mit sammt der Möglichkeit des Gegentheils in der phi- losophischen Sprache gänzlich enthalten würde.
Jch will damit nicht sagen, daß man sich ihrer nicht mit Nutzen bedienen könne, wenn nur ihre Be- deutung vorher so genau bestimmt ist, als sie es bey all- gemeinen Begriffen seyn muß, die wir zum Grunde unserer Schlüsse legen wollen.
Die Spekulationen über die gedachten Begriffe führen zu Distinktionen, die im allgemeinen vorgetra- gen, fein genug sind, um als sachleere Spitzfindigkei- ten zu erscheinen, und sind doch unvermeidlich, sobald man bis auf die ersten Gründe zurückgeht, wo die An- fänge des Wahren und des Falschen oft dicht an einan- der liegen. Wer sie vermeiden will, entsage dem Ver- gnügen aus der deutlichern Einsicht, und bleibe näher bey den Empfindungen, die aber doch sehr oft, und be- sonders hier, das Mikroskop der Vernunft erfodern, wenn man recht wissen will, was man siehet.
"Babuc*) sprach mit dem Vornehmsten der Drui- "den in Scythien, der auf den Groß-Lama zu Tibet "übel zu sprechen war, weil dieser sich für unfehlbar "hält. Er versicherte, die Druiden verdienten mehr "geschätzt zu werden, weil sie es Niemanden übel deu- "teten, wenn sie von ihren Fehlern unterrichtet würden. "Wie, sagte der vornehme Geistliche, sind Sie ein "Ungläubiger? Glauben Sie, daß unsere Druiden "fehlen? Fehlen zu können und wirklich zu feh-
"len
*) Diese Erzählung stehet in der bekannten schönen Schrift des ehemaligen dänischen Professors Schnee- dorf: Babuc, oder: die Welt, wie sie ist. Eine Art von Nachahmung von dem Voltairischen Zadic. 1761. ins Deutsche übersetzt.
K 2
und Freyheit.
mit ſammt der Moͤglichkeit des Gegentheils in der phi- loſophiſchen Sprache gaͤnzlich enthalten wuͤrde.
Jch will damit nicht ſagen, daß man ſich ihrer nicht mit Nutzen bedienen koͤnne, wenn nur ihre Be- deutung vorher ſo genau beſtimmt iſt, als ſie es bey all- gemeinen Begriffen ſeyn muß, die wir zum Grunde unſerer Schluͤſſe legen wollen.
Die Spekulationen uͤber die gedachten Begriffe fuͤhren zu Diſtinktionen, die im allgemeinen vorgetra- gen, fein genug ſind, um als ſachleere Spitzfindigkei- ten zu erſcheinen, und ſind doch unvermeidlich, ſobald man bis auf die erſten Gruͤnde zuruͤckgeht, wo die An- faͤnge des Wahren und des Falſchen oft dicht an einan- der liegen. Wer ſie vermeiden will, entſage dem Ver- gnuͤgen aus der deutlichern Einſicht, und bleibe naͤher bey den Empfindungen, die aber doch ſehr oft, und be- ſonders hier, das Mikroſkop der Vernunft erfodern, wenn man recht wiſſen will, was man ſiehet.
„Babuc*) ſprach mit dem Vornehmſten der Drui- „den in Scythien, der auf den Groß-Lama zu Tibet „uͤbel zu ſprechen war, weil dieſer ſich fuͤr unfehlbar „haͤlt. Er verſicherte, die Druiden verdienten mehr „geſchaͤtzt zu werden, weil ſie es Niemanden uͤbel deu- „teten, wenn ſie von ihren Fehlern unterrichtet wuͤrden. „Wie, ſagte der vornehme Geiſtliche, ſind Sie ein „Unglaͤubiger? Glauben Sie, daß unſere Druiden „fehlen? Fehlen zu koͤnnen und wirklich zu feh-
„len
*) Dieſe Erzaͤhlung ſtehet in der bekannten ſchoͤnen Schrift des ehemaligen daͤniſchen Profeſſors Schnee- dorf: Babuc, oder: die Welt, wie ſie iſt. Eine Art von Nachahmung von dem Voltairiſchen Zadic. 1761. ins Deutſche uͤberſetzt.
