gebrachten Vorstellungen auszudehnen, sie mögen Em- pfindungsvorstellungen seyn, oder nicht. -- Die Einbildungen also sind offenbar nichts anders, als die ersten Nachempfindungen in einem weit schwächern Grade von Licht und Völligkeit, und wir nehmen sie im Schlaf und auch zuweilen im Wachen für Empfindun- gen an. Aber auch alsdenn zeiget sich doch der erste Un- terschied zwischen Empfindungen und Nachempfindun- gen, wenn sie gleich beide nur wieder erneuert als Ein- bildungen sich darstellen. Jm Schlaf glauben wir zu sehen. Nun ist zwar kein Eindruck von außen auf das Auge vorhanden, und also ist auch keine wahre Nach- empfindung da. Aber es ist doch eine Nachbildung, so- wohl von der Empfindung, als von der Nachempfindung vorhanden. Es ist nämlich wiederum ein Unterschied vorhanden, zwischen dem ersten Entstehen des sinnlichen Bildes, welches hier ein Wiederhervorbringen ist, wo- bey wir mit dem Gefühl eben so reagiren, wie bey der wahren Empfindung; und zwischen dem Fortdauren des wiederhervorgebrachten Bildes, womit die Reflexion über das Objekt verbunden ist.
Am deutlichsten zeiget sich dieses in den sogenannten unächten äußern Empfindungen. Das Auge kann aus innern Ursachen im Körper mit einer gleichen, oder doch jener in der wahren Empfindung nahekom- menden Stärke sinnlich gerühret werden, auf eine ähn- liche Art, wie es bey der wahren Empfindung durch das hineinfallende Licht geschieht. Es giebt mehrere Ursa- chen, die solche falsche Empfindungen veranlassen kön- nen. *) Aber dennoch ist in diesen Fällen die Empfin- dung selbst von ihrer Nachempfindung eben so offenbar unterschieden, als sie es bey den ächten Empfindungen ist.
Wer
*) Man sehe des Hrn. von Unzers Physiologie der thie- rischen Körper, §. 148. 378.
I. Verſuch. Ueber die Natur
gebrachten Vorſtellungen auszudehnen, ſie moͤgen Em- pfindungsvorſtellungen ſeyn, oder nicht. — Die Einbildungen alſo ſind offenbar nichts anders, als die erſten Nachempfindungen in einem weit ſchwaͤchern Grade von Licht und Voͤlligkeit, und wir nehmen ſie im Schlaf und auch zuweilen im Wachen fuͤr Empfindun- gen an. Aber auch alsdenn zeiget ſich doch der erſte Un- terſchied zwiſchen Empfindungen und Nachempfindun- gen, wenn ſie gleich beide nur wieder erneuert als Ein- bildungen ſich darſtellen. Jm Schlaf glauben wir zu ſehen. Nun iſt zwar kein Eindruck von außen auf das Auge vorhanden, und alſo iſt auch keine wahre Nach- empfindung da. Aber es iſt doch eine Nachbildung, ſo- wohl von der Empfindung, als von der Nachempfindung vorhanden. Es iſt naͤmlich wiederum ein Unterſchied vorhanden, zwiſchen dem erſten Entſtehen des ſinnlichen Bildes, welches hier ein Wiederhervorbringen iſt, wo- bey wir mit dem Gefuͤhl eben ſo reagiren, wie bey der wahren Empfindung; und zwiſchen dem Fortdauren des wiederhervorgebrachten Bildes, womit die Reflexion uͤber das Objekt verbunden iſt.
Am deutlichſten zeiget ſich dieſes in den ſogenannten unaͤchten aͤußern Empfindungen. Das Auge kann aus innern Urſachen im Koͤrper mit einer gleichen, oder doch jener in der wahren Empfindung nahekom- menden Staͤrke ſinnlich geruͤhret werden, auf eine aͤhn- liche Art, wie es bey der wahren Empfindung durch das hineinfallende Licht geſchieht. Es giebt mehrere Urſa- chen, die ſolche falſche Empfindungen veranlaſſen koͤn- nen. *) Aber dennoch iſt in dieſen Faͤllen die Empfin- dung ſelbſt von ihrer Nachempfindung eben ſo offenbar unterſchieden, als ſie es bey den aͤchten Empfindungen iſt.
Wer
*) Man ſehe des Hrn. von Unzers Phyſiologie der thie- riſchen Koͤrper, §. 148. 378.
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I. Verſuch. Ueber die Natur
gebrachten Vorſtellungen auszudehnen, ſie moͤgen Em-
pfindungsvorſtellungen ſeyn, oder nicht. — Die
Einbildungen alſo ſind offenbar nichts anders, als
die erſten Nachempfindungen in einem weit ſchwaͤchern
Grade von Licht und Voͤlligkeit, und wir nehmen ſie im
Schlaf und auch zuweilen im Wachen fuͤr Empfindun-
gen an. Aber auch alsdenn zeiget ſich doch der erſte Un-
terſchied zwiſchen Empfindungen und Nachempfindun-
gen, wenn ſie gleich beide nur wieder erneuert als Ein-
bildungen ſich darſtellen. Jm Schlaf glauben wir zu
ſehen. Nun iſt zwar kein Eindruck von außen auf das
Auge vorhanden, und alſo iſt auch keine wahre Nach-
empfindung da. Aber es iſt doch eine Nachbildung, ſo-
wohl von der Empfindung, als von der Nachempfindung
vorhanden. Es iſt naͤmlich wiederum ein Unterſchied
vorhanden, zwiſchen dem erſten Entſtehen des ſinnlichen
Bildes, welches hier ein Wiederhervorbringen iſt, wo-
bey wir mit dem Gefuͤhl eben ſo reagiren, wie bey der
wahren Empfindung; und zwiſchen dem Fortdauren des
wiederhervorgebrachten Bildes, womit die Reflexion
uͤber das Objekt verbunden iſt.
Am deutlichſten zeiget ſich dieſes in den ſogenannten
unaͤchten aͤußern Empfindungen. Das Auge
kann aus innern Urſachen im Koͤrper mit einer gleichen,
oder doch jener in der wahren Empfindung nahekom-
menden Staͤrke ſinnlich geruͤhret werden, auf eine aͤhn-
liche Art, wie es bey der wahren Empfindung durch das
hineinfallende Licht geſchieht. Es giebt mehrere Urſa-
chen, die ſolche falſche Empfindungen veranlaſſen koͤn-
nen. *) Aber dennoch iſt in dieſen Faͤllen die Empfin-
dung ſelbſt von ihrer Nachempfindung eben ſo offenbar
unterſchieden, als ſie es bey den aͤchten Empfindungen iſt.
Wer
*) Man ſehe des Hrn. von Unzers Phyſiologie der thie-
riſchen Koͤrper, §. 148. 378.
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/98>, abgerufen am 22.12.2024.
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