seyn, wie die Ebbe und Fluth im Wasser, dessen Men- ge in der Welt darum wenigstens nicht ab oder zunimmt?
So viel kann man wohl sagen, weil die Geschichte hierüber deutlich spricht, daß es particuläre Verbes- serungen der Menschheit in besondern Ländern gebe, wie auch wiederum particuläre Verschlimmerun- gen. Wo Staaten polizirt worden sind, da hat die Menschheit durch das wohlthätige Licht der Kenntnisse gewonnen, so viel auch noch Reste von Barbarey und Wildheit zurück sind. Wie man die Vergleichung auch anstellen mag, so haben wir keine Ursachen den Zustand unsers lieben Teutschlandes zu den Zeiten des Tacitus zurückzuwünschen: so viele kriegerische, große und heroi- sche Seelen es damals auch gehabt haben, und so groß die Glückseligkeit in der damaligen barbarischen Verfas- sung der Gesellschaften auch gewesen seyn mag. Nicht zu sagen, und dieß ist doch eine Hauptsache, daß die Menschenmenge in unserm Vaterlande jetzo größer ist: so glaube ich auch, ohne unsere Zeiten zu überheben, lasse sich behaupten, daß es gegenwärtig mehr wahren Hel- denmuth auch in körperlichen Gefahren gebe, als vor- mals; wenn anders diese Tugend nach ihrem innern Werth, als eine Selbstthätigkeit der Seele, geschätzet und von Tollkühnheit und Wut unterschieden wird. Eben so gewiß hat auf der andern Seite die Menschheit sich in vielen Ländern verschlimmert. Laß die Schlüsse trügen, die man von einzelnen hervorragenden Personen auf das Ganze eines Volks macht. Etwas wahres ist doch darinn. Wo mehr Lichter sind, und je stärker sie leuch- ten, desto größer ist auch die Erhellung allenthalben, auf allen Stellen; der Raum der Erleuchtung mag so groß seyn als er wolle. Allein wenn man mit der Menge großer Leute, die das alte aufgeklärte Griechenland auf- stellete, die Einrichtung der Staatsverfassung, die Gesetze, die Form der Erziehung und die Lebensart,
wodurch
IITheil. C c c
und Entwickelung des Menſchen.
ſeyn, wie die Ebbe und Fluth im Waſſer, deſſen Men- ge in der Welt darum wenigſtens nicht ab oder zunimmt?
So viel kann man wohl ſagen, weil die Geſchichte hieruͤber deutlich ſpricht, daß es particulaͤre Verbeſ- ſerungen der Menſchheit in beſondern Laͤndern gebe, wie auch wiederum particulaͤre Verſchlimmerun- gen. Wo Staaten polizirt worden ſind, da hat die Menſchheit durch das wohlthaͤtige Licht der Kenntniſſe gewonnen, ſo viel auch noch Reſte von Barbarey und Wildheit zuruͤck ſind. Wie man die Vergleichung auch anſtellen mag, ſo haben wir keine Urſachen den Zuſtand unſers lieben Teutſchlandes zu den Zeiten des Tacitus zuruͤckzuwuͤnſchen: ſo viele kriegeriſche, große und heroi- ſche Seelen es damals auch gehabt haben, und ſo groß die Gluͤckſeligkeit in der damaligen barbariſchen Verfaſ- ſung der Geſellſchaften auch geweſen ſeyn mag. Nicht zu ſagen, und dieß iſt doch eine Hauptſache, daß die Menſchenmenge in unſerm Vaterlande jetzo groͤßer iſt: ſo glaube ich auch, ohne unſere Zeiten zu uͤberheben, laſſe ſich behaupten, daß es gegenwaͤrtig mehr wahren Hel- denmuth auch in koͤrperlichen Gefahren gebe, als vor- mals; wenn anders dieſe Tugend nach ihrem innern Werth, als eine Selbſtthaͤtigkeit der Seele, geſchaͤtzet und von Tollkuͤhnheit und Wut unterſchieden wird. Eben ſo gewiß hat auf der andern Seite die Menſchheit ſich in vielen Laͤndern verſchlimmert. Laß die Schluͤſſe truͤgen, die man von einzelnen hervorragenden Perſonen auf das Ganze eines Volks macht. Etwas wahres iſt doch darinn. Wo mehr Lichter ſind, und je ſtaͤrker ſie leuch- ten, deſto groͤßer iſt auch die Erhellung allenthalben, auf allen Stellen; der Raum der Erleuchtung mag ſo groß ſeyn als er wolle. Allein wenn man mit der Menge großer Leute, die das alte aufgeklaͤrte Griechenland auf- ſtellete, die Einrichtung der Staatsverfaſſung, die Geſetze, die Form der Erziehung und die Lebensart,
wodurch
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und Entwickelung des Menſchen.
ſeyn, wie die Ebbe und Fluth im Waſſer, deſſen Men-
ge in der Welt darum wenigſtens nicht ab oder zunimmt?
So viel kann man wohl ſagen, weil die Geſchichte
hieruͤber deutlich ſpricht, daß es particulaͤre Verbeſ-
ſerungen der Menſchheit in beſondern Laͤndern gebe,
wie auch wiederum particulaͤre Verſchlimmerun-
gen. Wo Staaten polizirt worden ſind, da hat die
Menſchheit durch das wohlthaͤtige Licht der Kenntniſſe
gewonnen, ſo viel auch noch Reſte von Barbarey und
Wildheit zuruͤck ſind. Wie man die Vergleichung auch
anſtellen mag, ſo haben wir keine Urſachen den Zuſtand
unſers lieben Teutſchlandes zu den Zeiten des Tacitus
zuruͤckzuwuͤnſchen: ſo viele kriegeriſche, große und heroi-
ſche Seelen es damals auch gehabt haben, und ſo groß
die Gluͤckſeligkeit in der damaligen barbariſchen Verfaſ-
ſung der Geſellſchaften auch geweſen ſeyn mag. Nicht
zu ſagen, und dieß iſt doch eine Hauptſache, daß die
Menſchenmenge in unſerm Vaterlande jetzo groͤßer iſt:
ſo glaube ich auch, ohne unſere Zeiten zu uͤberheben, laſſe
ſich behaupten, daß es gegenwaͤrtig mehr wahren Hel-
denmuth auch in koͤrperlichen Gefahren gebe, als vor-
mals; wenn anders dieſe Tugend nach ihrem innern
Werth, als eine Selbſtthaͤtigkeit der Seele, geſchaͤtzet
und von Tollkuͤhnheit und Wut unterſchieden wird. Eben
ſo gewiß hat auf der andern Seite die Menſchheit ſich in
vielen Laͤndern verſchlimmert. Laß die Schluͤſſe truͤgen,
die man von einzelnen hervorragenden Perſonen auf das
Ganze eines Volks macht. Etwas wahres iſt doch
darinn. Wo mehr Lichter ſind, und je ſtaͤrker ſie leuch-
ten, deſto groͤßer iſt auch die Erhellung allenthalben, auf
allen Stellen; der Raum der Erleuchtung mag ſo groß
ſeyn als er wolle. Allein wenn man mit der Menge
großer Leute, die das alte aufgeklaͤrte Griechenland auf-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 769. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/799>, abgerufen am 22.11.2024.
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