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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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und Entwickelung des Menschen.
zu machen suchen? Es verhalte sich damit wie es wolle,
unser Auge kann schwerlich jemals so tief eindringen,
wenigstens ist es nicht so tief gedrungen, um aus dem,
was es nicht sieht, geradezu schließen zu können, daß es
nicht da sey.

4.

Es scheinen einige Beobachtungen doch schlechthin
auf den Satz zu führen, daß neue Formen entstehen,
und zwar dadurch, daß mehrere, sich entwickelnde, ver-
schiedene Formen zusammengehen, und eben durch diese
ihre Verbindung neue Formen machen.

Hierzu rechne ich die Beyspiele von dem Zusammen-
wachsen der gepfropften thierischen und Pflanzentheile mit
ihren Stämmen. Es wächst der Sporn eines Hahns
auf seinem Kamm und wird zum Horn, und die Wun-
den an Thieren und Bäumen wachsen zusammen. Die
Erklärungen, welche Hr. Bonnet über diese Erscheinun-
gen gegeben hat, *) halte ich für richtig, nur nicht für
vollständig. Der Wulst an dem Pfropfreis, der Cal-
lus und das Horn, das aus dem Sporn entstehet,
sind nichts als Entwickelungen von Fibern, die schon
da sind; und wenn wir der Deutlichkeit wegen nur bey
dem letztern Beyspiele stehen bleiben, so ist das Horn
eben dasselbige mit dem auf eine etwas andere Art entwi-
ckelten Sporn, der, von seiner natürlichen Stelle abge-
schnitten und auf den Kamm des Hahns gepfropft, hier
gleichsam in einen neuen Boden versetzt ist, wo er an-
dere Säfte antrifft, die nun den Sporn zu einem Horn
entwickeln. Jngleichen wenn das eingesenkte Pfropf-
reis in den Stamm hineinwächst, so geschieht solches
durch eine Entwickelung seiner Fibern.

Aber
*) Kap. XII. ingl. Art. 271.
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und Entwickelung des Menſchen.
zu machen ſuchen? Es verhalte ſich damit wie es wolle,
unſer Auge kann ſchwerlich jemals ſo tief eindringen,
wenigſtens iſt es nicht ſo tief gedrungen, um aus dem,
was es nicht ſieht, geradezu ſchließen zu koͤnnen, daß es
nicht da ſey.

4.

Es ſcheinen einige Beobachtungen doch ſchlechthin
auf den Satz zu fuͤhren, daß neue Formen entſtehen,
und zwar dadurch, daß mehrere, ſich entwickelnde, ver-
ſchiedene Formen zuſammengehen, und eben durch dieſe
ihre Verbindung neue Formen machen.

Hierzu rechne ich die Beyſpiele von dem Zuſammen-
wachſen der gepfropften thieriſchen und Pflanzentheile mit
ihren Staͤmmen. Es waͤchſt der Sporn eines Hahns
auf ſeinem Kamm und wird zum Horn, und die Wun-
den an Thieren und Baͤumen wachſen zuſammen. Die
Erklaͤrungen, welche Hr. Bonnet uͤber dieſe Erſcheinun-
gen gegeben hat, *) halte ich fuͤr richtig, nur nicht fuͤr
vollſtaͤndig. Der Wulſt an dem Pfropfreis, der Cal-
lus und das Horn, das aus dem Sporn entſtehet,
ſind nichts als Entwickelungen von Fibern, die ſchon
da ſind; und wenn wir der Deutlichkeit wegen nur bey
dem letztern Beyſpiele ſtehen bleiben, ſo iſt das Horn
eben daſſelbige mit dem auf eine etwas andere Art entwi-
ckelten Sporn, der, von ſeiner natuͤrlichen Stelle abge-
ſchnitten und auf den Kamm des Hahns gepfropft, hier
gleichſam in einen neuen Boden verſetzt iſt, wo er an-
dere Saͤfte antrifft, die nun den Sporn zu einem Horn
entwickeln. Jngleichen wenn das eingeſenkte Pfropf-
reis in den Stamm hineinwaͤchſt, ſo geſchieht ſolches
durch eine Entwickelung ſeiner Fibern.

Aber
*) Kap. XII. ingl. Art. 271.
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[505/0535] und Entwickelung des Menſchen. zu machen ſuchen? Es verhalte ſich damit wie es wolle, unſer Auge kann ſchwerlich jemals ſo tief eindringen, wenigſtens iſt es nicht ſo tief gedrungen, um aus dem, was es nicht ſieht, geradezu ſchließen zu koͤnnen, daß es nicht da ſey. 4. Es ſcheinen einige Beobachtungen doch ſchlechthin auf den Satz zu fuͤhren, daß neue Formen entſtehen, und zwar dadurch, daß mehrere, ſich entwickelnde, ver- ſchiedene Formen zuſammengehen, und eben durch dieſe ihre Verbindung neue Formen machen. Hierzu rechne ich die Beyſpiele von dem Zuſammen- wachſen der gepfropften thieriſchen und Pflanzentheile mit ihren Staͤmmen. Es waͤchſt der Sporn eines Hahns auf ſeinem Kamm und wird zum Horn, und die Wun- den an Thieren und Baͤumen wachſen zuſammen. Die Erklaͤrungen, welche Hr. Bonnet uͤber dieſe Erſcheinun- gen gegeben hat, *) halte ich fuͤr richtig, nur nicht fuͤr vollſtaͤndig. Der Wulſt an dem Pfropfreis, der Cal- lus und das Horn, das aus dem Sporn entſtehet, ſind nichts als Entwickelungen von Fibern, die ſchon da ſind; und wenn wir der Deutlichkeit wegen nur bey dem letztern Beyſpiele ſtehen bleiben, ſo iſt das Horn eben daſſelbige mit dem auf eine etwas andere Art entwi- ckelten Sporn, der, von ſeiner natuͤrlichen Stelle abge- ſchnitten und auf den Kamm des Hahns gepfropft, hier gleichſam in einen neuen Boden verſetzt iſt, wo er an- dere Saͤfte antrifft, die nun den Sporn zu einem Horn entwickeln. Jngleichen wenn das eingeſenkte Pfropf- reis in den Stamm hineinwaͤchſt, ſo geſchieht ſolches durch eine Entwickelung ſeiner Fibern. Aber *) Kap. XII. ingl. Art. 271. J i 5

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 505. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/535>, abgerufen am 22.11.2024.