K 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0177"n="147"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">und Freyheit.</hi></fw><lb/>
mit ſammt der Moͤglichkeit des Gegentheils in der phi-<lb/>
loſophiſchen Sprache gaͤnzlich enthalten wuͤrde.</p><lb/><p>Jch will damit nicht ſagen, daß man ſich ihrer<lb/>
nicht mit Nutzen bedienen koͤnne, wenn nur ihre Be-<lb/>
deutung vorher ſo genau beſtimmt iſt, als ſie es bey all-<lb/>
gemeinen Begriffen ſeyn muß, die wir zum Grunde<lb/>
unſerer Schluͤſſe legen wollen.</p><lb/><p>Die Spekulationen uͤber die gedachten Begriffe<lb/>
fuͤhren zu Diſtinktionen, die im allgemeinen vorgetra-<lb/>
gen, fein genug ſind, um als ſachleere Spitzfindigkei-<lb/>
ten zu erſcheinen, und ſind doch unvermeidlich, ſobald<lb/>
man bis auf die erſten Gruͤnde zuruͤckgeht, wo die An-<lb/>
faͤnge des Wahren und des Falſchen oft dicht an einan-<lb/>
der liegen. Wer ſie vermeiden will, entſage dem Ver-<lb/>
gnuͤgen aus der deutlichern Einſicht, und bleibe naͤher<lb/>
bey den Empfindungen, die aber doch ſehr oft, und be-<lb/>ſonders hier, das Mikroſkop der Vernunft erfodern, wenn<lb/>
man recht wiſſen will, was man ſiehet.</p><lb/><p>„<hirendition="#fr">Babuc</hi><noteplace="foot"n="*)">Dieſe Erzaͤhlung ſtehet in der bekannten ſchoͤnen<lb/>
Schrift des ehemaligen daͤniſchen Profeſſors <hirendition="#fr">Schnee-<lb/>
dorf: Babuc,</hi> oder: <hirendition="#fr">die Welt, wie ſie iſt.</hi> Eine<lb/>
Art von Nachahmung von dem Voltairiſchen Zadic.<lb/>
1761. ins Deutſche uͤberſetzt.</note>ſprach mit dem Vornehmſten der Drui-<lb/>„den in Scythien, der auf den Groß-Lama zu Tibet<lb/>„uͤbel zu ſprechen war, weil dieſer ſich fuͤr unfehlbar<lb/>„haͤlt. Er verſicherte, die Druiden verdienten mehr<lb/>„geſchaͤtzt zu werden, weil ſie es Niemanden uͤbel deu-<lb/>„teten, wenn ſie von ihren Fehlern unterrichtet wuͤrden.<lb/>„Wie, ſagte der vornehme Geiſtliche, ſind Sie ein<lb/>„Unglaͤubiger? Glauben Sie, daß unſere Druiden<lb/>„fehlen? <hirendition="#fr">Fehlen zu koͤnnen</hi> und <hirendition="#fr">wirklich zu feh-</hi><lb/><fwplace="bottom"type="sig">K 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">„<hirendition="#fr">len</hi></fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[147/0177]
und Freyheit.
mit ſammt der Moͤglichkeit des Gegentheils in der phi-
loſophiſchen Sprache gaͤnzlich enthalten wuͤrde.
Jch will damit nicht ſagen, daß man ſich ihrer
nicht mit Nutzen bedienen koͤnne, wenn nur ihre Be-
deutung vorher ſo genau beſtimmt iſt, als ſie es bey all-
gemeinen Begriffen ſeyn muß, die wir zum Grunde
unſerer Schluͤſſe legen wollen.
Die Spekulationen uͤber die gedachten Begriffe
fuͤhren zu Diſtinktionen, die im allgemeinen vorgetra-
gen, fein genug ſind, um als ſachleere Spitzfindigkei-
ten zu erſcheinen, und ſind doch unvermeidlich, ſobald
man bis auf die erſten Gruͤnde zuruͤckgeht, wo die An-
faͤnge des Wahren und des Falſchen oft dicht an einan-
der liegen. Wer ſie vermeiden will, entſage dem Ver-
gnuͤgen aus der deutlichern Einſicht, und bleibe naͤher
bey den Empfindungen, die aber doch ſehr oft, und be-
ſonders hier, das Mikroſkop der Vernunft erfodern, wenn
man recht wiſſen will, was man ſiehet.
„Babuc *) ſprach mit dem Vornehmſten der Drui-
„den in Scythien, der auf den Groß-Lama zu Tibet
„uͤbel zu ſprechen war, weil dieſer ſich fuͤr unfehlbar
„haͤlt. Er verſicherte, die Druiden verdienten mehr
„geſchaͤtzt zu werden, weil ſie es Niemanden uͤbel deu-
„teten, wenn ſie von ihren Fehlern unterrichtet wuͤrden.
„Wie, ſagte der vornehme Geiſtliche, ſind Sie ein
„Unglaͤubiger? Glauben Sie, daß unſere Druiden
„fehlen? Fehlen zu koͤnnen und wirklich zu feh-
„len
*) Dieſe Erzaͤhlung ſtehet in der bekannten ſchoͤnen
Schrift des ehemaligen daͤniſchen Profeſſors Schnee-
dorf: Babuc, oder: die Welt, wie ſie iſt. Eine
Art von Nachahmung von dem Voltairiſchen Zadic.
1761. ins Deutſche uͤberſetzt.
K 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/177>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.