Die Nachempfindungen sind Modificationen in der Seele, so wie es die Emfindungen sind. Als Nach- empfindungen sind sie zurückgebliebene und durch innere Ursachen und Kräfte fortdaurende Veränderungen. Hierinn sind sie von den sinnlichen Eindrücken unter- schieden, als welche Wirkungen von äußern Ursachen sind. Aber sollten jene auch Seelenbeschaffenheiten seyn? Sind es die Organe, und bey dem Gesicht die Sehenerven, welche durch eine ihnen beywohnende Kraft die empfangenen sinnlichen Bewegungen, wie die Saite auf dem Jnstrument ihre Schwingungen, fortsetzen, und solche der Seele zum Empfinden und Fühlen vor- halten? Wenn es so ist; so wird in der Seele die Nachempfindung und die Empfindung selbst einerley seyn. Denn so kann die erstere in der Seele nichts anders, als ein fortgesetztes oder wiederholtes Aufnehmen des Ein- drucks seyn, wobey sie selbst nur ihre Reaktion gegen das Gehirn, oder ihr Gefühl fortsetzet, ohne in sich durch ihre Selbstthätigkeit etwas zu unterhalten. Oder| ist die Nachempfindung, in so ferne sie eine unterhaltene Folge des Eindrucks ist, vielmehr in der Seele? Giebt diese etwa die thätige Kraft dazu her? Oder endlich, ist sie in beiden zugleich? Das erste ist ein Princip in dem System des Hrn. Bonnets. Jch setze aber diese Fra- gen nur her, wie ich es schon vorher mit andern ähnli- chen gethan habe, um die Erinnerung zu geben, daß man nicht unmittelbar in die Beobachtungen das psycho- logische System hineinbringen müsse. Es sey genug, daß es sich so, wie es hier angegeben worden ist, in dem Menschen, dem sehenden Dinge, verhalte.
Die wieder hervorgezogenen ersten Empfindungs- vorstellungen, die man Phantasmata oder Ein- bildungen nennet -- Wiedervorstellungen kann man sie nennen, wenn es nicht besser wäre, diese letztere Benennung allgemeiner auf alle Arten von wiederhervor-
gebrach-
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der Vorſtellungen.
Die Nachempfindungen ſind Modificationen in der Seele, ſo wie es die Emfindungen ſind. Als Nach- empfindungen ſind ſie zuruͤckgebliebene und durch innere Urſachen und Kraͤfte fortdaurende Veraͤnderungen. Hierinn ſind ſie von den ſinnlichen Eindruͤcken unter- ſchieden, als welche Wirkungen von aͤußern Urſachen ſind. Aber ſollten jene auch Seelenbeſchaffenheiten ſeyn? Sind es die Organe, und bey dem Geſicht die Sehenerven, welche durch eine ihnen beywohnende Kraft die empfangenen ſinnlichen Bewegungen, wie die Saite auf dem Jnſtrument ihre Schwingungen, fortſetzen, und ſolche der Seele zum Empfinden und Fuͤhlen vor- halten? Wenn es ſo iſt; ſo wird in der Seele die Nachempfindung und die Empfindung ſelbſt einerley ſeyn. Denn ſo kann die erſtere in der Seele nichts anders, als ein fortgeſetztes oder wiederholtes Aufnehmen des Ein- drucks ſeyn, wobey ſie ſelbſt nur ihre Reaktion gegen das Gehirn, oder ihr Gefuͤhl fortſetzet, ohne in ſich durch ihre Selbſtthaͤtigkeit etwas zu unterhalten. Oder| iſt die Nachempfindung, in ſo ferne ſie eine unterhaltene Folge des Eindrucks iſt, vielmehr in der Seele? Giebt dieſe etwa die thaͤtige Kraft dazu her? Oder endlich, iſt ſie in beiden zugleich? Das erſte iſt ein Princip in dem Syſtem des Hrn. Bonnets. Jch ſetze aber dieſe Fra- gen nur her, wie ich es ſchon vorher mit andern aͤhnli- chen gethan habe, um die Erinnerung zu geben, daß man nicht unmittelbar in die Beobachtungen das pſycho- logiſche Syſtem hineinbringen muͤſſe. Es ſey genug, daß es ſich ſo, wie es hier angegeben worden iſt, in dem Menſchen, dem ſehenden Dinge, verhalte.
Die wieder hervorgezogenen erſten Empfindungs- vorſtellungen, die man Phantasmata oder Ein- bildungen nennet — Wiedervorſtellungen kann man ſie nennen, wenn es nicht beſſer waͤre, dieſe letztere Benennung allgemeiner auf alle Arten von wiederhervor-
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der Vorſtellungen.
Die Nachempfindungen ſind Modificationen in der
Seele, ſo wie es die Emfindungen ſind. Als Nach-
empfindungen ſind ſie zuruͤckgebliebene und durch innere
Urſachen und Kraͤfte fortdaurende Veraͤnderungen.
Hierinn ſind ſie von den ſinnlichen Eindruͤcken unter-
ſchieden, als welche Wirkungen von aͤußern Urſachen
ſind. Aber ſollten jene auch Seelenbeſchaffenheiten
ſeyn? Sind es die Organe, und bey dem Geſicht die
Sehenerven, welche durch eine ihnen beywohnende Kraft
die empfangenen ſinnlichen Bewegungen, wie die Saite
auf dem Jnſtrument ihre Schwingungen, fortſetzen,
und ſolche der Seele zum Empfinden und Fuͤhlen vor-
halten? Wenn es ſo iſt; ſo wird in der Seele die
Nachempfindung und die Empfindung ſelbſt einerley ſeyn.
Denn ſo kann die erſtere in der Seele nichts anders, als
ein fortgeſetztes oder wiederholtes Aufnehmen des Ein-
drucks ſeyn, wobey ſie ſelbſt nur ihre Reaktion gegen das
Gehirn, oder ihr Gefuͤhl fortſetzet, ohne in ſich durch ihre
Selbſtthaͤtigkeit etwas zu unterhalten. Oder| iſt die
Nachempfindung, in ſo ferne ſie eine unterhaltene Folge
des Eindrucks iſt, vielmehr in der Seele? Giebt dieſe
etwa die thaͤtige Kraft dazu her? Oder endlich, iſt ſie
in beiden zugleich? Das erſte iſt ein Princip in dem
Syſtem des Hrn. Bonnets. Jch ſetze aber dieſe Fra-
gen nur her, wie ich es ſchon vorher mit andern aͤhnli-
chen gethan habe, um die Erinnerung zu geben, daß
man nicht unmittelbar in die Beobachtungen das pſycho-
logiſche Syſtem hineinbringen muͤſſe. Es ſey genug,
daß es ſich ſo, wie es hier angegeben worden iſt, in dem
Menſchen, dem ſehenden Dinge, verhalte.
Die wieder hervorgezogenen erſten Empfindungs-
vorſtellungen, die man Phantasmata oder Ein-
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man ſie nennen, wenn es nicht beſſer waͤre, dieſe letztere
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/97>, abgerufen am 22.12.2024.
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