III. Von dem körperlichen Bestandtheile unsers See- lenwesens.
1) Von dem Antheil des Gehirns an jedweder Seelenäußerung. Von materiellen Jdeen. 2) Von der Natur des Selbstgefühls der Seele. Sie fühlet und empfindet sich auf eine ähnliche Weise, wie das Auge sich im Spiegel siehet.
1.
Es giebt hier doch zween Sätze, die sich ausmachen lassen, und die bey den weiter gehenden Raisonne- ments über die Natur der Seele Leichtthürme für uns seyn müssen. Der erste ist mehr ein Erfahrungssatz; der andere erfodert mehr Raisonnement, wenn seine Ge- wißheit einleuchten soll. Jndessen bestehen sie beide in Begriffen und Urtheilen, die aus Empfindungen gezo- gen werden.
Der erste Satz ist dieser: "Zu jedweder Seelen- "äußerung wirket ein gewisser innerer Theil unsers Kör- "pers bey; wir mögen diesen Theil das Gehirn, das "sensorium commune, Seelenorgan, schema per- "ceptionis, oder wie wir wollen, benennen."
Die andere Grundwahrheit ist folgende: "Es giebt "außer den gedachten körperlichen Seelenorganen in "uns ein Wesen, das zwar in Vereinigung mit jenen "wirkt, aber für sich ein eigenes bestehendes Ding oder "eine Substanz ist, die wir die Seele in psychologischer "Bedeutung oder unser Jch nennen. Und dieß letztere un- "körperliche Wesen ist es entweder allein, was das empfin- "dende, denkende und thätige Seelenwesen im Menschen "ausmacht, oder es ist doch der vornehmste Theil dieses
"Ganzen,
XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
III. Von dem koͤrperlichen Beſtandtheile unſers See- lenweſens.
1) Von dem Antheil des Gehirns an jedweder Seelenaͤußerung. Von materiellen Jdeen. 2) Von der Natur des Selbſtgefuͤhls der Seele. Sie fuͤhlet und empfindet ſich auf eine aͤhnliche Weiſe, wie das Auge ſich im Spiegel ſiehet.
1.
Es giebt hier doch zween Saͤtze, die ſich ausmachen laſſen, und die bey den weiter gehenden Raiſonne- ments uͤber die Natur der Seele Leichtthuͤrme fuͤr uns ſeyn muͤſſen. Der erſte iſt mehr ein Erfahrungsſatz; der andere erfodert mehr Raiſonnement, wenn ſeine Ge- wißheit einleuchten ſoll. Jndeſſen beſtehen ſie beide in Begriffen und Urtheilen, die aus Empfindungen gezo- gen werden.
Der erſte Satz iſt dieſer: „Zu jedweder Seelen- „aͤußerung wirket ein gewiſſer innerer Theil unſers Koͤr- „pers bey; wir moͤgen dieſen Theil das Gehirn, das „ſenſorium commune, Seelenorgan, ſchema per- „ceptionis, oder wie wir wollen, benennen.‟
Die andere Grundwahrheit iſt folgende: „Es giebt „außer den gedachten koͤrperlichen Seelenorganen in „uns ein Weſen, das zwar in Vereinigung mit jenen „wirkt, aber fuͤr ſich ein eigenes beſtehendes Ding oder „eine Subſtanz iſt, die wir die Seele in pſychologiſcher „Bedeutung oder unſer Jch nennen. Und dieß letztere un- „koͤrperliche Weſen iſt es entweder allein, was das empfin- „dende, denkende und thaͤtige Seelenweſen im Menſchen „ausmacht, oder es iſt doch der vornehmſte Theil dieſes
„Ganzen,
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XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
III.
Von dem koͤrperlichen Beſtandtheile unſers See-
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1) Von dem Antheil des Gehirns an jedweder
Seelenaͤußerung. Von materiellen Jdeen.
2) Von der Natur des Selbſtgefuͤhls der
Seele. Sie fuͤhlet und empfindet ſich auf
eine aͤhnliche Weiſe, wie das Auge ſich im
Spiegel ſiehet.
1.
Es giebt hier doch zween Saͤtze, die ſich ausmachen
laſſen, und die bey den weiter gehenden Raiſonne-
ments uͤber die Natur der Seele Leichtthuͤrme fuͤr uns
ſeyn muͤſſen. Der erſte iſt mehr ein Erfahrungsſatz;
der andere erfodert mehr Raiſonnement, wenn ſeine Ge-
wißheit einleuchten ſoll. Jndeſſen beſtehen ſie beide in
Begriffen und Urtheilen, die aus Empfindungen gezo-
gen werden.
Der erſte Satz iſt dieſer: „Zu jedweder Seelen-
„aͤußerung wirket ein gewiſſer innerer Theil unſers Koͤr-
„pers bey; wir moͤgen dieſen Theil das Gehirn, das
„ſenſorium commune, Seelenorgan, ſchema per-
„ceptionis, oder wie wir wollen, benennen.‟
Die andere Grundwahrheit iſt folgende: „Es giebt
„außer den gedachten koͤrperlichen Seelenorganen in
„uns ein Weſen, das zwar in Vereinigung mit jenen
„wirkt, aber fuͤr ſich ein eigenes beſtehendes Ding oder
„eine Subſtanz iſt, die wir die Seele in pſychologiſcher
„Bedeutung oder unſer Jch nennen. Und dieß letztere un-
„koͤrperliche Weſen iſt es entweder allein, was das empfin-
„dende, denkende und thaͤtige Seelenweſen im Menſchen
„ausmacht, oder es iſt doch der vornehmſte Theil dieſes
„Ganzen,
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/188>, abgerufen am 25.11.2024.
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