zu schwach, um sie aus der stärkern Jmpression, die von dem äußern Schall herkommt, zu erhalten. Und wenn sie nun zugleich ihre vorige Elasticität wieder em- pfängt, so ist sie in den Stand gesetzt, auch von der zurückgebliebenen Jdee in der Seele modificiret zu wer- den. Die äußern Empfindungen müßten nach dieser Erklärung zwar die Elasticität -- oder worinn eigent- lich die Empfänglichkeit des innern Organs bestehen mag -- verstärken, und in so weit etwas in dem Or- gan zurücklassen. Allein was sie zurücklassen, ist eine bloße Erhöhung der Elasticität, welche keine Spuren von besondern Tönen, das ist, keine materiellen Jdeen ausmacht. Uebrigens kann man bey dieser Hypothese es auch gerne zugeben, daß sich Vorstellungen selbst aus der Seele zum Theil und gänzlich verlieren, und daß dieß Vergessen in der Seele selbst in die angeführ- ten Erfahrungen einen Einfluß habe.
4.
Es giebt eine Menge von Vorstellungen in uns, bey denen das Selbstgefühl es offenbar zu lehren scheinet, daß ihre Reproduktion -- die durchaus keiner äußern Ursache zugeschrieben werden kann -- auch keine Wir- kung der Seele sey, sondern eine bloße Leidenheit, wie die äußern Empfindungen, die ihre Ursachen außer der Seele haben. Soll jede reproducirte Vorstellung als eine Wirkung von der Seelenkraft angesehen werden, so ist man zuweilen genöthiget, auf gut idealistisch oder harmonistisch zu erklären.
Wir kennen den Unterschied zwischen unwillkürli- chen Vorstellungen, die von selbsten sich uns darzubie- ten scheinen, und zwischen den willkürlichen, deren Wiedererweckung nicht ohne eine merkliche Anstrengung unserer Kraft geschieht, sehr gut. Die Empfindung lehret diesen Unterschied; und, ohne Rücksicht auf irgend
eine
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im Menſchen.
zu ſchwach, um ſie aus der ſtaͤrkern Jmpreſſion, die von dem aͤußern Schall herkommt, zu erhalten. Und wenn ſie nun zugleich ihre vorige Elaſticitaͤt wieder em- pfaͤngt, ſo iſt ſie in den Stand geſetzt, auch von der zuruͤckgebliebenen Jdee in der Seele modificiret zu wer- den. Die aͤußern Empfindungen muͤßten nach dieſer Erklaͤrung zwar die Elaſticitaͤt — oder worinn eigent- lich die Empfaͤnglichkeit des innern Organs beſtehen mag — verſtaͤrken, und in ſo weit etwas in dem Or- gan zuruͤcklaſſen. Allein was ſie zuruͤcklaſſen, iſt eine bloße Erhoͤhung der Elaſticitaͤt, welche keine Spuren von beſondern Toͤnen, das iſt, keine materiellen Jdeen ausmacht. Uebrigens kann man bey dieſer Hypotheſe es auch gerne zugeben, daß ſich Vorſtellungen ſelbſt aus der Seele zum Theil und gaͤnzlich verlieren, und daß dieß Vergeſſen in der Seele ſelbſt in die angefuͤhr- ten Erfahrungen einen Einfluß habe.
4.
Es giebt eine Menge von Vorſtellungen in uns, bey denen das Selbſtgefuͤhl es offenbar zu lehren ſcheinet, daß ihre Reproduktion — die durchaus keiner aͤußern Urſache zugeſchrieben werden kann — auch keine Wir- kung der Seele ſey, ſondern eine bloße Leidenheit, wie die aͤußern Empfindungen, die ihre Urſachen außer der Seele haben. Soll jede reproducirte Vorſtellung als eine Wirkung von der Seelenkraft angeſehen werden, ſo iſt man zuweilen genoͤthiget, auf gut idealiſtiſch oder harmoniſtiſch zu erklaͤren.
Wir kennen den Unterſchied zwiſchen unwillkuͤrli- chen Vorſtellungen, die von ſelbſten ſich uns darzubie- ten ſcheinen, und zwiſchen den willkuͤrlichen, deren Wiedererweckung nicht ohne eine merkliche Anſtrengung unſerer Kraft geſchieht, ſehr gut. Die Empfindung lehret dieſen Unterſchied; und, ohne Ruͤckſicht auf irgend
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im Menſchen.
zu ſchwach, um ſie aus der ſtaͤrkern Jmpreſſion, die
von dem aͤußern Schall herkommt, zu erhalten. Und
wenn ſie nun zugleich ihre vorige Elaſticitaͤt wieder em-
pfaͤngt, ſo iſt ſie in den Stand geſetzt, auch von der
zuruͤckgebliebenen Jdee in der Seele modificiret zu wer-
den. Die aͤußern Empfindungen muͤßten nach dieſer
Erklaͤrung zwar die Elaſticitaͤt — oder worinn eigent-
lich die Empfaͤnglichkeit des innern Organs beſtehen
mag — verſtaͤrken, und in ſo weit etwas in dem Or-
gan zuruͤcklaſſen. Allein was ſie zuruͤcklaſſen, iſt eine
bloße Erhoͤhung der Elaſticitaͤt, welche keine Spuren
von beſondern Toͤnen, das iſt, keine materiellen Jdeen
ausmacht. Uebrigens kann man bey dieſer Hypotheſe
es auch gerne zugeben, daß ſich Vorſtellungen ſelbſt
aus der Seele zum Theil und gaͤnzlich verlieren, und
daß dieß Vergeſſen in der Seele ſelbſt in die angefuͤhr-
ten Erfahrungen einen Einfluß habe.
4.
Es giebt eine Menge von Vorſtellungen in uns, bey
denen das Selbſtgefuͤhl es offenbar zu lehren ſcheinet,
daß ihre Reproduktion — die durchaus keiner aͤußern
Urſache zugeſchrieben werden kann — auch keine Wir-
kung der Seele ſey, ſondern eine bloße Leidenheit, wie
die aͤußern Empfindungen, die ihre Urſachen außer der
Seele haben. Soll jede reproducirte Vorſtellung als
eine Wirkung von der Seelenkraft angeſehen werden,
ſo iſt man zuweilen genoͤthiget, auf gut idealiſtiſch oder
harmoniſtiſch zu erklaͤren.
Wir kennen den Unterſchied zwiſchen unwillkuͤrli-
chen Vorſtellungen, die von ſelbſten ſich uns darzubie-
ten ſcheinen, und zwiſchen den willkuͤrlichen, deren
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unſerer Kraft geſchieht, ſehr gut. Die Empfindung
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/263>, abgerufen am 24.11.2024.
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