Jn dem Anwachs der Gefühlsvermögen sind also zwey Stücke von einander zu unterscheiden. Die ver- größerte Leichtigkeit eine besondere Art von Ein- drücken leichter zu fassen, und eine vergrößerte Leichtigkeit überhaupt Eindrücke aufzunehmen und auf sie zurückzuwirken. Jenes ist die ver- größerte Empfindlichkeit in Hinsicht auf die mehr- malen empfundenen Objekte; dieses ist die vergrößerte Leichtigkeit zu empfinden, ohne Rücksicht auf diese oder jene bestimmten Gegenstände. Beide beziehen sich auf die nämliche Art auf einander, wie bey den Fertigkeiten der thätigen Kräfte die Fertigkeit, die Jdeen von den Gegenständen, und die Fertigkeit, die Jdeen von den Handlungen der Seele zu erwecken. Beide sind bis auf eine Gränze unzertrennlich. Denn eine vergrößerte Empfindlichkeit in dem Vermögen selbst, als eine Leich- tigkeit zu empfinden und auf eine ähnliche Art zu em- pfinden, ist auch eine Leichtigkeit in einen vorigen Zu- stand zurückzukommen. Dieß ist die vergrößerte Em- pfindlichkeit in Hinsicht gewisser Objekte ebenfalls. Aber sie ist doch nur zum Theil einerley. Denn da die letztere davon abhängt, daß die vorher empfangene Vorstellung von einem Objekte leicht erwecket wird und sich mit dem gegenwärtigen Eindruck von demselben verbindet: so er- fodert sie auch nichts mehr als eine Leichtigkeit eine Vor- stellung zu reproduciren; dagegen die erhöhete Empfind- lichkeit in dem Vermögen erfedert, daß der ganze vor- malige Zustand, die ganze Empfindung, leicht zurück- kehre. Die Vorstellung aber ist nur ein Theil von dem ehemaligen Zustande, und eigentlich mehr eine schwache Anwandlung von einem Theile oder Zuge aus ihm, als eine wahre Zurückkehr desselben. Die Empfindlich- keit gegen Zorn und Liebe kann daher bestehen, wenn gleich die Leichtigkeit, an die ehemaligen Objekte dieser Leidenschaften zu denken, vergangen ist. Jene ist eine
Leichtig-
IITheil. D d
und Entwickelung des Menſchen.
Jn dem Anwachs der Gefuͤhlsvermoͤgen ſind alſo zwey Stuͤcke von einander zu unterſcheiden. Die ver- groͤßerte Leichtigkeit eine beſondere Art von Ein- druͤcken leichter zu faſſen, und eine vergroͤßerte Leichtigkeit uͤberhaupt Eindruͤcke aufzunehmen und auf ſie zuruͤckzuwirken. Jenes iſt die ver- groͤßerte Empfindlichkeit in Hinſicht auf die mehr- malen empfundenen Objekte; dieſes iſt die vergroͤßerte Leichtigkeit zu empfinden, ohne Ruͤckſicht auf dieſe oder jene beſtimmten Gegenſtaͤnde. Beide beziehen ſich auf die naͤmliche Art auf einander, wie bey den Fertigkeiten der thaͤtigen Kraͤfte die Fertigkeit, die Jdeen von den Gegenſtaͤnden, und die Fertigkeit, die Jdeen von den Handlungen der Seele zu erwecken. Beide ſind bis auf eine Graͤnze unzertrennlich. Denn eine vergroͤßerte Empfindlichkeit in dem Vermoͤgen ſelbſt, als eine Leich- tigkeit zu empfinden und auf eine aͤhnliche Art zu em- pfinden, iſt auch eine Leichtigkeit in einen vorigen Zu- ſtand zuruͤckzukommen. Dieß iſt die vergroͤßerte Em- pfindlichkeit in Hinſicht gewiſſer Objekte ebenfalls. Aber ſie iſt doch nur zum Theil einerley. Denn da die letztere davon abhaͤngt, daß die vorher empfangene Vorſtellung von einem Objekte leicht erwecket wird und ſich mit dem gegenwaͤrtigen Eindruck von demſelben verbindet: ſo er- fodert ſie auch nichts mehr als eine Leichtigkeit eine Vor- ſtellung zu reproduciren; dagegen die erhoͤhete Empfind- lichkeit in dem Vermoͤgen erfedert, daß der ganze vor- malige Zuſtand, die ganze Empfindung, leicht zuruͤck- kehre. Die Vorſtellung aber iſt nur ein Theil von dem ehemaligen Zuſtande, und eigentlich mehr eine ſchwache Anwandlung von einem Theile oder Zuge aus ihm, als eine wahre Zuruͤckkehr deſſelben. Die Empfindlich- keit gegen Zorn und Liebe kann daher beſtehen, wenn gleich die Leichtigkeit, an die ehemaligen Objekte dieſer Leidenſchaften zu denken, vergangen iſt. Jene iſt eine
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und Entwickelung des Menſchen.
Jn dem Anwachs der Gefuͤhlsvermoͤgen ſind alſo
zwey Stuͤcke von einander zu unterſcheiden. Die ver-
groͤßerte Leichtigkeit eine beſondere Art von Ein-
druͤcken leichter zu faſſen, und eine vergroͤßerte
Leichtigkeit uͤberhaupt Eindruͤcke aufzunehmen
und auf ſie zuruͤckzuwirken. Jenes iſt die ver-
groͤßerte Empfindlichkeit in Hinſicht auf die mehr-
malen empfundenen Objekte; dieſes iſt die vergroͤßerte
Leichtigkeit zu empfinden, ohne Ruͤckſicht auf dieſe oder
jene beſtimmten Gegenſtaͤnde. Beide beziehen ſich auf
die naͤmliche Art auf einander, wie bey den Fertigkeiten
der thaͤtigen Kraͤfte die Fertigkeit, die Jdeen von den
Gegenſtaͤnden, und die Fertigkeit, die Jdeen von den
Handlungen der Seele zu erwecken. Beide ſind bis
auf eine Graͤnze unzertrennlich. Denn eine vergroͤßerte
Empfindlichkeit in dem Vermoͤgen ſelbſt, als eine Leich-
tigkeit zu empfinden und auf eine aͤhnliche Art zu em-
pfinden, iſt auch eine Leichtigkeit in einen vorigen Zu-
ſtand zuruͤckzukommen. Dieß iſt die vergroͤßerte Em-
pfindlichkeit in Hinſicht gewiſſer Objekte ebenfalls. Aber
ſie iſt doch nur zum Theil einerley. Denn da die letztere
davon abhaͤngt, daß die vorher empfangene Vorſtellung
von einem Objekte leicht erwecket wird und ſich mit dem
gegenwaͤrtigen Eindruck von demſelben verbindet: ſo er-
fodert ſie auch nichts mehr als eine Leichtigkeit eine Vor-
ſtellung zu reproduciren; dagegen die erhoͤhete Empfind-
lichkeit in dem Vermoͤgen erfedert, daß der ganze vor-
malige Zuſtand, die ganze Empfindung, leicht zuruͤck-
kehre. Die Vorſtellung aber iſt nur ein Theil von dem
ehemaligen Zuſtande, und eigentlich mehr eine ſchwache
Anwandlung von einem Theile oder Zuge aus ihm,
als eine wahre Zuruͤckkehr deſſelben. Die Empfindlich-
keit gegen Zorn und Liebe kann daher beſtehen, wenn
gleich die Leichtigkeit, an die ehemaligen Objekte dieſer
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/447>, abgerufen am 22.11.2024.
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