, und sein Bild ist in uns, aber wir sind nicht mehr
damit beschäftigt, es in uns aufzunehmen. Ueberdieß

kann
*) Die Gefühlseindrücke dauren kaum halb so lange, als
die Eindrücke auf das Gehör, wie ich aus einigen Ver-
suchen weiß, die ich hierüber angestellet habe, deren
weitere Anzeige hier aber nicht her gehöret.
I. Band. C

der Vorſtellungen.
wiſſes Zeitmoment, ohne Einwirkung der aͤußern
Urſache in uns fortdauert. Man kann ſogar die Laͤn-
ge dieſer Dauer in den Nachempfindungen
be-
ſtimmen. Wenn man ſolche nimmt, die am geſchwinde-
ſten wieder vergehen, aber auch ſtark genug geweſen ſind,
um gewahrgenommen zu werden; ſo iſt die kleinſte
Dauer
in den Geſichtsempfindungen 6 bis 7 Terzen,
bey den Nachempfindungen des Gehoͤrs nur 5 Terzen
und noch kuͤrzer bey den Nachempfindungen des Ge-
fuͤhls. *)

Der Augenblick, in welchem der Gedanke in uns
entſteht: ich ſehe den Mond; oder der Mond ſieht ſo
aus; kurz der Augenblick der Reflexion faͤllt in
das Moment der Nachempfindung.
Nicht waͤh-
rend des erſten von außen entſtehenden Eindruckes, wenn
wir noch damit beſchaͤftiget ſind, die Modifikation von
außen anzunehmen und zu fuͤhlen, geſchieht es, daß wir
gewahrnehmen und mit Bewußtſeyn empfinden, ſon-
dern in dem Moment, wenn die Nachempfindung in
uns vorhanden iſt. Die Ueberlegung verbindet ſich mit
der Empfindungsvorſtellung, aber nicht unmittel-
bar mit der Empfindung ſelbſt.

Man kann ſich auch gerade zu aus Beobachtungen
hievon verſichern. Wenn wir z. B. die Augen ſtarr
auf einen Gegenſtand hinrichten, um ſein Bild in uns
aufzufaſſen; ſo denken wir in dieſem Augenblick nicht,
daß wir ihn ſehen. Sobald wir uͤber den Gegenſtand
reflektiren; ſo finden wir ihn zwar vor uns gegenwaͤr-
tig, und ſein Bild iſt in uns, aber wir ſind nicht mehr
damit beſchaͤftigt, es in uns aufzunehmen. Ueberdieß

kann
*) Die Gefuͤhlseindruͤcke dauren kaum halb ſo lange, als
die Eindruͤcke auf das Gehoͤr, wie ich aus einigen Ver-
ſuchen weiß, die ich hieruͤber angeſtellet habe, deren
weitere Anzeige hier aber nicht her gehoͤret.
I. Band. C
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[33/0093] der Vorſtellungen. wiſſes Zeitmoment, ohne Einwirkung der aͤußern Urſache in uns fortdauert. Man kann ſogar die Laͤn- ge dieſer Dauer in den Nachempfindungen be- ſtimmen. Wenn man ſolche nimmt, die am geſchwinde- ſten wieder vergehen, aber auch ſtark genug geweſen ſind, um gewahrgenommen zu werden; ſo iſt die kleinſte Dauer in den Geſichtsempfindungen 6 bis 7 Terzen, bey den Nachempfindungen des Gehoͤrs nur 5 Terzen und noch kuͤrzer bey den Nachempfindungen des Ge- fuͤhls. *) Der Augenblick, in welchem der Gedanke in uns entſteht: ich ſehe den Mond; oder der Mond ſieht ſo aus; kurz der Augenblick der Reflexion faͤllt in das Moment der Nachempfindung. Nicht waͤh- rend des erſten von außen entſtehenden Eindruckes, wenn wir noch damit beſchaͤftiget ſind, die Modifikation von außen anzunehmen und zu fuͤhlen, geſchieht es, daß wir gewahrnehmen und mit Bewußtſeyn empfinden, ſon- dern in dem Moment, wenn die Nachempfindung in uns vorhanden iſt. Die Ueberlegung verbindet ſich mit der Empfindungsvorſtellung, aber nicht unmittel- bar mit der Empfindung ſelbſt. Man kann ſich auch gerade zu aus Beobachtungen hievon verſichern. Wenn wir z. B. die Augen ſtarr auf einen Gegenſtand hinrichten, um ſein Bild in uns aufzufaſſen; ſo denken wir in dieſem Augenblick nicht, daß wir ihn ſehen. Sobald wir uͤber den Gegenſtand reflektiren; ſo finden wir ihn zwar vor uns gegenwaͤr- tig, und ſein Bild iſt in uns, aber wir ſind nicht mehr damit beſchaͤftigt, es in uns aufzunehmen. Ueberdieß kann *) Die Gefuͤhlseindruͤcke dauren kaum halb ſo lange, als die Eindruͤcke auf das Gehoͤr, wie ich aus einigen Ver- ſuchen weiß, die ich hieruͤber angeſtellet habe, deren weitere Anzeige hier aber nicht her gehoͤret. I. Band. C

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/93>, abgerufen am 22.12.2024.